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Courage-Preis 2020: Jury-Begründung

Dr. Sibylle Plogstedt, Vorsitzende der Courage-Preisjury:

Sehr verehrte Mareike Nieberding und Nicola Ficociello, werte Gäste und liebe jb-Mitglieder,

zunächst beglückwünsche ich Sie beide im Namen der Jury des Courage-Preises, dass Sie heute – nach einem einstimmigen Votum – die Preisträgerinnen des Jahres 2020 sind. Sie erhalten einen Preis, den der Journalistinnenbund für aktuelle Berichterstattung jedes Jahr verleiht. 2016 war es das erste Mal und wir haben das Glück, dass der Courage-Preis seit 2018 von der Maeccenia-Stiftung gefördert wird. Und heute dabei haben wir heute wieder die besondere Ehre, dass Eva Brinkmann to Broxten, die Stifterin des Maeccenia-Preises unter uns ist. Danke, dass Sie da sind. Danke für die Unterstützung.

Der Courage-Preis hat also inzwischen eine Geschichte.

Erinnern wir uns: Als der Ukraine-Konflikt sich hin zu einem Krieg zu entwickeln begann und die Krim besetzt wurde, fiel uns auf, dass die Berichterstattung über die Ereignisse dort eine ganz andere war, wenn Kolleginnen vor Ort waren und erzählten, was sie erlebten. Der Alltag, die Armut, die Familie, die Kinder spielten eine Rolle. Die Zerrissenheit innerhalb der Familien zwischen Russland und der Ukraine. Es ging um die Zwangslage, in die viele durch die Einmischung von russischen Söldnern gerieten.

Helga Kirchner und ich kamen zu dem Schluss: Wir brauchen einen Preis für aktuellen Journalismus. Wie bekamen das Votum der Mitgliederversammlung des jb. Und nun gibt es den Preis schon zum fünften Mal.

Er bekam den für mich ehrenvollen Namen ‚Courage‘ – übrigens auch für Sabine Zurmühl, die hier den Marlies Hesse Nachwuchs-Preis vertritt. Die 1976 von uns beiden in Berlin gegründete Frauenzeitung hieß ja so.

Ein Courage-Preis hat gewiss immer mit Mut zu tun.
Seit wir jährlich über die Preisvergabe nachdenken, haben wir festgestellt, wie viele Facetten Courage und Aktualität haben.

Da ist einmal die Korrespondentin, die berichtet, in welche Gefahren Frauen in Indien geraten. Sandra Petersmann bekam ihn 2016 für ihren genauen Blick und ihre ungewöhnlichen Recherchen.

Mut braucht es 2017 auch in Deutschland, als Christine Auerbach sich mit den aktuellen Änderungen der Gesetze zum sexuellen Mißbrauch beschäftigte.

Einen langen Atem und eine gute Vernetzung war nötig, als eine ganze Stadt einen Mörder suchte. Jenni Roth hat 2018 diesen aufregenden Prozess begleitet.

Um den Mißbrauch vor und nach der Wende ging es 2019. Ein gewagter Blick auf die ehemalige DDR und die neuen Bundesländer. Christine Holch war die Autorin, Patricia Morosan die Fotografin.

In jedem Jahr diskutieren wir neu: Was heißt Courage, was bedeutet aktuell.

Christine Holch z.B. wäre nicht auf die Idee gekommen, sich mit ihrer Arbeit für einen Preis für aktuellen Journalismus zu bewerben. Und doch brauchte gerade ihr Blick Mut, an hergebrachten Tabus zu rütteln.

Auch unsere diesjährigen Preisträgerinnen hätten diesen Einwand vortragen können.

Vor zwei Jahren hätten sie auch möglicherweise recht gehabt. Wissenschaftsjournalismus hat gewiss nicht immer die brennende Aktualität, die vielleicht eine Reportage aus dem NSU 2-Untergrund hätte. Courage heißt nicht Draufgängerei. Es gibt nämlich auch einen leisen Mut, der viel bewegen kann.

In diesem Jahr hat vor allem die Corona-Pandemie dazu beigetragen, das Thema einer pharmazeutischen Testung von Medikamenten an Frauen ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Denn schauen wir auf die Berichterstattung zu den in Entwicklung befindlichen Impfstoffen: Von Frauen ist da bislang nicht die Rede.

Unsere heutigen Preisträgerinnen, die beide für ein Medizinthema ausgezeichnet werden, zeigen, wie schnell angesichts von Corona ein Thema, das im Medienmainstream noch lange nicht auf der Agenda steht, aktuell werden kann, wenn die Notwendigkeit einer besonderen medizinischen und pharmazeutischen Testung von Medikamenten an Frauen wieder einmal übergangen wird.

Es braucht Courage, solch ein Thema mit Nachdruck auf die Agenda zu setzen.

Sie beide, Mareike Nieberding und Nicola Ficocello, haben aus unterschiedlicher Sicht die Diskriminierung von Frauen in der Medizin angeprangert, deren Beendigung für Frauen lebensnotwendig sein kann.

Sie nicht auszuzeichnen, wäre unterlassene Hilfeleistung gewesen.

Danke für Ihre Arbeit. Danke für Ihre Mühe.

Jurybegründung

Der Journalistinnenbund e.V. verleiht den Courage-Preis für aktuelle Berichterstattung 2020 zu gleichen Teilen an die Journalistinnen

Mareike Nieberding für ihren Beitrag „Was Frauen krank macht“ (SZ-Magazin 23.5.2019) und an Nicole Ficociello für ihre Sendung „Gender Data Gap: Warum es Frauen gefährdet, wenn sie unsichtbar sind“ (Bayern 2/ Zündfunk, 8.3.2020).

In beiden Arbeiten geht es um die Exklusion von Frauen in der medizinischen Forschung und Therapie, die tödliche Folgen haben kann. Da auch Einkommen und Herkunft eine Rolle spielen, sind besonders arme, alte Frauen gesundheitlich gefährdet.

In klarer Sprache informiert Mareike Nieberding umfassend und lenkt den Blick auf strukturelle Defizite. Für ihre persönlich gehaltene Spurensuche im Gender Data Gap setzt Nicole Ficociello geschickt alle radiophonen Mittel ein, die beim Hören für besondere Spannung und Aufmerksamkeit sorgen. Angesichts von Corona und der Suche nach Heilmitteln und Impfstoffen hat die Gefahr einer falschen medizinischen Dosierung unzureichend getesteter Medikamente für erkrankte Frauen eine neue Aktualität gewonnen.

Mareike Nieberding ist Redakteurin für das SZ-Magazin in München, Nicole Ficociello ist freie Journalistin beim Bayerischen Rundfunk.

Der Preis ist mit einer Dotierung versehen, die die Maecenia-Stiftung (Frankfurt/Main) gewährt.

Mitglieder der diesjährigen Jury des Courage-Preises sind Eva Hehemann, Annette Hillebrand, Helga Kirchner, Sissi Pitzer, Dr. Sibylle Plogstedt.