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Gleichberechtigung, Pressefreiheit und das Recht. Mitbringsel zum Jubiläum des Deutschen Journalistinnenbundes 2017.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Baer, Richterin des Bundesverfassungsgerichts: „Über das Recht, anders zu denken.“

Gleichberechtigung, Pressefreiheit und das Recht. Mitbringsel zum Jubiläum des Deutschen Journalistinnenbundes 2017.

Von Susanne Baer

Auf der Jubiläumstagung des Deutschen Journalistinnenbundes stellen Sie die Frage nach Pressefreiheit und Frauenrechten – und ausweislich der veröffentlichten Texte machen Sie sich um beide Sorgen. Das tun Sie zu Recht. Sie sind damit auch nicht allein, und wir müssen über diese Sorgen sprechen. Allerdings: Dies ist auch eine Keynote zu einem Jubiläum. Sie haben insofern um einen Beitrag zu einer Feier gebeten. Daher habe ich vier Tortenstücke mitgebracht: einen hoffentlich leckeren Glückwunsch, ein deutlich herzhafteres Stück Rechtsstaat, eine Portion Gleichberechtigung und ein Stück zur Pressefreiheit.

Das erste Mitbringsel ist reich dekoriert: die Gratulation. Sie steht unter dem Titel: „Good girls revolt“. Sich auflehnen, sich mit den Verhältnissen nicht abfinden – das tun kluge Menschen nie allein. Sie tun es im Verband, diskutierend, protestierend und erforderlichenfalls auch mit den Mitteln des Rechts. Dieser Sprung vom Protest zur Klage ist entscheidend, weil darin der Unterschied liegt zwischen Bettelei und Rechtsansprüchen. Er zeigt nicht zuletzt den Wert des Rechtsstaats, um den wir uns derzeit jedenfalls international Sorgen machen.

Das zweite Stück ist daher auch weniger süß. Ich würde zwar sehr gerne eine lange Hymne auf Sie singen. Das haben Sie sich mit dem Engagement im Journalistinnenbund verdient. Aber uns muss umtreiben, dass die Verhältnisse im Jahr 2017 vielfach sehr schwierig sind. Sie sprechen – im Tagungsprogramm – von „Auseinanderdriften“ und stellen die Frage nach dem „Scheitern“, und wir sehen Ungarn, Polen, die Türkei, die USA, auch die EU deutlich unter Druck. Was dort als demokratische Verfassungsstaatlichkeit aufgebaut worden ist, was dort als Errungenschaft gelang, braucht heute erhöhte Aufmerksamkeit, denn es knirscht im Gebälk. Ich will – als Richterin ganz naheliegend, aber gerade auch für Gleichberechtigung und Pressefreiheit existenziell – eben die rechtsstaatlichen Komponenten in den Blick nehmen, die heute unter Druck stehen. Sie müssen uns Sorgen machen, denn wenn es da knirscht, wird es ernst.

Das dritte Tortenstück als Mitbringsel zu Ihrem Jubiläum ist die Gleichberechtigung. Hierzu wird Viviane Reding sprechen, aus langjährig mitgestaltendem und vielfach berufenem Munde. Ich will daneben eine grundrechtliche und menschenrechtliche, eine auf den Rechtsstaat und den Verfassungsstaat setzende Perspektive beitragen. Hier stellt sich insbesondere die Frage, wie wir am besten auf den, so jedenfalls mein Eindruck, schärferen und kühleren Gegenwind reagieren können, der Gleichberechtigung derzeit in Frage stellt?

Schließlich geht es Ihnen um die Pressefreiheit. Dieses Stück Jubiläumstorte hat die für den Journalistinnenbund sicher interessanteste Geschmacksrichtung. Überhaupt stimmt die Backmischung dieser Jubiläumstorte, denn Pressefreiheit, Gleichberechtigung und ein funktionierender demokratischer Verfassungsstaat sind untrennbar miteinander verknüpft. Aber die Dekoration braucht heute unser ganzes Geschick, denn diese Verknüpfung muss immer wieder erklärt und so auch verteidigt werden.

Good girls revolt!

Es sind also vier Tortenstücke zum Jubiläum, und das erste, leckere, ist die Gratulation. Es ist der Glückwunsch zu Ihrer Entscheidung, sich aufzulehnen: good girls revolt. Dies ist der Titel einer TV-Serie über 46 Frauen bei dem US-amerikanischen Nachrichtenmagazin Newsweek, die irgendwann entschieden, vom Protest zum Recht zu wechseln. Sie haben irgendwann entschieden, dass es nicht mehr witzig ist, nicht zur Redaktionssitzung zugelassen zu werden, und dass es nicht lustig ist, zu recherchieren, aber nicht schreiben zu dürfen, jedenfalls nicht den eigenen Namen unter einem Beitrag oder im Abspann zu finden. Diese Frauen haben auch geahnt, dass sie wirklich zu wenig Geld verdienen. Das tun zwar subjektiv die meisten Menschen. Objektiv stört es aber, wenn sich das strukturell verfestigt und alle Frauen im Vergleich mit allen männlichen Kollegen deutlich weniger bekommen. Das war, bei Newsweek, not amusing anymore. Die damals sogenannten career girls führten also Gespräche, baten um Verständnis, argumentierten, sie könnten doch mal dabei sein …. das wäre doch auch insgesamt besser … und irgendwie auch nicht wirklich fair ….. Und als das alles nichts nutzte, entschieden sie: revolt. Sie sind nicht auf die Barrikaden gegangen, aber sie entschieden sich für Rechtsschutz. Das bedeutete damals, eine formale Beschwerde bei der zuständigen Stelle einzulegen. Es bedeutet heute, sich eine gute Anwältin zu suchen und vor Gericht zu ziehen. Das setzt voraus, dass der Rechtsstaat funktioniert.

Die Entscheidung der Frauen bei Newsweek fiel für den Rechtsschutz, weil sie irgendwann verstanden hatten, dass das, was „irgendwie nervig“, jedenfalls anstrengend, oft auch belästigend, meist sehr unproduktiv und unprofessionell ist, und zudem noch langweilig, weil zu homogen, nicht nur all das ist, sondern auch illegal und rechtswidrig. Und dieser Sprung von nervig, unschön, nicht okay, hin zu illegal – das ist ein fulminanter Sprung vom Betteln zum Rechtsanspruch. Er garantiert nicht immer Erfolg. Aber es ist genau dieser Unterschied zwischen Betteln und Rechtsschutz, der Menschen ebenbürtig auftreten lässt, der nicht entwürdigend ist, der Ungleichheit nicht perpetuiert, sondern auch aufbrechen kann. Dieser Schritt zum Rechtsschutz stellt ein Verfahren zur Verfügung, in dem alle gehört werden, und in dem neutrale Dritte – als Richterinnen und Richter – verhindern, dass rhetorischer Machismo regiert, und Entscheidungen gefällt werden, die sich an Regeln orientieren, die begründet werden, und die nochmals überprüfbar sind. Das ist der Wert des Rechts.

Genau diese Qualität ist es auch, die die Europäische Union prägt. „Europa“ ist ja nicht nur mythologische Figur, geographische Einheit oder politische Idee – Europa ist als EU immer auch eine Rechtsgemeinschaft. Insofern ist dieses Europa auch kein leeres Versprechen, sondern eine sehr besondere Form demokratischer Verfassungsstaatlichkeit, ein transnationaler Konstitutionalismus. Das wesentliche Kennzeichen dieser Gemeinschaft ist die Rechtsbindung; dazu gehört der Rechtsschutz, um sie einzufordern. Was Rechtsschutz im Alltag ganz konkret bedeutet, zeigt dann die Geschichte der Frauen bei Newsweek und das zeigen auch viele andere Geschichten. Es heißt, im deutschen Fernsehen sei eine Serie oder zumindest ein Film über Ingrid Kolb geplant. Dann ließe sich sehen, wie viel auf wie vielen Ebenen verändert werden kann. Aktueller ist die Entscheidung einer Redakteurin des ZDF, vor den Arbeitsgerichten Lohnrückstände einzuklagen, also gegen Lohndiskriminierung nicht nur mit guten Argumenten und Forderungen nach Transparenz vorzugehen, sondern tatsächlich den Anspruch geltend zu machen, gleich behandelt zu werden, nach der Leistung, nicht nach dem Geschlecht. Und das folgt demselben Muster: Am Anfang nett, dann ein bisschen insistierend, dann wirklich nicht mehr amüsiert, dann lacht man auch nicht mehr über den 35ten überhaupt nicht witzigen Witz, der auf Kosten von Frauen oder Minderheiten geht, aber nie Mobbing oder Belästigung genannt werden darf, und dann folgt der Aufstand – revolt! -. Das bedeutet dann: „Jetzt reicht´s. Das ist illegal und jetzt wehre ich mich.“ Tatsächlich heißt das: Ich fordere nicht nur mein Recht, sondern die Anwendung geltenden Rechts für alle.

Auf gewisse Weise haben das auch Sie im Journalistinnenbund getan. Ich gratuliere Ihnen dazu, dass Sie ein Verband sind, der nicht nur freundlich bittet, sondern auch fordert. Es ist klug, Unrecht nicht allein anzugehen. Ein Verband gibt den Mut zu dem, was wir Mobilisierung von Recht nennen. Erst Mobilisierung übersetzt Worte auf Papier in Taten in der Praxis. Diese Mobilisierung wird ermöglicht, wenn andere zwar durchaus kritisch überdenken, aber dann auch entschieden darin bestärken, sich zu wehren, wo Unrecht geschieht. Es sind keine Einzelheldinnen, die da Veränderung erkämpfen, sondern es sind meist mehrere good girls in revolt gemeinsam, im Verband. 46 Frauen waren es bei Newsweek und in vielen anderen Verfahren stehen viele Kolleginnen und Kollegen hinter der einen Klägerin. Es braucht diese Kolleginnen, die dann sagen: „Nee – du bist nicht blöd, du bist nicht allein, du darfst das, das ist nicht schwierig und zickig,  sondern das ist dein Recht, das ist unser Recht.“ Diese Stärkung, die Verbände leisten, ist sehr wichtig, oft sogar unverzichtbar. Der Journalistinnenbund ist ein Verband, der auch diese Stärke fördert. Das ermöglicht den qualitativ entscheidenden Sprung von der Bettelei zum Rechtsanspruch.

Qualität durch Vielfalt

Ich gratuliere also dazu, für mehr Gleichberechtigung einzutreten. Tatsächlich bedeutet das auch, für besseren Journalismus zu streiten, also für Berichte über die ganze Welt und nicht nur die partikulare Perspektive, für Berichte aus diversen Perspektiven und nicht nur den einen Blick auf die Verhältnisse. Hier wird deutlich: Gleichberechtigung ist keine Sondernummer und Gleichberechtigung ist auch mehr als Präsenzpolitik. Vielmehr ist Gleichberechtigung ein Beitrag zur Sache selbst. Hier ist es ein Qualitätsfaktor der Medien durch die Erweiterung von Perspektiven und als Anerkennung von Diversität. Es gibt da viele Begriffe; entscheidend ist: Es geht nicht um Sondernummern, sondern um Qualität. Dafür streiten Sie und dafür müssen wir in den Medien und auch sonst wohl leider wieder intensiver streiten.

Ich hätte nun dennoch gerne so weiter gemacht und Ihnen erzählt, wie wichtig Ihr Verband ist. Das resultiert auch daraus, dass ich wie viele andere zu den Profiteurinnen Ihrer Arbeit gehöre, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Ich bin auf Journalismus angewiesen, als Bürgerin. Ich bin es aber gerade auch als Richterin des Bundesverfassungsgerichts. Wir sind alle darauf angewiesen, dass Sie das schreiben, drehen und zu Gehör bringen, was Sie eben mit Ihrer Erfahrung, Professionalität und Perspektive schreiben, drehen und zu Gehör bringen können. Als Richterin gilt das in besonderer Weise. Ich kann – außerhalb der Beratungen – kaum über das sprechen, was mich bei der Erarbeitung meiner Entscheidungen bewegt; aber ich kann lesen und zuhören und muss angestoßen werden, scheinbar Klares zu überdenken, muss informiert werden über den Unterschied zwischen news und fake news, muss meinen Blick weiten, um dann verantwortlich entscheiden zu können. Ich brauche Sie also ganz dringend.

Dazu kommt, dass junge, radikale Feministinnen Sie noch viel mehr brauchen. Es sind einige hier, die auch mir vor Jahren eine Stimme gegeben haben, eine „voice“, um überhaupt mitreden zu können. Da durfte ich in das damalige Studio des SFB kommen, zu den legendären „Zeitpunkten“, um live zu sprechen. Und das war nicht nur aufregend, sondern auch wichtig, um einen weiten Weg gehen zu können. Vermutlich wäre ich nie Verfassungsrichterin geworden, wenn nicht einige von Ihnen gesagt hätten: „Lassen wir die doch mal sprechen“. So wie Sie mir und anderen eine Plattform gegeben haben, ermöglichen Sie Sichtbarkeit. Dafür möchte ich mich bedanken, wie viele andere junge Frauen, denen Sie so Raum und Anerkennung gaben und geben. Und ich möchte Sie ermutigen, das weiter zu tun: Es ist unverzichtbar, dass Sie Räume öffnen für (hoffentlich) radikal denkende, also an der Wurzel in Frage stellende junge Menschen, ohne Promi-Faktor – gerade für die!

Gleichberechtigt in den Medien?

Genug der Hymne. Sie haben in der Einladung zu dieser Tagung Sorgen formuliert: die Dinge „driften auseinander“, die Dinge „drohen zu scheitern“. Darüber müssen wir sprechen. Was genau driftet da auseinander? Was exakt ist es, was da scheitert? Sind es die Verhältnisse in den Medien, die Sie bewegt haben, die Frage nach Gleichberechtigung und Pressefreiheit zu stellen? Die verfügbaren Zahlen sagen ja nach wie vor, dass etwa 40 % aller hauptberuflichen Journalistinnen und Journalisten in Deutschland Frauen sind. Das klingt nicht schlecht. Aber bekannt ist auch, dass 95 % der Chefredaktionen von 100 Regionalzeitungen mit eigenen Mantelteil Männer sind. Nach den neuesten Zahlen der ARD (allerdings zu den Führungspositionen der Ebenen 1 bis 3 und nicht nur 1) liegt das Geschlechterverhältnis bei 70 zu 30, und im Printbereich oft um 85 zu 15. Die erste Zahl benennt tatsächlich den Männeranteil in Redaktionen: 85 zu 15 bei der FAZ, bis hin zu 60 zu 40 bei der ZEIT. Gleichberechtigte Verhältnisse sind das, so scheint mir, nicht. Zudem ist schlichte Präsenz nur ein Indikator für das, was uns im Hinblick auf Gleichberechtigung umtreiben muss. Schlichte Bio-Präsenz sagt zwar etwas, aber sie sagt noch lange nicht alles. So hat der Europarat eine Studie vorgelegt, nach der 70 % aller Journalistinnen über Erfahrungen sexueller Belästigung oder sogar Übergriffe berichten, und in der 53 % Cybermobbing erlebt haben, das gezielt die Geschlechtlichkeit oder die sexuelle Identität zum Gegenstand hatte. Das sind keine guten Verhältnisse. Dazu kommt, dass wir nie nur über eine Ungleichheit reden. Die Gender Studies lenken seit langem die Aufmerksamkeit auf Mehrdimensionaliät, auf Intersektionalität, also auf die tatsächlich sich überschneidenden Erfahrungen von Menschen, die mehrfach ungleich positioniert sind, mehrfach diskriminiert. Ausweislich der Zahlen für die ARD sind dort alle so etwa um die 50 Jahre alt. Das ist nicht sehr divers. Unter 6 % der hauptberuflich tätigen Journalistinnen und Journalisten sind schwerbehindert. Das ist keine Vielfalt und spricht nicht für Inklusion. Im Jahr 2008 hatten von 160.000 hauptberuflich tätigen Journalistinnen und Journalisten etwa 200 einen relevanten Migrationshintergrund. Das ist ernüchternd wenig. Es gibt zwar Fortschritte, weil mehr Frauen in den Medien Wertschätzung für das erfahren, was sie können. Aber das reicht nicht. Die fehlende Diversität ist Anlass zur Sorge, weil – wie auch in der Justiz – die Akzeptanz dessen, was Sie tun  – und was ich tue -, davon abhängt, ob sich Menschen gesehen fühlen, ob die Medien oder auch die Gerichte spiegeln, was in unserer Gesellschaft geschieht und wie unterschiedlich wir diese Gesellschaft erleben und ob wir eine Multiperspektivität in unsere Arbeit einbringen, die eben auch erfahrungsbedingt ist. Deswegen braucht es in den Medien und auch in der Justiz Frauen und Männer und viele andere.

Allein: Wir müssen heute wieder erklären und verteidigen, warum das wichtig ist. Vor zehn Jahren dachte ich, das ist irgendwann verstanden. Ich dachte, wir erreichen einen Zustand, wo der Hinweis „Wissen Sie, da fehlen Frauen und da fehlen noch ein paar andere!“, ganz klar auf ein Problem verweist, das dann gelöst werden muss. Aber neuerdings braucht es wieder sehr smarte, sehr kluge, sehr konsistente Argumente, um zu erklären, dass fehlende Gleichstellung tatsächlich ein Anlass zur Sorge ist. Da heißt es dann: „Warum ist das wichtig?“ Die Fakten allein genügen oft nicht mehr. Die Anrufung von Artikel 3 des Grundgesetzes – oder auch von Art. 21 der Grundrechtecharta der EU – genügt oft nicht mehr. Also brauchen wir smarte, kluge, konsistente Argumente und nicht zuletzt einen sehr differenzierten Sprachgebrauch, um Gehör zu finden, um endlich nicht nur rhetorisch, sondern tatsächlich weiter zu kommen.

In den Medien scheint mir das Qualitätsargument zwingend. Die Studie des Europarates besagt wie auch andere, dass Sportberichterstattung zu 90 % von Männern und zu 90 % über Männer gemacht wird. Das ist nahezu langweilig simpel, aber keine Verschwörungstheorie, sondern Fakt. In der Technikberichterstattung wird 80 % aller Berichterstattung von Männern zu 80 % über Männer gemacht. Das finde ich noch langweiliger. In der Politik seien 70 % der Beiträge von Männern verfasst worden, aber uninteressante Politiker sind immer noch präsenter als wichtige Politikerinnen. Das finde ich furchtbar langweilig (da schon so lange so!) und erschütternd ungleich. Jedenfalls ist das Qualitätsargument gut belegt. Da machen wir uns zu Recht Sorgen.

Was tun? Hier könnte ich die Hymne zum Jubiläum des Journalistinnenbundes weiter erklingen lassen, denn Sie setzen sich da schon lange ein. Es gibt daneben auch die begrenztere Initiative Pro Quote. Und es gibt die Initiative „all male panel“ (http://allmalepanels.tumblr.com/) als ganz wunderbare feministische Aufmerksamkeitspolitik: Immer dann, wenn Sie eine Ankündigung für eine Tagung oder ein Podium sehen, auf dem nur Männer die ganze Welt erklären, veröffentlichen Sie das. Und diese Politik des naming and shaming geht am besten Hand in Hand mit dem Versprechen insbesondere prominenter Männer, sich zu weigern, an solchen Podien mitzuwirken, wenn da zufällig wieder keine qualifizierte Frau um die Ecke kam (http://www.owen.org/pledge). Also: good girls and some good boys revolt – ganz wunderbar!

Knirschen im Gebälk.

Leider ist der Erfolg auch solcher Initiativen bislang begrenzt. Dennoch wird der Gegenwind schärfer. Zudem betreffen die Sorgen auch nicht nur die Medien. Deutliche Defizite der Gleichberechtigung gibt es auch im Bereich der Erwerbsarbeit, wo Sorgearbeit nach wie vor eine unterbelichtete Kategorie und nicht wertgeschätzte Arbeit ist und Machtpositionen wie auch das Prekariat sind zutiefst geschlechtsspezifisch. Anhaltende, teils sich verschärfende und mehrdimensionale Ungleichheiten sind also keine Ausnahme.

Doch kommt dazu und oben drauf, dass es nicht nur in Einzelfällen oder in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen, sondern auch im Gebälk knirscht. Die Sorgen betreffen auch das Große und Ganze. In der EU beunruhigt derzeit insbesondere die Entwicklung in Ungarn und Polen, und das ist nicht „woanders“, sondern in der EU als Rechtsgemeinschaft ein Teil von uns. Auch dem Brexit in England gingen sehr problematische Debatten voraus: Neben einer rassistisch-ausländerfeindlichen Linie, die auch die Präsidentenwahlen in Österreich oder die nationalen Wahlen in den Niederlande und in Frankreich zu oft prägte, gab es da auch eine Rhetorik gegen Gerichte: Man wolle nicht von „judges“ regiert werden, die als „nicht legitimierte Akteure“ „einfach so“ Entscheidungen fällten, was eine „Zumutung“ sei. Eine solche gerichtliche Entscheidung, die immer wieder als Zumutung denunziert wurde, betrifft das Wahlrecht für Menschen im Strafvollzug. Wo genau liegt da die Zumutung? Wer ist da inwiefern legitimiert? Was verletzt da nationale Identität? Und was unterscheidet diese Debatte in Großbritannien von einer mittlerweile offenen Weigerung in Russland, gerichtliche Entscheidungen über Menschenrechte überhaupt nicht mehr zu akzeptieren, obwohl die Verträge, auf denen sie beruhen, ratifiziert sind? Das beunruhigt mich sehr. Hier geht es nicht um komplizierte Fragen und auch nicht um angebliche Gewissensfragen, sondern hier geht es geradlinig um klassische Rechtsstaatlichkeit. Wenn als Zumutung gebrandmarkt wird, dass Menschen, die in Haft sind, ihre Menschenwürde nicht verlieren, sondern eine Resozialisationschance erhalten und natürlich wählen können, muss das beunruhigen. Wenn das heute populistisch zieht, um die EU zu verlassen, dann leben wir in sehr schwierigen Zeiten.

Das größere Europa des Europarates hat ein ähnliches Problem. Die Türkei ist auch nicht „ganz woanders“. Wir gehören zusammen im Europarat, in der Nato, in den Vereinten Nationen. Dort stehen wir nicht erst jetzt vor erheblichen Herausforderungen, den Konsens nach 1945, also grundlegende Menschenrechte, wirklich durchzusetzen. Eine schon lange aktive Koalition zwischen Vatikanstaat und Staaten, die ihre Deutung des Islam vor die Rechtsbindung stellen, wie auch Staaten, die sich auf einen kulturalistischen Nationalismus berufen, stellen in Frage und haben relativiert, was nach 1945 verabredet worden ist: Dass es Menschenrechte gibt, die auch und gerade gelten, um die zu schützen, die politisch keine Macht haben, gegen Ressentiments der Mehrheit.

EU, Europarat, VN – es knirscht im größeren Gebälk. Das sind Strukturfragen, auf die wir Antworten brauchen. Da werden Grundlagen in Frage gestellt, und dazu gehört die Rechtsstaatlichkeit. Deshalb schmeckt dieses Stück Torte nicht wirklich süß. Hier wird genau der Unterschied zunichte gemacht, der die „good girls“ trug: zwischen Bettelei und einem Rechtsanspruch. Was hier in Rede steht, ist insofern nicht nur eine weitere politische Debatte über das, was wir gern hätten, über unsere Vision, über die nächste Säule. In Rede steht die Verabredung, die nach 1945 weltweit galt, mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und mit den europäischen Verfassungsstaaten. Es ist der Kern gerade auch der Europäischen Union, die sie in der Grundrechtecharta bekräftigt hat: Bestimmte Dinge stehen unhintergehbar, für jede und jeden. Wir haben vereinbart, dass die demokratischen Verfassungsstaaten gleichberechtigt dem Frieden der Welt dienen, die Menschenwürde achten und darum die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Eigenes anerkennen und als unhintergehbar setzen. Das ist fast der O-Ton der Präambel des deutschen Grundgesetzes. Ich hätte den EU-Vertrag zitieren können oder die Grundrechtecharta oder die vielen nationalen Verfassungen, die nach 1945 vereinbart wurden sind. Aber sie alle stehen heute unter Druck. Oder, um Simone Veil zu zitieren: Europa ruht auf zwei Pfeilern: Erinnerung und Demokratie, und zur Demokratie gehören die Menschenrechte. Sie sind dem politischen Gezänke entzogen, weil sie die Grundlage dafür schaffen, überhaupt miteinander streiten zu können. Und genau das steht unter Druck. Es knirscht im Gebälk.

Gleichberechtigung? Bitte etwas genauer!

Damit bin ich beim dritten Tortenstück. Denn hier stellt sich eine weitere komplizierte Frage. Was genau gehört denn bei der Gleichberechtigung zu den Grundlagen – und was ist verhandelbar? In dem Plädoyer, sich zu erinnern, worauf wir uns nach 1945 geeinigt haben: was ist das ganz genau? Als Verfassungsrichterin habe ich auf das Unhintergehbare meinen Eid geleistet, und damit die Aufgabe, den Gehalt der Verfassung zu verteidigen. Aber was ist dann Gegenstand der Demokratie, was ist politisch verhandelbar, wo darf es Präferenzen geben und auch Streit? Wir müssen unterscheiden können zwischen dem, wo wir keinen Spaß mehr verstehen, wo es nicht mehr „just a stupid job“ ist, wo es aufhört, lustig zu sein, wo es also wirklich um die Grundlagen geht, und dem, wo wir ruhig streiten dürfen. Das ist beim Thema Gleichberechtigung nicht so leicht. Auch hier brauchen wir smarte, durchdachte, konsistente Antworten.

Das Problem lässt sich schnell anschaulich machen: Gestern gab es eine Diskussion und eine Abstimmung im Deutschen Bundestag über die Öffnung der bislang exklusiv heterosexuellen Ehe nun auch für homosexuelle Paare. Ist das eine individuell moralische Gewissensentscheidung? Oder handelt es sich um eine basale Menschenrechtsfrage, die da zu klären war? Das macht einen Unterschied. Oder nehmen Sie die Gleichberechtigung in den Medien: Wir haben da mit Zahlen unterlegte Verhältnisse. Ist das politische Richtungsfrage, darauf zu reagieren, oder letztlich nicht verhandelbar, also zwingend? Wir haben den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der von einer Kommission erarbeitet wird, um den Bundestag und auch die Öffentlichkeit zu informieren. Er ist nach wie vor so ernüchternd wie die Zahlen zu den Medien: Frauen arbeiten mehr und verdienen weniger und leiden also unter Altersarmut, usw. usf. Wir haben den OECD- Bericht, der das international vergleicht: Danach ist Deutschland immer noch patriachal, denn der männliche Haupt- oder Primärarbeitnehmer und Alleinverdiener ist nach wie vor der Regelfall, und bei der Lohngerechtigkeit steht Deutschland richtig schlecht da; und die Teilzeit- und Elternfalle ist nach wie vor perfekt aufgestellt. Ist das politische Präferenz oder eigentlich nicht verhandelbar?

Wir haben nicht nur ungleiche Verhältnisse. Es weht auch ein schärferer Gegenwind, der das Gebälk knirschen lässt. Da wird (wieder) in Frage gestellt, ob wir tatsächliche Gleichberechtigung überhaupt noch wollen dürfen. Ob da nicht langsam genug geschehen ist, ob es nicht reicht. Ob der Ruf nach Gleichberechtigung nicht ein bisschen „seventies“ ist, also passé. Ob wir nicht wichtigere Themen haben (ein Hit im rhetorischen Repertoire!). Oder (was in Rechtsfragen sehr beliebt ist), ob Maßnahmen nicht arg bürokratisch ausfallen und es deswegen zu mühsam wird und wir das also lassen sollten. Ist die Gleichberechtigung also dem politischen Verhandeln zu überlassen, wo man sich mit guten Gründen streiten kann? Oder geht es hier um Angriffe auf die Grundlagen unseres Zusammenlebens, um den Konsens, bei dem wir irgendwann einmal gesagt haben, als Gesellschaften, sogar als Weltgemeinschaft in den Vereinten Nationen unter anderem mit der Frauenrechtskonvention, da gebe es kein Vertun, da geht nichts mehr? Diese Frage treibt mich um. Und da mache ich mir Sorgen.

Es gibt weitere Beispiele für dieses Problem. So profilieren sich deutsche Gerichte ebenso wie die deutsche juristische Ausbildung in vielen Lehrbüchern damit, die Frauenförderung für eindeutig verfassungswidrig zu halten. Da wird über Gleichheit auch nicht viel geschrieben. Damit wird jedoch nicht zuletzt die europäische Rechtsentwicklung völlig ignoriert, ebenso wie Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes, der nach 1990 mühsam erkämpft werden musste, um nochmals klarzustellen, dass tatsächliche Gleichstellung eine Kernaufgabe ist. Das irritiert mich. Ein weiteres Beispiel ist die Strafrechtsreform. Da heißt es, dies sei „Moralunternehmertum“. So wird kritisiert, dass der Gesetzgeber sexuelle Belästigung verbietet. Es heißt, das ginge doch ein bisschen weit. Und lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: Es gehe zu weit, sexuelle Belästigung zu verbieten. Es handelt sich – da ist der Name tragisch missverständlich! – um eine Form mehr oder minder subtiler Gewalt. Und auf ein Gewaltverbot im Wege des Gewaltmonopols des Staates hatten wir uns eigentlich geeinigt. Belästigung klingt manchen harmlos, ist es aber nicht. Auch diese Diskussion beunruhigt mich. Und noch ein Beispiel: In der Debatte um das Lohngerechtigkeitsgesetz hieß es weithin, das sei zu bürokratisch. In der Sache geht es um Grundrechte und eine Garantie, die übrigens auch am Anfang der EU stand, gegen Lohndumping durch „Frauenlöhne“ u.a. in Deutschland. Oder nehmen Sie die Inklusionspolitik. Da hat sich Deutschland als sehr wohlhabendes Land in den europäischen Debatten über die Richtlinien zum Schutz von Behinderten vor Diskriminierung nicht hervorgetan, denn da hieß es, das sei sehr teuer. In der Sache geht es um Inklusion durch barrierefreies Bauen, nachhaltiges Design, die Umstellung unserer Umwelt auf Menschen, die sehr unterschiedlich sind. Es geht um die Verabredung, die seit 1994 im Grundgesetz steht, dass man Behinderte nicht diskriminieren darf. Wird das gänzlich in Frage gestellt, irritiert mich das. Gleiche Rechte für Minderheiten, das geht zu weit, das reicht doch jetzt, warum so offensiv, brauchen die wirklich so viel …? Hier mache ich mir Sorgen.

Wir brauchen gute Argumente. Sie brauchen eine Antwort in Ihrer Arbeit in der Berichterstattung; ich brauche eine Antwort zur Unterscheidung zwischen verfassungsrechtlichem Zwang und politischer Option. Was ist in Sachen Gleichberechtigung zwingend und was kann politisch diskutiert und auch unterschiedlich entschieden werden? Um das Grundlegende genau zu benennen, müssen auch Begriffe überdacht werden. Im Titel dieser Tagung heißt es: „Frauenrechte“. Wenn Sie das hören: Wo fehlen die? Nicht wenige denken da weit weg, wie beispielsweise an das Fahrverbot in Saudi-Arabien. Damit wird auch suggeriert, es gäbe echte Probleme nur noch dort. Wir sind dann die Guten, die schon alles geschafft haben, nur andere haben noch ein Problem. So exotisiert und immunisiert man gleichzeitig. Und wer sind diese „Frauen“? Ein Gruppismus, in dem „Frauen“ als homogene Gruppe gesetzt werden, ist immer ein Problem. Die Rede von den Frauenrechten als Menschenrechte macht diese tendenziell auch zu einer Sondernummer. Trägt der Begriff also? Da der Gegenwind kühler und schärfer weht, müssen wir intensiver darüber nachdenken, wann wir das so sagen, zu wem wir das sagen und was wir damit tun. Das gilt für alle Themen. Wenn Berichterstattung völlig korrekt schildert, dass es in den 70er Jahren radikale Forderungen der Frauenbewegung gab, die sehr ideologisch waren, ist das derzeit eventuell nicht sehr produktiv, weil es den wieder grassierenden Antifeminismus bedient. Wer derzeit über „die Frauen“ und „die Männer“ redet und schreibt und berichtet, tut der Diskussion keinen Gefallen, denn das vereinheitlicht  und bedient Stereotype. In der feministischen Rechtswissenschaft wird das als Dilemma der Differenz diskutiert: Was die Kritik so pauschal benennt, wird so auch wiederholt gesetzt. Oder: Wortpolitik ist keine Kosmetik. Insofern ist die Änderung des Pressekodex, die mit Blick auf die rassistische Stereotypisierung und Essentialisierung auffordert, sehr reflektiert zu handeln, auch auf Sexismus direkt übertragbar. Geschärfte Aufmerksamkeit ist gefragt. Das gilt übrigens auch für die EU. Die Rede vom „Bürokratiemonster Brüssel“ bedient die Scheingefechte derjenigen, die sich gegen Gleichstellungsregeln wenden. Berichterstattung über „Sozialtourismus“ hat mehr oder minder unverhohlen rassistische Untertöne. Auch wenn es heißt, „die Luxemburger Richter schlagen zu“ (so ähnlich wie: „Karlsruhe hat mal wieder …“), sind dies durchaus problematische Verkürzungen. Was macht das mit der Wahrnehmung von Rechtsstaatlichkeit und funktionierender Gewaltenverteilung, in der Gerichte bestimmte Aufgaben haben und vieles tun, aber nicht zuschlagen?  Es muss also immer wieder klug erklärt und argumentiert werden.

Pressefreiheit und Gleichberechtigung und die Sorge um´s Gebälk 

Damit sind wir beim vierten Tortenstück, der Pressefreiheit. Auch sie ist Teil des Grundkonsenses. Was Sie als Journalistinnen tun, wird zwingend und dringend benötigt. Es wird gebraucht, um uns zu informieren, zu positionieren, fit zu machen, gerade auch in den Argumenten, gegen Auseinanderdriften oder gar Scheitern. Dafür braucht es nicht nur Qualität, sondern auch Pressefreiheit.

Pressefreiheit und Gleichberechtigung und die Sorge um das Gebälk hängen zudem zwingend miteinander zusammen. Wenn wir über Ungarn oder Polen sprechen oder über die Türkei, sehen wir, dass die beiden Institutionen, die zuerst angegriffen werden, wenn das große Versprechen nach 1945 erodiert, die Medien sind und die Gerichte, die Unabhängigkeit der Justiz. Ohne wirksamen Rechtsschutz gibt es auch weder Pressefreiheit noch durchsetzbare Gleichberechtigung, jenseits der Bettelei. Je nach Temperament kann man das irgendwie ernüchternd und erschütternd, unerträglich oder ärgerlich finden. Entscheidend ist aber, sehr deutlich zu markieren, dass dies fundamentale Angriffe auf all das sind, worauf wir uns eben geeinigt haben. Es geht um die Freiheit der Medien im großen Europa, zu dem auch die Türkei gehört, und in der kleineren EU mit Ungarn und Polen, denn sie ist in Gefahr, zumindest unter Druck. Und das wird schlimmer, wenn der Rechtsstaat nicht funktioniert.

Ohne begleitenden Rechtsschutz gibt es kein Recht, anders zu sprechen, zu schreiben, anders zu berichten, anders zu informieren. Dann siegen Rhetoriken, die Gleichberechtigung vorgaukeln, wo sie fehlt. Das ist der enge Zusammenhang zwischen Pressefreiheit, dem demokratischen Verfassungsstaat und Gleichberechtigung, die ihren Namen verdient. Das bedeutet auch: Dieses langweilige, sperrige, formalistisch klingende, irgendwie auch autoritär scheinende Teilelement bedarf erhöhter Aufmerksamkeit. Es ist das, was auch die Europäische Union ausmacht. Funktionierende Rechtsstaatlichkeit sichert Gleichberechtigung und sichert Pressefreiheit und vieles andere, was uns wirklich etwas wert ist. Essen Sie also die Jubiläumstorte und singen Sie Hymen auf das Erreichte – auf „good girls revolt“. Und arbeiten Sie weiter in Ihren Redaktionen oder wo immer sonst, jede an ihrem Ort, um mit der Rückendeckung der Pressefreiheit smart, klug, konsistent zu sichern, was Gleichberechtigung tatsächlich für alle bedeutet. Und wenn es nicht mehr lustig ist, mobilisieren Sie notfalls das Recht. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg!