Grafik Journalistinnenbund

Laudatio für Franziska Becker

Franziska Becker. « Eine komische Welt »

 

Liebe Franziska,

liebe Damen vom Journalistinnenbund aus Berlin,

liebe Damen und Herren,

lieber Herr Bürgermeister der Stadt Straßburg Michaël Schmidt,

 

Es ist für mich eine Ehre und eine Freude, Ihnen einige Worte über Franziska Becker sagen zu dürfen. Insbesondere dafür, dass eine Französin über deutsche Illustrationskunst reden darf, danke ich Dir, liebe Franziska, und euch, liebe Damen… Liebe Franziska, ich habe Dich 2010 in unserem Straßburger Tomi Ungerer Museum und bei Deiner großen Ausstellung im Caricatura Museum in Frankfurt dank einer deutschen Freundin, kennengelernt. 2016 warst Du eingeladen, an der Ausstellung des Straßburger Tomi Ungerer Museums für den 85. Geburtstag von unserem heute verstorbenen Tomi Ungerer teilzunehmen.

Liebe Damen und Herren, Franziska Becker, 1949 in Mannheim geboren, ist eine anerkannte Meisterin der Bildgeschichte und des Cartoons geworden. 1988 der Max-und-Moritz Preis (als bester deutscher Comic-Künstler!), 2012 der Göttinger Satirepreis “Elch”, 2013 der Wilhelm-Busch-Preis: Nacheinander ist sie mit ihnen ausgezeichnet worden. Sie beginnt das Leben einer freischaffenden Karikaturistin mit einem Cartoon, 1977 in der Zeitschrift Emma erschienen, dank Alice Schwarzer, die ihr zeichnerisches Talent geahnt hatte. Dieser Cartoon hieß: “Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ”, eine Parodie der Seiten, wie sie üblicherweise in Frauenzeitschriften wie Elle in Frankreich oder Brigitte in Deutschland zu finden sind.  Heute, kann man es schon so sagen: “Franziska, du hast das Beste aus deinem Typ gemacht. Seitdem ist sie nämlich die Hauscartoonistin von Emma geworden und ihre Zeichnungen wurden publiziert in Zeitschriften wie Titanic, Stern, Psychologie Heute, auch in Tageszeitungen, auf Postern, in Kalendern. Ihre künstlerische Ausdrucksformen sind vielfältig: Bildergeschichten, Illustrationen, Cartoons, aber auch Objekte und Gemälde.

Sie richtet auf unsere Gesellschaft den Blick einer Frau, einen besonders scharfen, aufmerksamen, manchmal liebevollen, manchmal aber auch unerbittlichen Blick. « Homo sum, et humani nihil a me alienum puto. » (Ich bin ein Mensch, und nichts was menschlich ist ist mir fremd)  hat einst der lateinische Poet Terenz geschrieben. Diese Wörter könnten auch Franziska Becker beschreiben. Denn wie bei vielen Karikaturisten ist ihr Hauptsujet der Mensch, und der Mensch in allen seinen Aspekten. Sie stellt fest, es sind immer die selben, seit der Steinzeit… Es sind Typen, die man heute noch in der Strasse begegnen kann.

Sie schaut sich unsere Welt an, findet sie komisch und macht daraus Komik. Allmählich hat sie eine Beckersche Welt mit ihrem zeitgenössischen und satirischen Blick geschaffen. In den 70er Jahren hat sie angefangen, Themen aus der Gesellschaft und aus der Politik mutig aufzugreifen. Älterwerden, Mode, Familienleben, Paarbeziehungen, Tiere, Multikulti, die linke Alternativszene, die Ökobewegung, usw … Und ihre Zeichnungen zeigen alle Zustände der Menschen: Liebe, Wut, Angst, Freude, usw… Ihre Themen hier auflisten zu wollen wäre illusorisch: sie sind allesamt ineinander verwoben. Das Ganze setzt sich wie ein Mosaik zusammen, das ganz eindeutig ein Spiegel unserer heutigen Gesellschaft ist. Franziska Becker ist eine hervorragende Soziologin. Ihre Gesellschaftskritik hat ihre Wurzeln in den studentischen und sozialen Bewegungen von 1968. Diese Jahre waren eine Zeit der politischen und sozialen Aufruhr, den die Pressezeichnung widerspiegelte. Erinnern Sie sich: 1968 war alles möglich! Die Zeichnerin war bei den ersten, wie Claire Bretécher in Frankreich, die manche Themen in Angriff nahmen, die bislang in den Comics  von einer Frau noch nicht behandelt wurden, so wie z. B. die Paarbeziehung, die Familie, der Kampf der Frauen.

Ein großes, immer wiederkehrendes Thema ihrer Werke ist die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Dieses Thema beginnt unsere westeuropäische Gesellschaft ernsthaft zu interessieren nach den Ereignissen von Mai 1968 und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Wichtige weibliche Persönlichkeiten wie Simone Veil in Frankreich oder Alice Schwarzer in Deutschland tragen zu diesem Wandel bei. Franziska Becker kannte die Frauenbewegung aus ihrer Heidelberger Zeit, während ihres Studiums, und sie ist auch dort Feministin geworden. Mit ihrem Stift hat sie entschieden, wie mit einer Waffe, in aller Schärfe die sexistischen Vorurteile zu bekämpfen. Sie zeigt, wie die Frau sich allmählich einen immer größeren Platz in der Arbeitswelt und der Politik erobert. Ich kann in diesem Zusammenhang nur allen das Lesen und Anschauen des Bilderbuchs Weiber, 1992 erschienen, empfehlen!

Um das zu demonstrieren, bildet Franziska Becker weibliche Figuren, mit großen Nasen und ausdrucksvollen Augen ab, die immer wieder in ihren Geschichten auftauchen: Ridicula, die Steinzeitfrau, Michelina Angela, die Muralistin, Walburga, die Magd von Luther, Lili Lichtenberg, die Diseuse, Feminax und Walkürax, die Heldinnen (die sogar Heldinnen eines Bestsellers geworden sind!), auch die Frauenkabarette « Die Schandmäuler » und « Die Einseiferinnen ». Einige Männer gibt es doch,  so wie einen gewissen Herr Kröselmann. Der Fokus richtet sich auf den Machismus, die Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau werden schwieriger. Die traditionelle Rollenverteilung innerhalb der Paare und der Familie gerät ins Wanken.

Eine ihrer Lieblingsszenen ist der intellektuelle und soziale Dünkel einer gewissen bourgeoisen Klasse, die sie ins Visier nimmt. Auf französischer Seite wäre es die überhebliche, blasierte linke Pariser Bourgeoisie, jene also, die man heute die „Bobos“ nennt. Auf deutscher Seite ist es die modebewusste, das Geld liebende „schicki-micky-Gesellschaft“. Besonders köstlich in diesem Zusammenhang ist der Austausch zweier Frauen in der schmackhaften und knusprigen Serie Küchenlatein (auf Französisch : latin de cuisine) von Franziska Becker: „Kochen die draußen? Da sind Blumen ins Essen gefallen ! – Das ist cuisine florale meine Liebe! Die sind essbar!“

Bemerkenswert bei Franziska Becker sind auch die politischen Anmerkungen. In der Serie Turbanmültigülti etwa: „In religiös-spiritueller Entschiedenheit können wir endlich eine kosmopolitische, multikulturelle Übereinstimmung leben-gegen westliche Dekadenz!“ .  Oder in der Serie der Dunkelmänner zum Thema Stasi : „Täglich bringt die Presse neue erschütternde Details ans Tagelicht: Biologielehrer in Chemnitz von eigenen Goldfischen bespitzelt.“

Dazu hilft sicher der schneidende Ton der Künstlerin, der im Gegensatz zur scheinbaren Banalität ihrer in Alltagssituationen dargestellten Figuren steht. Sie ist Meisterin, indem sie Situationen dem Betrachter klar macht. Denn: nicht nur, dass die Federführung der Künstlerin meisterhaft ist, nein: ihre jeweilige Botschaft ist auch ganz wesentlich. „Genauigkeit des Auges, Beweglichkeit der Hand“[1], charakterisieren ihre Kunst. Die Skizzen, in Heften bewahrt, zeigen es sehr klar: ein minimaler Strich mit Bleistift oder Feder genügt eine Bewegung auszudrücken, einer Idee eine Form zu geben, eine Situation zu schildern.

Für ihre Zeichnungen benutzt Becker auch Farbe –Aquarelle und Gouache- und Pinsel. Das alles mit einer auffallenden Spontaneität. Aber „beim genaueren Betrachten“, in der Wirklichkeit, ist diese Spontaneität nur eine scheinbare weil sie eine ungeheuer intensive, langwierige Arbeit verbirgt. Und vor allem muss man sich gegen gewisse „Gesetze“ der Kunst auflehnen, die festlegen, dass Illustration zu den untergeordneten Kunstgattungen zählt!

Obwohl meistens in kleinen Quadraten, wirken die Szenen ihrer Zeichnungen theatral. Wie bei Wilhelm Busch, der sein Werk “Papiertheater” nannte. F. W. Bernstein, der große Zeichner der Neuen Frankfurter Schule, hatte schon darauf aufmerksam gemacht. Und wie beim Theater benutzt sie viele Requisiten in ihren Zeichnungen, die diesen en même temps, d. h. zugleich, einen skurrilen und poetischen Stil geben.

Einflüsse sind also zu finden bei Wilhelm Busch, von dem sie die Bildergeschichten mit ihrer Mutter las, aber auch bei den großen angelsächsischen Satirikern des 18. Jahrhunderts, James Gillray, William Hogarth, Thomas Rowlandson, und bei den  Franzosen Jean-Marc Reiser, Sempé, und Tomi Ungerer. Ihren Stil könnte man auch mit dem von Borisjlav Sajtinac, einem anderen grossen satirischen Illustrator, vergleichen.

Von Anbeginn war die Welt der Illustration, des Comics und der Karikatur von den Männern dominiert. Nur ganz wenige Frauen haben sich darin versucht. Soviel Damen auf der Szene der Karikatur hat es nicht gegeben und gibt es heute auch noch nicht. Man kann sich fragen, warum sie es so lange nicht gewagt haben: die Macht der Erziehung? Die festgefahrenen sozialen Schemata? Oder fühlten sich etwa die Frauen in der Kritikerrolle nicht wohl, weil sie es nicht gewohnt waren, Kritik zu äußern? Die Frauen waren zwar Heldinnen von Comics, etwa in Frankreich Barbarella oder Becassine, aber Autorinnen waren sie nicht. In Hara Kiri sowie in Titanic, keine Frauen! Aber mit der schon erwähnten Claire Bretécher, Catherine Beaunez, Florence Cestac, Coco und Catherine Meurisse in Frankreich, oder dank Marie Marcks und Franziska Becker in Deutschland, sind in den letzten zwei, drei Jahrzehnten allmählich doch Frauen in dieses Feld gezogen. Florence Cestac (Grosser Preis des Festival d‘Angoulême im Jahre 2000), erzählt folgendes: „als ich mit den Comics angefangen habe, war ich verloren in einer Männerwelt!“. Franziska Becker sagt eigentlich dazu das selbe. Die Zeichnerinnen haben vor allem Urteilskraft, Feingefühl, Humor, grafische Meisterschaft bewiesen. Sie haben ihren ganz eigenen Ton gefunden. Merci Mesdames! Den Frauen gilt unser Dank, dass es der Satirezeichnung und der Karikatur besser gegangen ist. Wie man es aber weiss, ist die Schlacht noch lange nicht gewonnen.

Mit ihrem kompromisslosen und kritischen Ton hält Franziska Becker der Gesellschaft einen Spiegel vor. Kritik ist nicht nur “das Salz der Demokratie”, wie es Jutta Limbach einmal gesagt hat. Kritik ist auch ihr Kern. Letzte Woche haben wir erfahren, dass die NYT sich von ihren politischen Karikaturisten trennt und zukünftig  keine Karikaturen mehr publizieren will. Es ist umso wichtiger geworden, dass Zeichner und Zeichnerinnen wie Du, liebe Franziska, es noch wagen, die Welt mit Humor in ihrer Wirklichkeit zu zeigen.

 

Für das alles, liebe Franziska, danken ich Dir, danken wir Dir!

Dr. Thérèse Willer

Juni 2019

Besten Dank auch an Dr. Dagmar Gilcher für das Lektorat.

[1] Angelika Dirscherl, in Franziska Becker. Küchenlatein, Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg, 2014