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Dankesrede Brigitte Fehrle: Preisträgerin 2022

Brigitte Fehrle, Hedwig-Dohm-Preisträgerin, hält ein Mikrovon und spricht

Brigitte Fehrle, Hedwig-Dohm-Preisträgerin des Journalistinnenbundes 2022

Liebe Frau Pitzer, liebe Frau Sittler, liebe Kolleginnen des Journalistinnenbundes,
liebe Anwesende, liebe Ulrike,

Du hast natürlich mal wieder maßlos übertrieben – aber ich freue mich sehr und bin auch etwas gerührt über so viele lobende Worte. Vielen Dank dafür. Vielen Dank aber vor allem an den Journalistinnenbund für diese großartige Auszeichnung, die Sie mir zuerkennen.

Hedwig Dohm war ja eine sehr besondere Frau. Ich gebe zu, bis zur Nachricht über diese Auszeichnung zwar viel über sie, aber wenig von ihr selbst gelesen zu haben. Das habe ich nun in den vergangenen Wochen nachgeholt. Und mir begegnete in ihren Schriften nicht nur eine überzeugte und beharrliche Kämpferin für die Rechte der Frauen. Hedwig Dohm besaß ein beeindruckendes Sprachtalent. Ihre Texte sind voller Emotionalität und Poesie. Und sie hatte einen köstlichen Humor. Ihren Novellen, Erzählungen und Komödien fehlt alles vordergründig Belehrende. Es ist eine reine Freude, ihren Frauenfiguren zu folgen, sich in ihre Lebenswelt zwischen Mann, Kindern und Aufbegehren einzulassen.

Und obwohl die Frauen der Hedwig Dohm Ende des 19.Jahrhunderts leben, obwohl sich seither rechtlich und formal ungeheurer viel geändert hat, und die Gleichberechtigung in unserem Grundgesetz verankert ist, unterscheiden sich doch die Seelennöte, die Selbstzweifel, das schlechte Gewissen und die Grenzen, an die Frauen heute stoßen, nicht sehr von den damaligen.

Als Friederike Sittler mir vor einiger Zeit die Nachricht überbrachte, der Journalistinnenbund wolle mich mit der Hedwig Dohm Urkunde für mein Lebenswerk ehren, war ich kurz sprachlos. Und das hatte genaugenommen zwei Gründe:

Wer mich kennt, der weiß, dass ich den Preisen im Journalismus skeptisch gegenüberstehe. Als Redakteurin, Ressortleiterin oder Chefredakteurin las und redigierte ich mehr als einmal Texte, bei denen mir klar war: Sie sind geschrieben worden, um für einen der Preise mit den klingenden Namen eingereicht zu werden. Ich verurteile das nicht, aber gefallen hat es mir auch nicht.

Spätestens seit ich die Aufgabe hatte, den Fälschungsfall Relotius beim Spiegel aufklären zu helfen, fühle ich mich in dieser Skepsis bestätigt. Ich behaupte, ein Fälschungsfall dieser Art, wäre ohne die ständige Bestätigung seiner Texte durch Reportagepreise nicht möglich gewesen. Und natürlich habe ich mich auch gefragt, wäre eine junge Reporterin mit derartigen Fälschungen so weit gekommen? Wahrscheinlich nicht. Denn auch dazu bedurfte es des Geflechts aus männlich dominierten Strukturen.

Das ist ein weites Feld. Und ich will nur – um hier jetzt nicht miesepetrig zu erscheinen – sagen, dass ich mich trotz dieser Skepsis natürlich für jede Kollegin freue, die für ihre Arbeit ausgezeichnet wird.

Der zweite Grund, warum ich kurz sprachlos war, hat mit mir selbst zu tun. Würde man mich gefragt haben, ob ich Feministin bin, wäre mein Antwort wahrscheinlich ähnlich verschwurbelt ausgefallen, wie die der Altkanzlerin vor einigen Jahren. Ich war als junge Frau gegen die Quote. Mit der Energie und Blauäugigkeit der Anfang 20jährigen wollte ich nie eine Quotenfrau sein, glaubte alles aus eigener Kraft schaffen zu können und keine formale Protektion nötig zu haben. Allerdings dauerte es nicht sehr lang, bis ich diese Meinung geändert habe. Gleichwohl gehörte ich aber nie zu den Lauten, Demonstrativen, zu denen, die man ganz selbstverständlich Feministinnen nennt. Mein Engagement für die Frauen beschränkte sich in aller Regel aufs Praktische. Ich habe immer versucht fair zu sein, insbesondere zu Kolleginnen. Und ich habe Frauen, dort wo ich Einfluss hatte, nach Kräften unterstützt. Aber ich weiß natürlich, dass mir das nur möglich war, weil anderswo Frauen die Öffentlichkeitsarbeit übernommen haben. Ob im Journalistinnenbund, im Verein Pro Quote oder anderswo.

Viele haben mich auf meinem Berufsweg begleitet, getragen, mich unterstützt. Ich möchte hier eine Person nennen, mit der ich fast mein ganzes journalistisches Leben zusammengearbeitet habe. Ohne deren Energie, Loyalität und Kritik, ohne deren Klugheit, Lebenserfahrung, Ausdauer und Beharrlichkeit, wäre sicher einiges in meinem Berufsleben nicht so gut gelaufen: Jutta Kramm, Kollegin, Freundin und die letzten Jahre in der Chefredaktion der Berliner Zeitung an meiner Seite. Danke Jutta!

Und damit, dass mir der Preis ausgerechnet hier, im Gebäude der taz verliehen wird, schließt sich ein Kreis. Denn bei der taz hat Anfang der 80er Jahre meine Zeit als Journalistin begonnen. Dort haben Jutta Kramm und ich uns kennengelernt: In einem verratzten Fabrikgebäude im Wedding mit immer vollen Aschenbechern und Kaffeeflecken auf den Schreibtischen. Heute hier in diesem architektonisch so gelungenen schönen Redaktionshaus einen Preis für mein Lebenswerk zu bekommen, fühlt sich sehr gut und stimmig an.

Aber zurück zu Hedwig Dohm.
Hedwig Dohm war nicht nur eine konsequente, streitbare Feministin. Sie war auch eine glühende Kriegsgegnerin. Manchmal wird sie auch als Pazifistin bezeichnet. Mitten im Gemetzel des 1. Weltkriegs schrieb sie 1915 einen Text mit dem Titel „Der Missbrauch des Todes“, der später in der Zeitschrift „Die Aktion“ in Berlin veröffentlicht wurde. Die damals 84jährige klagt die Brutalität des Krieges mit der ihr eigenen Wortgewalt an.

Ich lese mal ein paar Sätze vor:

„Im Krieg sind die Gesetze der Menschheit aufgehoben. In den Urzustand ist sie zurückversetzt. In einem ungeheuren Irrtum waren wir befangen. Wir glaubten an die innere Kultur der europäischen Völker. Wir müssen umlernen. Es war nur Firnis, Tünche. Noch war die Tierheit, das Raubtier in ihnen. Nun ist es wieder ausgebrochen, und mit derselben zerreißenden Wildheit wie vor Jahrtausenden wütet es. Ich vergehe an diesem Erkennen. Wie soll ich den schaurigen Wahnsinn des Gedankens fassen, dass Millionen schuldloser Geschöpfe sich gegenseitig abwürgen, die einander nie etwas zuleide getan!“

Wir glaubten an die innere Kultur der europäischen Völker.

Gut 20 Jahre später zog Deutschland die halbe Welt in einen noch barbarischeren Krieg. Und heute sehen wir eben dieses von Hedwig Dohm so bezeichnete Raubtier wieder. Entgegen aller Hoffnung auf die innere Kultur der europäischen Völker hat Russland die Ukraine überfallen.

Hedwig Dohm war eine glühende Kriegsgegnerin. Aber war sie auch tatsächlich eine Pazifistin?

Kürzlich las ich ein Interview mit einer jungen litauischen Künstlerin mit Namen Neringa Rekasiute. Sie sagte: „Du kannst nur Pazifistin sein, wenn du nicht bedroht wirst“. Die Ukraine wird bedroht. Sie hat in meinen Augen – selbstverständlich – ein Recht auf Selbstverteidigung. Und ich halte es für unsere selbstverständliche Pflicht, dieses Land dabei zu unterstützen. In diesem Sinne bin ich selbstverständlich Kriegsgegnerin, aber eben keine Pazifistin.

Ich kann mich noch daran erinnern, dass in der politischen Linken der 80er Jahre Geld für Waffen für El Salvador gesammelt wurden. Und ich lese heute, dass teilweise dieselben Personen, die damals der Guerilla zum Sieg verhelfen wollten, heute gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, einem souveränen Staat, der sich gegen einen Aggressor verteidigen muss. Und ich frage mich: Welche Legitimität gab es damals, die heute keine Gültigkeit hätte?

Wie gut also, dass der Journalistinnenbund mit Vera Kritschewskaja eine Kollegin auszeichnet, die mit ihrem Film über den russischen Fernsehsender Doschd nachdrücklich zeigt, warum Wladimir Putin, warum Russland diesen Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen darf.

Drei Frauen stehen lächelnd da. Die Frau in der Mitte hält ein Buch- und Blumengeschenk in ihrer Hand.

Sissi Pitzer, stellvertretende Vorsitzendes des Journalistinnenbundes, Preisträgerin Brigitte Fehrle und ihre Laudatorin Ulrike Demmer

 

Hedwig-Dohm-Urkunde 2022

Laudatio Ulrike Demmer
Preisverleihung in Bildern
Alle Preisträgerinnen 1991 – 2022