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Dankesrede Petra Gerster – Hedwig-Dohm-Preisträgerin 2020

Laudatorin Dr. Andrea Stoll und Preisträgerin Petra Gerster mit der Hedwig-Dohm-Urkunde / Foto: Henning Schacht / berlinpressphoto

Liebe Frau Sittler, liebe Kolleginnen vom Journalistinnenbund, liebe Freunde, liebe Familie!

Danke für diesen schönen Preis und die mich so ehrenden Worte der Begründung – ich freue mich sehr darüber, umso mehr, weil er tatsächlich ein „Frauen-Preis“ ist, wie ich noch nie einen bekommen habe.

Dir, lieber Andrea, danke ich für Deine warmherzige, schöne Laudatio! Und dafür, dass Du und Christoph den weiten Weg auf Euch genommen habt, um diesen Abend für mich mitzugestalten. Das ist besonders schön, weil wir uns – wie Du ja schon sagtest – seit Jahrzehnten darüber austauschen, was Frauen in diesem Land bewegt.

Die Hedwig-Dohm-Urkunde ist tatsächlich ein besonderer Preis, denn die Namensgeberin war eine Feministin der ersten Stunde, die viel berühmter sein müsste, als sie ist. Diese ersten Feministinnen im 19. Jh. haben ja in einer ausschließlich männlich bestimmten Welt für Gleichberechtigung gekämpft, einer Welt, die in Frauen nicht mal gleichwertige Menschen sah, sondern nachrangige Wesen, von „Natur“ aus bestimmt, zu dienen.

Dagegen als Einzelne aufzustehen und das Wort zu erheben – was für einen Mut erfordert das, was für eine Charakter-stärke! Deshalb steht Hedwig Dohm auch als Vorbild in dem Buch, das Andrea und ich vor 10 Jahren über Frauen, die „Ihrer Zeit voraus“ waren, geschrieben haben.

Bis dahin kannte ich HD nur vage, das aber immerhin schon seit Kindesbeinen, denn meine Großmutter, die der 1. Weltkrieg zur jungen, alleinerziehenden Witwe gemacht hatte, war ein Fan der ersten Frauenbewegung. Und so hörte ich früh von Suffragetten und Frauenrechtlerinnen, die für das Recht zu wählen und gewählt zu werden auf die Straße gingen und sich beschimpfen und bespucken lassen mussten. Politische Frauen wie Hedwig Dohm.

Als „Fun Fact“ habe ich mir dabei gemerkt, dass Hedwig Dohm die Großmutter von Katja Mann war, Thomas Manns Ehefrau. Was insofern aber doch mehr als ein Fun Fact ist, weil er zu der Frage führt, warum die hochbegabte Katja wenig später ein so ganz anderes Leben als ihre rebellische Großmutter führte. Und was die vom Werdegang ihrer Enkelin hielt. Schließlich hat Hedwig Dohm die Heirat Katjas mit Thomas Mann 1905 noch ebenso miterlebt wie dessen frühen Ruhm und die Geburt aller sechs Urenkel. Wie hat sie wohl darüber gedacht, dass Katja ihr Leben ganz und gar in den Dienst des Großschriftstellers und der Familie stellte und auf eigene Ambitionen vollkommen verzichtete.

Dabei hatte Katja Pringsheim in München begeistert Mathematik und Experimentalphysik studiert, daneben Vorlesungen über Philosophie, Malerei und Kunstgeschichte gehört. Aber nur 4 Semester lang. Dann trat Thomas Mann in ihr Leben und umwarb die Zögernde so hartnäckig, bis ihr Widerstand gebrochen war. Niemals habe sie in ihrem Leben das tun können, was sie wollte, bekannte sie später einmal und weiter: „Vielleicht hätte ich zu Ende studiert und auch Examina gemacht, doch wie ich dann verheiratet war, kam bald darauf das erste Baby, und dann sofort das zweite, und sehr bald kam dann das dritte und vierte. Da war‘s aus mit dem Studium.“

Ich zitiere das so ausführlich, weil es fast dieselben Worte sind, die ein paar Jahrzehnte später wiederum meine Mutter über sich sagte. Auch sie hat in München studiert – Theaterwissenschaft und  Zeitungswissenschaft -, bis sie 1939 meinen Vater kennenlernte, ebenfalls „viel zu früh“ heiratete und 5 Kinder bekam, drei davon im Krieg, ich war 1955 die Nachzüglerin. Und – aus war’s mit dem Studium.

Und so ist es sicher noch vielen, vielen anderen Frauen ergangen.

Nach dem Krieg kamen die Männer – oft gebrochen – zurück und sehnten sich nach einer heilen Familie. Frauen, die ihre Selbstständigkeit, die sie sich in den Kriegsjahren ohne Ehemann angeeignet hatten, weiterlebten, lagen nicht in ihrem Interesse. Auch deshalb fielen die 50er und 60er Jahre frauenpolitisch noch hinter die Vorkriegsjahre zurück und erscheinen uns heute mit ihren stereotypen Rollenbildern so spießig. Bis Studenten und Studentinnen aufbegehrten und der 2. Frauenbewegung, die die meisten von uns hier unmittelbar geprägt hat, den Boden bereiteten.

Als der Stern 1971 mit der Schlagzeile „Wir haben abgetrieben“ erschien und die Republik erregte, war ich 16. Statt einer Ganzkörper-Nackten waren da plötzlich viele weibliche Gesichter auf dem Titel, noch dazu auch welche, die man kannte. Aufregende Diskussionen am Mittagstisch. Und – auch bei meiner Mutter – Bewunderung für den kolossalen Mut der prominenten Frauen, sich mit diesem Geständnis in die Öffentlichkeit zu begeben.

Seit dieser Zeit bin ich Feministin. Und habe versucht, diesen Begriff zu leben, privat wie beruflich.

Privat war es einfach: Ich habe 1985 einen Feministen geheiratet. Der sogar einen Doppelnamen akzeptierte, damit ich meinen behalten konnte und die Kinder nach mir hießen. Nach 5000 Jahren Patriarchat war es dafür mal an der Zeit, meinten wir.

Beruflich funktionierte das auch: Geschichten über Frauen waren in den frühen Achtzigern neu und gefragt. Also schrieb ich schon im Volontariat über die ersten Frauenverlage in Deutschland, über die erste Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, über Frauen, die ein Kind, aber keinen Mann wollten. Das waren die Anfänge, und daran konnte ich bei Mona Lisa wieder anknüpfen. 10 Jahre Frauenmagazin, in denen wir so ziemlich jedes relevante Thema, das es gab, auf die weibliche Perspektive abklopften.

Genderdebatten fanden bei Mona Lisa eher nicht statt – es war auch noch nicht die Zeit damals -, wir beschäftigten uns mit sehr handfesten Problemen: mit ungleichen Löhnen, geringeren Aufstiegschancen, unfairer Arbeitsverteilung in der Familie; mit Sexismus in der Werbung und im Alltag, Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch – alles Themen, die, obwohl es ML inzwischen nicht mehr gibt, nach wie vor aktuell sind.

Dann der Wechsel zu heute. Und die Frage, ob man für die Sache der Frauen auch in den Nachrichten eintreten kann? Wo es auf politische Neutralität und Objektivität ankommt? Die Antwort ist ja, das kann man. Wie Nachrichten ausgewählt, formuliert und gewichtet werden, zeigt, welche Themen eine Redaktion für relevant hält, und darauf hat jede Kollegin Einfluss. Deshalb ist es so entscheidend, dass eine Redaktion aus Frauen und Männern besteht, und auch aus Alten und Jungen, aus Menschen mit ausländischen Wurzeln und ohne, Menschen mit Handicap und ohne – Diversität eben.

Vor 22 Jahren, als ich anfing bei der heute, gab es allerdings nur etwa 10 Prozent Frauen bei den Nachrichten, heute stellen sie die Hälfte der Redaktion. Das ist toll, aber leider nur auf dieser Ebene so. Bei den Führungspositionen – das wissen wir alle – sieht das Verhältnis noch anders aus.

Und wenn inzwischen auch viele Frauen auf dem Bildschirm zu sehen sind, darf man sich davon nicht täuschen lassen. Denn mit zunehmendem Alter verschwinden sie wieder, werden unsichtbar, wie unlängst eine Studie der Uni Rostock verblüffend deutlich gezeigt hat: Nur bis zum Alter von Mitte 30 ist das Verhältnis der Geschlechter im Fernsehen ausgewogen. Danach kommen auf eine Frau zwei Männer. Jenseits der 40 sind es schon 4 Männer, jenseits der 50 kommen auf eine Frau im Fernsehen 8 Männer.

Solch weibliche Methusalems wie mich hat es – in nichtfiktionalen Formaten – zur Primetime bisher noch gar nicht gegeben. Alter ist zwar keine Leistung, wohl wahr, aber in diesem Umfeld, wo normalerweise Männer die Welt erklären, und in den derzeitigen Macht-Verhältnissen vielleicht dann eben doch.

Trotzdem sind wir heute definitiv weiter als vor 20 Jahren.

So viel weiter, dass eine große Zahl von Männern, die sich abgehängt fühlen, von Feministinnen sogar bedroht sehen. Das war das Thema der Podiumsdiskussion vorhin. Das ist kein erfreuliches, aber deutliches Zeichen dafür, dass Frauen an Macht und Einfluss gewonnen haben.

Auch ist der Feminismus populärer geworden und gilt vielen jungen Leuten in der Generation meiner Kinder als selbstverständlich. Heute erstarrt auch kaum mehr jemand vor Schreck, wenn ich erwähne, dass ich Feministin sei. Die #Aufschrei, #MeToo, die Konfrontation mit noch weit patriarchaleren, frauenfeindlicheren Traditionen in Einwandererfamilien und die Entstehung der Parteien und Bewegungen am rechten Rand haben jedoch vielen Menschen gezeigt, dass keine emanzipatorische Errungenschaft für die Ewigkeit ist. Dass vielmehr alles, was erreicht wurde, wieder verspielt werden kann (Andrea hat gerade darauf hingewiesen).

Dagegen arbeiten wir Journalistinnen an. Aufklären, recherchieren, einordnen, Zusammenhänge aufzeigen, unser tägliches Brot.

Machen wir einfach weiter.

Ich danke Ihnen sehr dafür, dass Sie mir – stellvertretend für viele Mitstreiterinnen  – heute den Rücken gestärkt haben.