Grafik Journalistinnenbund

Gabriele Mielcke: Laudatio für Sabine Zurmühl

Grauhaarige Frau mit Brille am Redepult

Laudatorin Gabriele Mielcke resümmiert das journalistisch bewegte Leben der Preisträgerin / Foto: Sophie Valentin

Liebe Sabine,

liebe Lore,
liebe Kolleginnen, liebe Gäste,

„Sieh überall mit Deinen eigenen Augen.
Verunstalte nichts: beschönige nichts.
Wie die Folgerungen fließen, so laß sie fließen.
Hemme ihren Strom nicht; lenke ihn nicht.“

Dieses Zitat, liebe Preisträgerin, stammt nicht von Dir.
Gotthold Ephraim Lessing hat es 1764 einer seiner religionsphilosophischen Schriften vorangestellt. Und weil Lessings Arbeitsmotto Deine Webseite durchzieht wie ein roter Faden, schauen wir uns jetzt mal zusammen an, was das Ganze mit Dir zu tun hat.

„Sieh überall mit Deinen eigenen Augen.“

1. Die Unabhängige

An der Uni lud der Professor eine Gruppe zu einen Seminarbesuch bei einem Dichter in Ost-Berlin ein – alles Jungs, männliche Kommilitonen. Aber Du, die Germanistin, wolltest mit.
Gönnerhaft meinte schließlich der Prof mit Blick zu Dir: „Ach, vielleicht können wir das Fräulein auch noch dazutun, es ist immer schön, wenn ein Mädchen dabei ist.“ Der Vorfall hat Sabine Zurmühl damals zutiefst gekränkt.
Selbstbehauptung als Frau musste sie früh lernen.

1947 geboren, im zerbombten Berlin, wuchs sie nach dem Tod des schwer kriegsversehrten Vaters in einem Drei-Weiberhaushalt heran: Die Mutter berufstätig, eine ältere Schwester.
Wenig Geld, aber viel kulturelles Kapital.
Lesehunger, Musik, Oper und Theater als Trost und Herausforderung.

Für Karajans Eröffnungskonzert der Philharmonie 1963 hast Du eine ganze Nacht angestanden, als Schülerin Bachs gewaltige Passionen mitgesungen und Halt in der Jungen Gemeinde gefunden.

In der Studentenbewegung hast Du Dein musisches Bedürfnis nicht unterdrückt – aber verschwiegen.
Dennoch formte die Auseinandersetzung mit Patriarchat und Machtstrukturen Dein politisches Denken.
Zunächst einmal hast Du in der Fakultät erfolgreich für eine reformierte Altgermanistik gestritten.

Das Studium, auch der Romanistik und Theaterwissenschaft, schloss Sabine Zurmühl an der FU Berlin mit Magister und Staatsexamen zweifach ab. Den Journalismus erlernte und übte
sie beim Rundfunk aus.

Dann der Schritt ins Offene: die Gründung der Courage 1976. Noch vor der Emma wohlgemerkt.
Rasch entwickelte sich die Zeitschrift zum publizistischen Organ der Frauenbewegung. Mit Sibylle Plogstedt warst Du Motorin dieser neuen Stimme. Von einer improvisierten Ladenwohnung bis zu 70.000 verkaufter Auflage. Jeden Monat. An den Kiosk und bundesweit in den Bahnhofsbuchhandel habt Ihr es geschafft. Von der Selbstausbeutung bis zu einem solidarischen Gehaltsmodell – Du selbst sagst: „Die Courage war mein Leben. Ich konnte mich so wahnsinnig ausprobieren.“

„Verunstalte nichts: beschönige nichts.“

2. Die Wahrhaftige

Nach acht Jahren war Schluss mit der Courage. An der wachsenden Konkurrenz im kommerziellen Printmarkt gab es nichts zu beschönigen.
Auf Veränderungen immer neugierig galten Sabine Zurmühls Recherchen fortan dem Dokumentarfilm.
„Sie findet alles“, beschreibt es Inge v. Bönninghausen, Deine langjährige Redakteurin beim WDR.
Mit Inge, die so viele Jahre auch den jb geprägt hat, verbindet Dich eine intensive Wegstrecke. Für diese Laudatio hat sie an Eure Pioniertaten im Öffentlich- Rechtlichen erinnert.

Ich zitiere:
„1985 haben Sabine und Sibylle eine Vorschau auf die 3. Weltfrauenkonferenz in Nairobi gemacht, da wir leider vom WDR keine Reisegenehmigung bekamen.
Sabine Zurmühls nächstes Feature war mit der Selbsthilfegruppe Wildwasser im Dritten der erste TV-Beitrag über sexuellen Missbrauch an Mädchen überhaupt. Anschließend lief ihr Film Das schreckliche Geheimnis – Sexueller Missbrauch in der Familie in der ARD. Auf Beschwerde eines Kollegen mussten wir, wenn – z. B. ein Vater oder Onkel – Täter genannt wurde, diese Bezeichnung wegpiepsen.
Dann hat Sabine für zwei Folgen der Serie UNERHÖRT – die Geschichte der deutschen Frauenbewegung Buch und Regie verantwortet. Auch hier eine Besonderheit. Der letzten Folge gab sie den unerhörten Titel

Außer Männern haben wir nichts zu verlier‘n.
Die Serie endet mit ihrem Satz ‚Kein Versuch einer Bilanz.‘
Das war eine tolle Leistung mit drei Hierarchien im NDR, HR und WDR. vier Redakteurinnen und neun Autorinnen.“
Soweit Inge v. Bönninghausen.
Heiße Eisen anzufassen, Tabubrüche zu wagen, hast Du Dich nie gescheut. Den Sendern die Frauenbrille aufzusetzen, erst recht nicht.
Viele Filme in gesellschaftspolitischem und kulturhistorischem Kontext folgten.

15 Tage Dreharbeiten, 15 Tage Schnitt für ein 45-Minuten-Stück. Wochen höchster Konzentration waren das, von den Monaten der Vorbereitung ganz abgesehen.
Morgens um sechs im Bett hattest Du schon die O-Töne mit der Hand abgeschrieben, später im Studio mit der Cutterin Filmstreifen und Tonspuren akribisch zusammengefügt – journalistisches Handwerk im Wortsinn. Heute kaum mehr vorstellbar.

„Wie die Folgerungen fließen, so laß sie fließen.“

3. Die Wagnerianerin

Als Publizistin und Buchautorin hat Sabine Zurmühl bedeutende biografische Werke vorgelegt:
2002 über die Schriftstellerin Maxi Wander – Das Leben, dieser Augenblick. Und 2022 das Opus Magnum über Cosima Wagner.

Nach jahrelangem Quellensichten räumt sie mit gängigen Klischees gründlich auf, indem sie sich ihrer widersprüchlichen Protagonistin in 33 Kapiteln nähert.
Völlig zu Recht hat das Buch hohe Aufmerksamkeit und Anerkennung bei Publikum und Fachwelt gefunden.
Zig Lesungen und Vorträge führten landauf, landab. Rezensionen erschienen in vielen überregionalen Medien. Demnächst kommt die englische Übersetzung heraus.

Ohne Cosima Wagners Hartnäckigkeit gäbe es die Bayreuther Festspiele nicht – für Sabine Zurmühl wäre das außerordentlich schade.

Du bist eine bekennende Wagnerianerin.

Viele Sommer hast Du schreibend auf dem Grünen Hügel verbracht. Und manchmal kräftig ausgeteilt.

In der taz, deren Bayreuth-Korrespondentin Du ein Jahrzehnt lang warst, lesen wir zum Beispiel am 8. August 1994 von Dir:
„Richard Wagner hat sein Leben lang mit Großsprecherei und Auftrumpferei über die Wunden seiner sozialen Herkunft hinwegaktioniert – und gleichzeitig mit seiner Musik die Berührbarkeit erhalten.“

Die Folgerungen, sie fließen, klar im Urteil, doch voller Respekt – getragen von souveräner Fachkenntnis.

„Hemme ihren Strom nicht; lenke ihn nicht.“

4. Die Vermittlerin

Mit Dependancen in Wien und Berlin, ist das Langzeitpaar und seit langem auch Ehepaar Lore Stefanek und Sabine Zurmühl zuhause im brandenburgischen Fläming bekannt wie seine Dackeldamen Elsie und Lilly.
Auf dem Land schöpft Ihr Kraft. Am liebsten gemeinsam. – soweit das Eurer beider anspruchsvolle Aufgaben erlauben.
Sonntags spielst Du in den Kirchen der Gemeinde die Orgel, hast im Kollektiv mit der Dorfgemeinschaft 800 Jahre Dorfchronik ediert.
„Ich bin ein Gruppenmensch“, sagst Du von Dir. Ich sage Dir: Du bist eine geniale Netzwerkerin.

Eine Vermittlerin.

Seit den 1990ern praktiziert Sabine Zurmühl auch als zertifizierte Mediatorin. Sie übernahm Führungsaufgaben in Fachverbänden. Sie bildet aus und veröffentlicht zahlreiche Expertisen. In diesem Frühjahr gab sie als Redakionsmitglied der Zeitschrift perspektive mediation, die in Wien erscheint, ein Sonderheft zum Thema Mißbrauch heraus.

Den Journalistinnenbund hat Sabine Zurmühl mitbegründet, vorangetrieben und verstetigt. Natürlich auch im Vorstand.
Als Juryvorsitzende des Marlies-Hesse-Nachwuchs-Preises führst Du das Vermächtnis seiner unvergessenen Namensgeberin mit großer Umsicht fort. So habt Ihr zum Beispiel die diesjährige Courage-Preisträgerin Isabell Beer bereits 2018 ausgezeichnet.
Sabine, wir beide sind Freundinnen seit unserer Vorstandsarbeit im jb, eine halbe Ewigkeit her.
Es ist mir ein Geschenk, Dich heute würdigen zu dürfen.

Deine Lebensleistung reicht über die Summe ihrer Teile weit hinaus. Dein genaues Hinschauen öffnet anderen die Augen.
Dein Wirken erschließt Räume.
Du zeigst, dass kritischer Journalismus und persönliche Haltung einander bedingen. Dass Konflikte und Empathie zusammengehören.
Dein Kompass ist die Sprache, eine faire, eine feministische Sprache. Ihren Strom hemmst Du nicht, lenkst ihn nicht. Du lässt ihm seinen Lauf.

„Die Balance halten, schwingen, eine gute Position finden, in Bewegung sein, mit Verantwortung für sich selbst,
aber in Kontakt mit anderen Menschen. Das Risiko ist da,
der Ausgang nicht sicher. Manchmal sogar lustvoll und mit Narrenkappe, das Leben nicht todernst nehmen, voller Energie und heutig.“

Das Zitat, liebe Preisträgerin, stammt von Dir und steht auch auf Deiner Webseite. Hoffentlich noch lange keine Bilanz.

Danke Dir.
Gabriele Mielcke

Drei Frauen bei Preisverleihung auf der Bühne

Gratulation Sabine Zurmühl, zur Hedwig-Dohm-Urkunde für das Lebenswerk / Foto: Sophie Valentin

Dankesrede der Preisträgerin Sabine Zurmühl
→ Die Verleihung der jb-Medienpreise 2025