Grafik Journalistinnenbund

Hedwig Dohm und der Journalistinnenbund

Schwarz-Weiß-Foto von Hedwig Dohm im mittleren Alter

Hedwig Dohm, Quelle: bpk-Bildagentur

Hinter jeder Geschichte lockt noch eine Geschichte:

„Warum und wie wurde Hedwig Dohm zu einer wichtigen Bezugsperson für den jb? Wer hat das initiiert? Wie wurde daraus die Hedwig-Dohm-Urkunde? Wer hat das Projekt Grabstein initiiert und wer hat es finanziert?“

Von Dr. Inge von Bönninghausen, ehemalige jb-Vorsitzende

Mit vier scheinbar simplen Fragen hat Ulrike Helwerth vertrauensvoll mein Gedächtnis in Gang gebracht. Leider verlief die Erinnerungsarbeit bald im Ungewissen. Wenn ich die Fragen beantworten will, muss alles stimmen, belegbar sein. Die jb-Festschriften geben wenig her. Also ist die erste Adresse das Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) in Kassel. Dort wurden die jb-Akten von 1987 bis 2006 sorgfältig zu Findbüchern aufbereitet. Mit fachkundiger Unterstützung finde ich im Jahr 1989 einen Hinweis auf erste Überlegungen im Vorstand „zum Profil eines vom Verband zu verleihenden Journalistinnenpreises (Hedwig-Dohm-Preis)“. Im selben Jahr schickte die Hamburger Regionalgruppe der Vorsitzenden einen eigenen Entwurf für einen solchen Preis, der zwar in einer Arbeitsgruppe, aber aus Zeitmangel nicht mehr vom Plenum der Mitgliederversammlung diskutiert wurde. Das fand 1990 dann in München statt.

Und jetzt wird’s strittig: Laut Protokoll dieser Mitgliederversammlung hatten sich die Hamburgerinnen schon im Vorjahr darüber geärgert, dass die jb-Vorsitzende Gisela Brackert zeitgleich in der Jury für den EMMA-Preis saß, dessen Kriterien mit denen ihres Vorschlags „merkwürdige Übereinstimmungen“ zeigten. Gisela Brackert hielt dagegen, es könne gar nicht genug Preise für Journalistinnen geben und in der EMMA-Jury erfahre sie doch, wie der DJB (damals noch Deutscher Journalistinnenbund) sich davon unterscheiden könne. Das D für „Deutscher“ wurde später auf Wunsch des Deutschen Juristinnenbundes aus unserem Vereinsnamen gestrichen.

Zu guter Letzt beschlossen die Mitglieder, dass der Vorstand ein Konzept zur Abstimmung vorlegen solle. Da gab es viel zu besprechen: Welche journalistischen Leistungen sollten prämiert werden? Sollte der Preis dotiert sein? Und wenn ja, woher das Geld nehmen? Eine feste, bezahlte Jury? Reisekosten? Das war in einem Jahr nicht zu bewältigen, und schon gar nicht in einer Zeit noch ohne elektronische Kommunikation; und so wurde die FAZ-Redakteurin Maria Frisé 1991 auch ohne Beschluss und ohne Hedwig Dohm für ihre Verdienste geehrt. Der Auftrag wurde dem nächsten Vorstand vererbt. Auch der brauchte mehr als ein Jahr. 1993 dann bekam die ZEIT-Korrespondentin Marlies Menge die erste, nicht dotierte „Hedwig-Dohm-Urkunde“ für ihre langjährige Berichterstattung aus der DDR und später aus den neuen Ländern.

Ein unglaublich hohes Maß

Seltsamerweise finde ich nirgends Einwände gegen Hedwig Dohm als Namensgeberin. Das hat mich gewundert, denn sie gehörte zur Gruppe der Radikalen um Minna Cauer, die sich bewusst von der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung unterschieden. Der rief Dohm zu: „Mehr Mut ihr Frauen“. Ihre Forderung nach dem Frauen-Wahlrecht war im Kaiserreich revolutionär und ihr Satz „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“ reichte weit hinaus über die pragmatischen, berufspolitischen Ambitionen unseres damaligen DJB. Deshalb gab ich zu bedenken, dass wir mit Hedwig Dohm „ein unglaublich hohes Maß setzen.“

Meine eigene Geschichte mit der spitzzüngigen Publizistin begann, als ich Anfang der 1980er Jahre das 15×10 cm kleine Büchlein „Emanzipation“ gelesen habe. Die Klebebindung meines Exemplars ist völlig aufgelöst, aber jede Menge Merkzettel stecken immer noch zwischen den losen Blättern. 1977 hatte Berta Rahm es in ihrem Ala Verlag herausgegeben. Dohms Abhandlung über „Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau“ aus dem Jahr 1874 ist hier umrahmt mit einem Vorwort von Renate Bookhagen, einem Nachwort von Berta Rahm und einer Sammlung kurzer Dohm-Schriften. Voller Begeisterung auch über „Was die Pastoren denken“ und „Der Frauen Natur und Recht“ fuhr ich nach Zürich, um Berta Rahm kennenzulernen.

Stundenlang haben wir über Dohm und deren ganz eigene Technik der satirischen Entlarvung gesprochen. Sie nahm Zitate wörtlich, filetierte sie, überspitzte oder widerlegte den Unsinn im Duktus ihres Gegners:

„Der Mann hat längere Beine als die Frau‘ bemerkt sehr richtig Herr v. Bischoff. Ein Schlußsüchtiger könnte allenfalls daraus schließen, daß der Mann sich mehr zum Briefträger eigne als die Frau, ihr aber aus diesem Grunde die Fähigkeit zum Erlernen des Griechischen und Lateinischen absprechen zu wollen, ist mehr kühn als logisch gedacht.“

Eine mühsame Recherche

Hier lockt noch eine Geschichte. Berta Rahm erzählte auch, dass sie den Ala Verlag für feministische Literatur gründete, weil die Frauenfeindlichkeit es ihr als erster Architektin in der Schweiz unmöglich machte, von ihrem Beruf zu leben. Sie schilderte ihre mühsame Suche nach Dohms Texten, ihre Reisen von Bibliothek zu Bibliothek in Deutschland und zu fast allen Frauenbuchläden. In Berlin bedankte sie sich bei den Herausgeberinnen des ersten Frauenkalenders 1975 (Bookhagen, Scheu, Schläger, Schwarzer, Zurmühl) dafür, dass sie an die lange vergessene Hedwig Dohm erinnert hatten.

Und damit zurück zum Anfang der Geschichte. Ich hatte Sabine Zurmühl gefragt, ob sie sich erinnern könne, wer damals Dohm in die Überlegungen des Vorstands eingebracht hatte. Leider nicht, wohl aber daran, dass sie und Renate Bookhagen beim ersten Frauenkalender Dohm zu ihrem „Maskottchen“ erkoren hatten. „Als kleine Karikatur führte sie durch den Kalender, und wir wollten sie unbedingt norddeutsch mit ch am Ende schreiben. Renate Bookhagen hat dann auch eine Themenseite in Form eines Briefes zu ihr geschrieben.“ Dafür muss sie andere Quellen genutzt haben, denn bei Ala erschienen die vier wichtigsten Schriften Dohms erst 1977 bis 1989.

Ich erzähle dies so ausführlich, weil es ein Licht wirft auf die Schwierigkeiten beim Erhalt des Dohmschen Werkes. Nikola Müller und Isabel Rohner arbeiten seit 2006 an der Edition Dohm, können diese erste kommentierte Gesamtausgabe aber nur Band für Band herausbringen, da bisher keine Financière für das gesamte Projekt zu gewinnen war. Im selben Jahr geht auch die Geschichte vom jb und Hedwig Dohm weiter. Ende Dezember desselben Jahres übernimmt der Journalistinnenbund gegen eine Gebühr von 1.800 Euro die Patenschaft über ihr Grab auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg für 20 Jahre. Einfach so oder noch eine Geschichte?

Hedwig-Dohm sichtbar machen

Wer die Grabstätte gefunden hat, erfahre ich aus einer Bemerkung im SPD-Antrag an die Bezirksverordnetenversammlung Berlin Tempelhof-Schöneberg zur Umbenennung einer Straße in Hedwig-Dohm-Straße. Schon 1997 war die von der Historikerin und späteren Grünen-Abgeordneten Reingard Jäkl ins Leben gerufene Initiative „Hedwig Dohm sichtbar machen“ auf das Grab gestoßen. Vermutlich, weil Dohms Eltern konvertierte Juden waren, wurde es eingeebnet und neu belegt. 2007 sollte es wieder frei sein.

Die Neugier hat mich inzwischen ziemlich weit weg gelockt vom jb. Die alljährliche Verleihung der Hedwig-Dohm-Urkunde war fast schon zum Ritual geworden. Nach vierzehn Geehrten rückt die Namensgeberin 2006 selbst wieder ins Blickfeld – eine der klügsten, witzigsten und mutigsten Frauen. Einem Mailverkehr zwischen Marlies Hesse, zwei Berliner Künstlerinnen und der Bonner Autorin Marianne Krüll im November jenes Jahres entnehme ich, dass letztere eine zentrale Rolle spielt. Ihre Geschichte mit Hedwig Dohm könnte meine Recherche weiterbringen.

Seit über zwanzig Jahren hatten wir keinen Kontakt. Deshalb und mit Rücksicht auf ihr Alter zögere ich kurz, rufe sie dann aber doch an. Marianne freut sich riesig über meine Fragen nach Vergangenem und doch nicht Vergessenem. Angeregt durch Heike Brandts Dohm-Biografie „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“ (1989) hatte sie sich an Reinhard Jäkl gewandt. Beide wollten schon 2001 ein Denkmal errichten, mussten aber warten bis die Grabstätte frei wurde. Wie und wann sie Marlies Hesse für dieses Vorhaben gewonnen hat, weiß Marianne nicht mehr. Wie traurig, dass ich Marlies nicht mehr fragen kann. Vielleicht, weil frau sich in der alten Hauptstadt einfach kannte? Hier schlummert noch eine Geschichte, nämlich die der Frauenbewegung in Bonn. Ein ganz eignes Netzwerk mit lockeren Fäden zu den Unbeugsamen. Diese Geschichte lasse ich anderen.

Das Ehrengrab

Dass Marlies mich angeworben hat, weiß ich. Unsere „kleine AG“, so Marlies, vergab an zwei Berliner Künstlerinnen den Auftrag für einen Entwurf im Kostenrahmen zwischen 6.000 und 8.000 Euro. Von Marianne Krüll bekomme ich das Protokoll ihrer leidenschaftlichen Diskussion mit den beiden über Material und Form. Ihr Vorschlag, mit Beton zu arbeiten, überzeugte uns aber überhaupt nicht. Über das Frauenmuseum Bonn kamen wir dann zu Ulrike Oeter und dem Glaskünstler Detlef Tanz. Es wurde weißer Marmor mit rotem Glas, geformt wie aufgeschlagene Buchseiten.

Gleichzeitig sammelte die „kleine AG“ Geld. Briefe an die bis dahin mit der Hedwig-Dohm-Urkunde Geehrten bezogen sich noch einmal auf deren besondere Verdienste. Wir baten Freundinnen und Bekannte um Spenden und schrieben einen Formbrief zum Weiterverbreiten. Auf das Sonderkonto gingen über hundert Spenden ein. Da nirgends schriftliche Unterlagen zu finden sind, kann ich nur annehmen, dass die Kosten für Grabstätte und Denkmal gedeckt wurden.

 

Grabstein mit rotem Glasaufsatz: Das Ehrengrab für Hedwig Dohm

Das Ehrengrab für Hedwig Dohm auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg / Foto: Thomas Stuck

Ihren vorläufigen Abschluss findet diese Geschichte 2019 mit der Anerkennung der Gedenkstätte als Ehrengrab der Stadt Berlin. Dafür hatten sich Rebecca Beerheide, ehemalige jb-Vorsitzende, und Isabel Rohner rund zehn Jahre lang engagiert.

Im September 2024 schließlich treffen sich jb-Freundinnen zu einer Gedenkfeier an die im selben Jahr verstorbene Marlies Hesse an dem markanten weißen Grabstein aus Marmor mit seiner leuchtend roten Krone.

 

Portrait Inge von Boenninghausen

Dr. Inge von Bönninghausen
Im Oktober 2024

Die WDR-Journalistin ist Mitgründerin des Journalistinnenbundes. Sie war von 1991 bis 1999 dessen Vorsitzende und erhielt 1999 als siebte Preisträgerin die Hedwig-Dohm-Urkunde. / Foto: Malin Kundi

 

Nahaufnahme drei rote Tassen mit Aufdruck: Journalistinnenbund, Mehr Stolz Ihr Frauen, HedwigDohm 1831-1919

1991 lies der Journalistinnenbund auf Initiative von Gabi Dewald solche Becher mit dem Aufdruck „Mehr Stolz ihr Frauen“ als Giveaways anfertigen. Das Zitat stammt von Hedwig Dohm. / Foto: Eva Hehemann