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Hedwig Dohm (1831-1919) – Zum 100. Todestag einer Visionärin

Am 1.6.1919 – vor genau 100 Jahren – ist die Berliner Autorin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm gestorben. Für den Journalistinnenbund ist Hedwig Dohm seit Beginn prägendes Vorbild, mit der Hedwig Dohm-Urkunde ehrt er jedes Jahr eine Journalistin für ihre Lebensleistung. Dank der Initiative des Journalistinnenbundes und der Dohm-Herausgeberin Isabel Rohner wurde das Grab von Hedwig Dohm in Berlin-Schöneberg wiederentdeckt und in diesem Frühjahr zu einem Ehrengrab umgewandelt. 

Ein Gastbeitrag von Isabel Rohner

Hedwig Dohm

Hedwig Dohm

Hedwig Dohm dachte das Undenkbare und forderte das scheinbar Unmögliche: Männer und Frauen sollten rechtlich, sozial und ökonomisch vollkommen gleichberechtigt sein. Ihre Begründung? Weil Männer und Frauen Menschen sind – und Menschenrechte kein Geschlecht haben.

Auch in ihrer Vorstellung von Demokratie war Dohm ihren Zeitgenossen um Jahrzehnte voraus: Bereits 1873 forderte sie das Frauenwahlrecht. Der damaligen Frauenbewegung – heute nennt man sie die „gemäßigte bürgerliche Frauenbewegung“ – gingen diese Forderungen viel zu weit. Kein Wunder, denn nach der gescheiterten 1848er Revolution galt das Vereinsverbot für Frauen. Hätten jene Organisationen der Frauenbewegung das Stimmrecht gefordert – sie wären sofort verboten worden. Stattdessen konzentrierten sie sich v.a. auf die konkrete Verbesserung der Mädchenbildung und die Öffnung einiger weniger Berufe für Frauen – schlicht mit dem Ziel, dass Frauen nicht verhungern mussten, wenn sie keinen Ernährer fanden. Doch Hedwig Dohms Vorstellungen einer Gesellschaft gingen viel, viel weiter als ein bisschen mehr Bildung und ein bisschen bessere Überlebenschancen. Dohm forderte: alles. Und sie stand dafür öffentlich ein.

Die Reaktionen auf Dohms Texte – heute allesamt Klassikerinnen der feministischen Literatur – waren heftig: Sie und ihre Familie erhielten Drohbriefe, auf der Straße wurde sie beschimpft, in Zeitungen machte man sich über ihre absonderlichen Forderungen lustig: Wie: Frauen sollten gleichberechtigt sein? Sie wollten Ärztinnen und Anwältinnen werden? Und wer sollte dann das Kochen und Bügeln übernehmen? Etwa die Männer? Höhnendes Gelächter!

Doch alle Hetzkampagnen konnten die bestens vernetzte Autorin nicht davon abhalten, sich für ihre Überzeugungen stark zu machen und ihre Forderungen immer und immer wieder in die Öffentlichkeit zu tragen. Dabei war sie eine innovative Meisterin der Genres, schrieb Romane, Novellen, Theaterstücke, war Literaturkritikerin, Feuilletonistin und eine begnadete Polemikerin, die auch die angesehensten Intellektuellen ihrer Zeit mit Witz und Ironie effektreich in die Schranken wies. Auch ein Friedrich Nietzsche kriegte sein Fett weg.

Erst ab den 1890er Jahren fand Hedwig Dohm im erstarkenden radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung „Schwestern im Geist“, die sie als Pionierin entdeckten und sich ihren Forderungen anschlossen.

Die Einführung des Frauenwahlrechts erlebte Hedwig Dohm noch, auch an der ersten Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 konnte sie noch teilnehmen. „Zu spät, zu spät“, soll sie dazu gesagt haben, sie hatte ihr Leben lang für dieses Recht gekämpft.

Einweihung des Ehrengrabs für Hedwig Dohm am 24.3.2019 (Foto: Sharon Adler, PIXELMEER)

Nach ihrem Tod geriet sie viel zu schnell in Vergessenheit. Dies lag auch daran, dass ihre Familie jüdische Wurzeln hatte und ihre Nachkommen unter den erstarkenden Nationalsozialisten gut daran taten, Deutschland zu verlassen. Aber auch daran, dass sich kein Archiv um ihre Texte kümmerte, es gab auch eine Gesamtausgabe ihrer Werke. Auch Dohms Grab auf dem St. Matthäus Kirchhof in Berlin-Schöneberg verschwand schon wenige Jahre nach ihrem Tod. Erst 2007 konnte es der Journalistinnenbund (jb) wieder sichern und einen Grabstein zum Gedenken an Hedwig Dohm errichten. Für den Journalitinnenbund ist Hedwig Dohm seit Beginn prägendes Vorbild, mit der Hedwig-Dohm-Urkunde ehrt er jedes Jahr eine Journalistin für ihre Lebensleistung.

Rebecca Beerheide, Isabel Rohner, Nikola Müller und Renate Künast bei der Einweihung des Ehrengrabs für Hedwig Dohm am 24.3.2019 (Foto: Sharon Adler, PIXELMEER)

2019, pünktlich zu Dohms 100. Todesjahr, wurde dieses Grab zu einem Ehrengrab des Landes Berlin. Dem gemeinsamen Antrag von Rebecca Beerheide als jb-Vorsitzender und Dohm-Biografin Isabel Rohner wurde endlich stattgegeben. Berlin würdigt damit – es wurde wirklich Zeit! – die Verdienste dieser großen Tochter der Stadt um Demokratie und Gleichberechtigung.

Und Dohms Gesellschaftsvisionen? Sind noch heute brandaktuell. Rechtlich, sozial und ökonomisch sollen Männer und Frauen gleichberechtigt sein. Wir brauchen nur an den frauenverachtenden §219a zu denken, an die frauenfreien Führungsriegen von ADAC über Zalando bis zum Bundesinnenministerium, an Altersarmut als vornehmliches Frauenproblem und Gender Pay Gap und wir müssen schmerzhaft erkennen: Hedwig Dohms Ziele sind noch lange nicht erreicht. „Man kommt sich auf dem Gebiet der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor“, schrieb Hedwig Dohm einmal. Auch mit dieser Feststellung hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen.

Der 100. Todestag von Hedwig Dohm ist ein guter Anlass an sie zu erinnern – als eine wunderbar vielseitige Autorin und als Mensch, der bereit war, auch unter widrigsten Umständen und heftigstem Gegenwind immer für seine Überzeugungen einzustehen.

 

Links:

https://mediathek.rbb-online.de/tv/Abendschau/Die-Frauenrechtlerin-Hedwig-Dohm/rbb-Fernsehen/Video?bcastId=3822076&documentId=63512346

https://www.deutschlandfunk.de/vor-100-jahren-gestorben-hedwig-dohm-kaempferin-fuer.871.de.html?dram:article_id=450138

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-hedwig-dohm-frauenrechtlerin-todestag--100.html

 

Zum Weiterlesen:

  • Isabel Rohner: Spuren ins Jetzt – Hedwig Dohm, eine Biografie. Ulrike Helmer Verlag 2010.
  • Die Edition Hedwig Dohm, die erste kommentierte Gesamtausgabe von Hedwig Dohms Werken, wird von Nikola Müller und Isabel Rohner herausgegeben und erscheint im trafo Verlag Berlin.