Grafik Journalistinnenbund

Laudatio auf Christina von Braun

Braun-Hedwig-Dohm240x210-ba7a3b43Am 25. Mai 2014 zeichnete der Journalistinnenbund Christina von Braun mit der Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk aus. Die Laudatio hielt Inge von Bönninghausen.

Vorbemerkung:

Was ich hier versucht habe, geht eigentlich nicht: die Laudation auf eine Autorin, Wissenschaftlerin und vor allem Filmemacherin zu veröffentlichen ohne die Filmausschnitte, aus denen das Lob seine Kraft und Legitimität schöpft. Das ist desto bedauerlicher, als Christina von Braun eine Meisterin in der Form des Filmessays ist. Da aber die Rechte an den Filmen zu teuer sind und ich die Laureata gerne auch denjenigen vorstellen möchte, die bei der Ehrung nicht dabei waren, habe ich mich bemüht, die Essenz der Ausschnitte zu beschreiben.

Sehr geehrte Gäste, verehrte liebe Christina,

es war ganz einfach schön, aus dem heutigen Anlass konzentriert noch einmal deine Bücher
zu lesen – nein, nein nicht alle – und Filme von dir zu sehen – nein, natürlich auch nicht alle
vierzig. Ich habe mich an Vorträge erinnert, zum Beispiel den über „Frauen im Spiegel der
Medien“ auf der EXPO 2000 in Hannover und bin auch in Gedanken noch einmal durch euer
wunderschönes Haus in Paris gegangen mit den handgemalten alten Kacheln in der großen
Küche und hatte deinen 50. Geburtstag vor Augen, bei dem mich deine musizierenden Kinder
ganz besonders beeindruckt haben.

Das intensivste gemeinsame Erlebnis war aber ganz sicher die Arbeit an der Fernsehreihe
„UNERHÖRT – die Geschichte der deutschen Frauenbewegung von 1848 bis heute“ – und
dieses heute war 1987. Zwölf Folgen in Koproduktion von HR, NDR und WRD mit vier
Redakteurinnen und sieben Filmemacherinnen, ein Mammutwerk, das uns manchmal an den
Rand der Verzweiflung getrieben hat. Aber das lassen wir jetzt. Du hast dich damals für zwei
Folgen über die Zeit von 1865 bis 1908 entschieden, eine Zeit des Aufbrechens der Frauen in
die Öffentlichkeit und vielfältiger sozialer Aktivitäten, weil Politik ihnen verboten war. Vor
allem aber war es die Zeit des Kampfes um Bildung.

Ich habe mir überlegt, dass es wohl das Passendste ist, uns allen zur Freude und dir zur
besonderen Ehre auf deine Arbeit zurück zu blicken, sie anzusehen – wenn auch nur in
wenigen kurzen Ausschnitten. Für manche werden sie Erinnerung sein, für andere eine
Entdeckung. Beginnen wir also – was läge näher – mit Hedwig Dohm und verbinden so dein
Lob mit der Erinnerung an die schärfste Kritikerin männlicher Dummheit und Arroganz. Fast
die gesamte Gelehrtenschaft ihrer Zeit zog gegen die Frauenrechtlerin und ihre
Mitstreiterinnen zu Felde mit Argumenten, die allesamt statt auf den weiblichen Kopf auf den
Unterleib zielten. Es ging um nichts Geringeres als um die Natur des Weibes.
Ausschnitt aus UNERHÖRT Folge 4 Der Kampf um Bildung

Christina von Braun inszeniert hier ein Streitgespräch zwischen Hedwig Dohm und dem
bekannten Anatom Prof. Bischoff mit Zitaten aus beider Schriften. Sarkastisch widerlegt
Dohm jedes Argument Bischoffs, der aus anatomischen Unterschieden der Geschlechter
ableitet, dass der Mann mit dem Kopf das Gefühl beherrscht, die Frau aber mit dem Gefühl
vor allem Gefühl ist und deshalb zum Studium ungeeignet.

Für dich, Christina, hat sich der Streit über das Frauenstudium nicht mit der Öffnung der
Universitäten erledigt. Ganz im Gegenteil: Natur und Kultur, Geschlechterordnung und
Wissenschaft wurden zentrale Themen deiner Filme und Bücher und schließlich ab 1994
deiner Forschungs- und Lehrtätigkeit als Professorin für Kulturtheorie mit dem Schwerpunkt
Geschlecht und Geschichte an der Humboldt Universität Berlin. Du hast die Umbruchzeit an
dieser altehrwürdigen Alma Mater gut genutzt: die „nährende Mutter“ hast du um den
interdisziplinären Studiengang „Gender Studies“ bereichert. Und das war harte Arbeit. Ich
erinnere mich gut, wie du von der aufreibenden Überzeugungsarbeit bei Kollegen und
Gremien erzählt hast bis es endlich 1997 geschafft war, zehn Jahre nach den Filmen über den
Kampf um Bildung.

Die festliche Auftaktveranstaltung hast du eröffnet mit einem Vortrag über die Frage „Warum
Gender Studies?“ und hast ihn eingeleitet mit ausführlichen Zitaten eben jener Gegner des
Frauenstudiums, mit denen Hedwig Dohm sich so geistreich angelegt hatte. Gender Studies
so hast du gesagt, sollen herausfinden, wie die Dichotomien Kultur – Natur, Verstand – Gefühl,
Männlichkeit – Weiblichkeit entstanden und wirkungsmächtig geworden sind. Und sie sollen
erforschen, was den Mentalitätswandel bewirkt hat, der zuließ, dass wir heute die viel zitierte
best- ausgebildete Frauengeneration haben. Was ist da passiert? Hat sich in nur hundert
Jahren die denkunfähige „Natur der Frau“ komplett verändert?Und wieder ein paar Jahre
später finden wir in dem Buch „Gender@Wissen“ Antworten auf diese Fragen, aber auch
neue Ungewissheiten. Wie tief ist der Wissenschaft und Wissensordnung selbst die
Geschlechterordnung eingelagert? Was bedeutet es zum Beispiel, dass sich die Zuordnungen
Kultur = männlich, Natur = weiblich umgekehrt haben, wenn wir sehen, dass die Naturwissenschaften
heute weitgehend Männerdomänen sind, die Kultur-wissenschaften
überwiegend von Frauen gewählt werden?

Mit Begabung wird das wenig zu tun haben.
Womit also dann?

Quer durch alle Themenfelder: Körper, Globalisierung, Sexualität, Lebenswissenschaften,
Gedächtnis und Sprache fächert dieser Band den ganzen Erkenntnisreichtum der Gender
Studies auf. Vor dieser Zeit an der HU und zum Teil parallel zur wissenschaftlichen Arbeit hat
Christina von Braun 40 Filme gedreht. Hier eine kleine Auswahl der Sujets:

  • Kunst und Künstlichkeit: Gustave Moreau, Claude Monet und die Geburt der Photographie
  • Frühstück im Pelz. Ein Portrait von Meret Oppenheim
  • Die Waffen nieder. Eine Geschichte des Pazifismus
  • Die Erben des Hakenkreuzes. Die Geschichte der Entnazifizierung in beiden deutschen
    Staaten
  • Die Frau lebt nicht vom Kind allein. Zur Geschichte der Mütterlichkeit in Europa.
  • Eine Filmtrilogie über den ewigen Judenhass

Auf zwei Filme möchte ich näher eingehen, weil sie uns als Journalistinnen und
Medienschaffende ganz besonders interessieren dürften.

Ausschnitt aus dem Film: Der Sinn des Sehens – Augen-blicke der Geschlechter
Beginn des Films: eine Frau beobachtet mit dem Fernglas eine Frau im gegenüberliegenden
Haus, die fernsieht. Es ist ein Verwirrspiel von Sehen und Gesehen werden, beim Sehen
zuzusehen, ohne selbst gesehen zu werden.

„Der Sinn des Sehens“ – wie wunderbar doppeldeutig – ist ein Essay, ein „Versuch“ also, der
es erlaubt, Philosophie, Geschichte, Malerei, Gartenarchitektur und Tanz in den Blick zu
nehmen, um Gedanken über das Sehen und über die Geschlechter anschaubar zu machen. Wir
überspringen Antike und Mittelalter und kommen gleich zur großen Wende der europäischen
Kultur in der Renaissance.

Ausschnitt aus: Der Sinn des Sehens – Augen-blicke der Geschlechter
Maler und auch Landschaftsarchitekten der Renaissance entdecken die Zentralperspektive.
Sie rücken den Menschen und Seinen Blick auf die Welt ins Zentrum. Er vermisst, durchschaut
und gestaltet die Natur, draußen ebenso wie im Bild. (Die Frau steht für Natur, der Mann für
Kultur). Das Raster der Zentralperspektive legt der Maler auch auf den weiblichen Körper
und macht ihn zum Objekt des männlichen Blicks.

So hat eine neue Perspektive den Blick auf die Welt- und auf die Geschlechter von Grund auf
verändert. Sehen, das zeigst du uns, ist mehr als die biologische Funktion des Auges.
Unterschiedliche Epochen machen sich unterschiedliche Bilder von der Schöpfung, von der
Natur und vom Menschen, der Kultur schafft. Diese Bilder wiederum wirken zurück auf die
gelebte Wirklichkeit. Ist das schon der Sinn des Sehens? Der Film erzählt weiter, wie im
historischen Verlauf das Sehen immer mehr durch technische Geräte beeinflusst wird:
Vergrößerungsglas, Fernrohr, Fotoapparat und schließlich der Film. Das mechanische Auge
erlaubt einen tieferen und weiteren Blick, es macht möglich, dass wir Zeit und Bewegung im
Foto anhalten und so das Gesehene verewigen.

Was sich messen und berechnen lässt, verliert sein Geheimes, ist nicht mehr bedrohlich. Und
schließlich können wir uns im Kino sowohl mit dem Auge der Kamera identifizieren als auch
mit den Figuren auf der Leinwand. Noch einmal zum „Sinn des Sehens“.

Ausschnitt aus Der Sinn des Sehens – Augen-blicke der Geschlechter
Um 1900 wird der Walzer erfunden, bei dem sich das Paar, im Unterschied zu den Tänzen
vorheriger Epochen, ganz auf sich bezieht. Fast gleichzeitig wird die Fotografie erfunden
und der Film setzt beide in Beziehung: das Paar ist im Führen und geführt Werden so
symbiotisch verbunden wie Positiv und Negativ in der Fotografie. Um dieselbe Zeit wird die
Hypnose zu einem beliebten Gesellschaftsspiel. Fasst immer ist eine Frau die Hypnotisierte,
willenlos dem männlichen Blick ausgesetzt.

Vom Walzer zur Hypnose: das ist einer der für dich so charakteristischen
Gedankenschwünge, bei denen einer manchmal auch schwindelig werden kann. Der – wie du
ihn nennst – penetrierende Blick will sich des inneren Geheimen bemächtigen, genau so wie
auch die Psychoanalyse. Sie nahm ihren Anfang bei der Hysterie, der Frauenkrankheit par
excellence. Die Hysterie ist das zentrale Thema deines ersten wichtigen Buches, das nach
siebenjähriger Arbeit 1985 erschienen ist: NICHT ICH. Logik, Lüge, Libido. „Ein Buch über
Hysterie schreiben, heißt ein Buch über die Unvernunft verfassen – und das ist ein
Widerspruch in sich. Denn die Schrift ist Logik, ist Voraussetzung für logisches Denken, die
Hysterie aber ist Anti-Logik … Worte, Begriffe, Ausdrücke verlieren jegliche Klarheit, jede
fest umrissene Bedeutung, die sie bisher besessen haben mögen. Sie vermitteln Inhalte und
Sinne, die zugleich das eine und sein Gegenteil sein können. Die Hysterie ist die große
Lehrmeisterin der Widersprüchlichkeit – und des Widerspruchs“.

Dieses Buch enthält Schlüsselfragen, denen wir immer wieder in Christina von Brauns Werk
ausgesetzt werden: wie verhalten sich das Ich und das Nicht-Ich, das Fremde, zu einander?
Dieses Fremde erscheint im anderen Geschlecht, aber auch im Juden und im Islam. Welche
Bilder bringen das Abstrakte zur Anschauung, und wie verdrängt das Abstrakte sinnlich
Erfahrbares? Alldem ist die Frage eingeschrieben nach der Bedeutung von Weiblichkeit und
Männlichkeit in der abendländischen Geschichte.

Der letzte Film von Christina heißt „Schönheit verzweifelt gesucht“ und beginnt mit dem
Versprechen, einem Freund in sieben Tagen (!) eine „perfekte Abhandlung“ über die
Schönheit zu liefern. Ein geschickter Trick, um für die unterschiedlichsten Aspekte einen
Rahmen zu schaffen. Es müssen natürlich sieben Tage sein, keiner mehr und keiner weniger.
Die Ich-Erzählerin, Christinas Stimme, im Bild aber eine nur vage erkennbare Schauspielerin,
beginnt mit einer Buchrecherche, will dann aber lieber ihren eigenen Beobachtungen folgen.
Dort die Bücher, hier die Anschauung. Wo also die Schönheit suchen?

Ausschnitt aus: Schönheit verzweifelt gesucht
Die Suche beginnt im Filmmuseum, Berlin. Hier überdauert die Schöne, bleibt ewig gleich
und kann alles gleichzeitig sein. Marlene Dietrich ist die Diva schlechthin, die Göttliche, die
Unsterbliche. Vielleicht hat Schönheit etwas mit Unsterblichkeit zu tun.
Die Schöne soll alles Widersprüchliche in sich vereinen, aber das geht wohl nur in der
Kunstwelt des Kinos. Und warum ist es immer die Schöne? Vermutungen über Körper und
Männlichkeit findet die verzweifelt Suchende bei Men’s Health und im Fitness Studio. Über
die unterschiedlichen Wünsche seiner weiblichen und männlichen Kunden gibt ein
Schönheitschirurg Auskunft. Weiter führt die Recherche zu einer Fotografin, die jede Frau zur
Diva macht, in eine Vintage Boutique voller Kleider, Hüte, Schmuck – und dann in die Oper.
Wer hier schön sein will, muss sterben, vor aller Augen und mit viel Musik.

Die Quintessenz: Alle haben Vorstellungen von dem, was Schönheit soll, nicht aber eine
Antwort auf die Frage, was sie ist. Der Freund ruft wieder an und macht auf die Love Parade
aufmerksam: Viel Anschauungsmaterial für die perfekte Abhandlung über Schönheit, meint
er.

Ausschnitt: Schönheit verzweifelt gesucht
Fast nackte Frauen und Männer auf der Love-Parade. In leicht ironischem Ton, der auch
sonst in diesem Film häufiger angeschlagen wird, geht es darum, dass Körper und Bewegung
ihre Symbolkraft verloren haben. Das Nackte behauptet das Wahre zu sein. Es kann sogar als
Kostüm getragen werden, wo alle kostümiert sind.

Bei dieser Passage des Films habe ich gleich zu dem Buch „Verschleierte Wirklichkeit. Die
Frau, der Islam und der Westen“ gegriffen, weil ich mich erinnern konnte, wie sehr mich
folgende Überlegung überrascht und überzeugt hat. „Will man etwa die kulturgeschichtliche
Dimension der aktuellen Kopftuchdebatte begreifen, (….) so kann man nicht umhin, sich
Gedanken über die rasante Geschwindigkeit zu machen, mit der der weibliche Körper in der
westlichen Welt in den letzten hundert Jahren entkleidet wurde.“ Diese Frage hatte bis dahin
niemand gestellt. Stattdessen ging man selbstverständlich davon aus, dass im Gegensatz zur
unterdrückenden und rückständigen Verschleierung die Entblößung mit Freiheit und
Fortschritt gleich zu setzen sei. Ein Blick auf sexistische Werbung und Gewalt belehrt eines
anderen.

Leider, leider kann ich hier – wie auch bei den anderen Büchern – nur einen Gedanken heraus
greifen aus der facettenreichen, tiefgründigen Darstellung des transkulturellen Austauschs
zwischen Orient und Okzident. „Verschleierte Wirklichkeit“ von Christina von Braun und
Bettina Mathes wurde vom Österreichischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung als
bestes wissenschaftliches Buch ausgezeichnet.

Auf der verzweifelten Suche nach der Schönheit bleibt uns jetzt noch der siebte Tag.

Ausschnitt aus: Schönheit verzweifelt gesucht
Morphing. Computerbilder vollenden die unendlichen Wandlungsmöglichkeiten der Bilder
und Abbilder bis dieselbe Verwirrung des Sehens entsteht wie zu Beginn des Films.

Schönheit als Programmiersprache. Passender zur diesjährigen Fachtagung könnte es kaum
sein. Nach Vergrößerungsglas, Fernrohr, Fotokamera und Film erleben wir ein weiteres
technisches Medium, das unsere Wahrnehmung in eine noch ungewisse Richtung lenkt.
Anfangs schien es so, als ob in der virtuellen Welt die Geschlechterdifferenz keine Rolle mehr
spielte. Jede und jeder seien anonym, Körper – schön oder hässlich, jung oder alt, weiß oder
schwarz, weiblich oder männlich – seien endlich unbedeutend. So hieß es.

Aber es zeigt sich, dass deine Warnung, Christina, auch hier sehr berechtigt ist:
„Aus historischen Gründen haben Frauen jeden Grund, jeder Neuerung mit einer
gewissen Skepsis zu begegnen. Die Skepsis ist eine wunderbare Eigenschaft – sie ist der
Schutzengel des Denkens, den wir auch dann brauchen, wenn man uns zubilligt, nicht
mehr mit den Eierstöcken, sondern mit dem Kopf zu denken.“

Dem habe ich nichts hinzu zu fügen, außer meinem tiefen Dank an dich und der Bitte um
Verzeihung, weil ich so unendlich Vieles außer Acht lassen musste, und es bleibt der Wunsch:
Bitte mach wieder Filme.