Laudatio auf Mercedes Riederer
Sehr verehrte Damen und Herren,
Liebe Mercedes,
es war am 5. November 1990 im Altheimer Eck, Hausnummer 3, Rückge-bäude in München. Du hast die 29. Lehrredaktion an ihrem 1. Tag an der Deutschen Journalistenschule begrüßt, und wir haben beide nicht geahnt, dass wir uns heute hier wieder treffen, und es auch wieder eine Rede gibt. Aber diesmal an dich! Von deiner ehemaligen Schülerin. Dazwischen liegen fast 28 aufregende Jahre – und dein journalistisches Lebenswerk, für das dich der Journalistinnenbund heute mit der Hedwig-Dohm-Urkunde ehrt.
Mal ganz abgesehen davon, dass das Lebenswerk von Mercedes Riederer ja erst irgendwann in den nächsten Jahrzehnten vollendet sein wird, ist das na-türlich ein hervorragender Anlass, hier in dieser festlichen Runde zusammen zu kommen und Mercedes Riederer zu feiern. Für ihre bisherige journalisti-sche Lebensleistung.
Als Chefin der Deutschen Journalistenschule – so heißt es in der Begründung der Jury – prägte Mercedes Riederer ganze Generationen von Journalistinnen und Journalisten. Meine privatempirische Umfrage aus den letzten Wochen hat ergeben, dass die meisten von ihnen (also zumindest die meisten aus dem Jahrgang 29K) sich, genauso wie ich, an ihre erste Begegnung mit Mer-cedes Riederer noch ziemlich gut erinnern können. Denn vom ersten Moment an war es ihr wichtig, uns Journalistenschülern etwas mit auf den Weg zu geben. Goldene Regeln zum Beispiel.
Regel Nummer 1: Du sollst nicht langweilen! (das gilt ja dann heute Abend wohl vor allem für mich)
Regel Nummer 2: Du sollst nicht lügen!
An dieser Stelle muss man – um bei der Wahrheit zu bleiben – dazu sagen, dass Mercedes Riederer die 10 Goldenen Regeln der Deutschen Journalis-tenschule nicht selbst erfunden hat, aber zitiert hat sie sie gerne! Das klaue ich jetzt von ihr…
Regel Nummer 3: Fürchte dich nicht! (das gilt dann heute wohl besonders für Mercedes Riederer, denn sie MUSS ahnen, dass ich wenigstens heute ein-mal ihren ganzen Namen sagen werde)
Regel Nummer 4: Sei fair!
Mercedes Riederer liebte Regeln. Und das Schöne an ihren Regeln war: Sie waren einfach. Sie waren klar. Wir haben sie alle verstanden. Und: Sie hat sie selbst vorgelebt. Es war ihr immer wichtig, ihren Schülern ein Vorbild zu sein, eine Haltung zu vermitteln! Uns als Journalistinnen und Journalisten unsere Verantwortung für die Gesellschaft und für das demokratische Miteinander bewusst zu machen. Die Bedeutung von Informationsfreiheit, Meinungsfreiheit und Qualitätsjournalismus für ein politisches System und die Menschen als wertvoll und wichtig zu erkennen.
Und das gerade in München! In der Stadt, die für den Nationalsozialismus stand, auch publizistisch: in der bis 1945 der Völkische Beobachter heraus-gegeben wurde. In der Stadt, die nach dem Krieg zu einem der wichtigsten Orte für Qualitätsjournalismus und Meinungsvielfalt wurde. Wo neue Tageszeitungen entstanden, wo die Süddeutsche Zeitung stolz darauf ist, dass ihre ersten Druckplatten am 6. Oktober 1945 aus dem Bleisatz von Hitlers „Mein Kampf“ gegossen wurden. und wo noch im Geburtsjahr der Bundesrepublik 1949 eine Journalistenschule gegründet wurde, die zu einer der ersten Adressen für die Ausbildung freier, unabhängiger Journalisten in Deutschland wurde.
München, die Stadt, in der Mercedes Riederer zur Schule gegangen und groß geworden ist. Im konkreten wie im übertragenen Sinne. Also an einem Medienstandort – ein Begriff, der heute ja vor allem unter dem wirtschaftlichen Aspekt der Arbeitsplätze zählt – der aber für sie so viel mehr bedeutet: als persönlicher Medienstandort der Chancen, der Inspiration und der Motivation.
Mercedes Riederer hat nach ihrem Abitur in München und einem Jahr Französisch-Studium an der Sorbonne in Paris, selbst die 11. Lehrredaktion der DJS absolviert. In dieser Zeit, so sagt sie selbst, habe sie alles gelernt, was sie durch ihr Berufsleben begleitet hat. Natürlich das Handwerk des Qualitätsjournalismus, aber auch Toleranz und Haltung. Und die Bedeutung der Teamarbeit im Journalismus. Sie selbst wusste nach der intensiven Ausbildung an der DJS, was sie besonders gut kann und was andere besser können. Und sie wusste danach auch, dass bestmöglicher Journalismus nur in einem funktionierenden Team gelingt.
Was für ein Glück für den Bayerischen Rundfunk! Denn da stieg Mercedes Riederer direkt nach der Ausbildung an der DJS als Freie Mitarbeiterin beim Zündfunk ein und begann gleichzeitig mit ihrem Studium – Geschichte und Spanisch. Statt eines Studien-Abschlusses winkte 1978 die Festanstellung beim Zündfunk des BR. Wo sie aber eigentlich gar nicht hingewollt hatte. Beworben hatte sie sich nämlich für eine feste Stelle im Zeitfunk. Dort konnte sich der Redaktionsleiter allerdings keine Frau für das aktuelle politische Zeitgeschehen vorstellen. Worüber Mercedes Riederer sich damals maßlos ärgerte, genauso wie darüber, dass sie als Frau ihre Texte im Radio nicht selbst sprechen durfte, sondern einem männlichen Sprecher zum Vortrag aushändigen musste. Hedwig Dohm übrigens – damit die Namensgebern des Preises, sie war Journalistin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, auch mal zu Wort kommt, beschrieb 1902 in ihrem Buch „Die Antifeministen“ ein sol-ches Verhalten humorvoll als dümmliche Verteidigung von männlichen Machtansprüchen.
Für die junge Mercedes war ein solches Verhalten und auch die Haltung da-hinter ungewohnt. Als älteste Tochter in einer Großfamilie mit zwei Schwestern und einem Bruder war sie im Sozialverhalten trainiert, wie sie es selbst so schön ausdrückt. Und außerdem war sie auf einer reinen Mädchenschule, einer Umgebung, in der Mädchen gestärkt und gefördert wurden. Einen Unterschied zwischen angeblich männlichen und weiblichen Fähigkeiten und Leistungen war ihr fremd. Schwamm drüber, die junge Redakteurin machte ihren Frieden und heute bezeichnet Mercedes Riederer den Umweg über den Zündfunk als Glücksfall! Nicht überliefert ist dagegen, wie sehr sich der da-malige Redaktionsleiter des Zeitfunks darüber wundern musste, dass genau diese Frau fast 25 Jahre später die erste Chefredakteurin des Bayerischen Rundfunks wurde.
Das klingt, als sei Mercedes Riederers Weg von der Freien Mitarbeiterin bis zur Chefredakteurin beim BR zwar mit kleinen Umwegen und Stolpersteinen gepflastert, aber doch ein Durchmarsch gewesen. Pustekuchen!
Denn 1981 tat sich gewaltiges: aus dem jungen Fräulein, so sagte man damals noch, wurde nach einem schlichten „Jawort“ Freifrau Maria Mercedes Elisabeth Franziska Riederer von Paar zu Schönau-Leutner, Rufname – Frau Riederer. Wobei der von Mercedes Auserwählte Jakob den kurzen und knackigen Namens-Bestandteil Leutner mit in die Ehe einbrachte. Den Rest hatte Mercedes schon. Aber diesen Namen muss ich einfach einmal nennen, um folgender Anekdote eine Chance zu geben:
Ich werde nie den Moment vor ziemlich genau sieben Jahren vergessen, als ich mit Mercedes Riederer nach einem gemeinsamen Besuch des ARD-Studios in Israel an der Ausreise-Passkontrolle des Flughafens in Tel Aviv stand. Als wir dran waren verharrte ein irritiertes Staunen auf dem Gesicht der strengen Uniformierten. Sie schaute auf den Pass, dann auf Mercedes, dann wieder auf den Pass und schließlich fragte sie hilflos: What exactly is your last name? „Riederer“ kürzte Mercedes den gesamten Namen ab, für den im Pass die vorgesehene Zeile kaum ausreichte, – und damit auch die Angelegenheit. Und alle die Mercedes kennen, wissen, wie typisch diese Szene ist, weil es ihr im Berufsleben immer wichtig war, als Journalistin wahrgenommen zu werden, und nicht aufgrund ihrer Herkunft. Und alle anderen hier im Saal wissen es jetzt auch.
Doch zurück ins Jahr 1981, das Jahr der Hochzeit mit Jakob Leutner. Denn vollkommen wurde das Glück in diesem Jahr durch die Geburt von Tochter Maria. Und damit kam ein Thema ins Leben, das viele Frauen nur zu gut kennen: Frau Riederer merkte, wie schwierig es war, Beruf und Familie mit-einander zu vereinbaren und wollte, als Tochter Maria drei war, für eine befristete Zeit ihre Arbeitszeit reduzieren. Eine Teilzeitstelle? In Bayern? Nur 30 Jahre nach Einführung des Mutterschutzgesetzes in Deutschland? Nein, also wirklich! Dazu war der BR nicht bereit. Bot sich aber an, bei der Suche behilflich zu sein – außerhalb des Funkhauses.
Mercedes Riederer gab ihre Festanstellung auf, nahm sich Zeit für ihre Tochter, moderierte wieder als Freie Mitarbeiterin wochenweise die Welt am Morgen und wurde dann Mitte der 80er Jahre, wenn ich mich nicht täusche in Teilzeit, stellvertretende Schulleiterin und 1994 schließlich Schulleiterin und Geschäftsführerin der DJS. Damit war sie die erste Frau an der Spitze einer Journalistenschule. Ein Jahr später folgte Ingrid Kolb als Leiterin der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Dass Frauen so etwas können, sagt Mercedes Riederer heute, war ein Lernprozess für alle. Was auch für den Bayerischen Rundfunk gilt, der heute nicht nur Teilzeitstellen für junge Mütter und Väter für selbstverständlich hält, sondern Mercedes Riederer 2002 als Hörfunk-Chefredakteurin zurück holte
Als ich 2006 selbst Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks wurde, begrüßte Mercedes Riederer mich bei meiner ersten Sitzung der ARD-Chefredakteure herzlich und freudig, aber auch sehr selbstverständlich. Sie ist es ja gewohnt, ihre ehemaligen Schülerinnen und Schüler überall auf der Welt zu treffen, wo eine Runde von Journalisten zusammen steht.
Als Chefredakteurin hat Mercedes Riederer schließlich ihr Spielfeld gehabt, den aktuellen politischen Journalismus zu ermöglichen. Sie war für B5 Aktuell, das erste und älteste Nachrichtenradio in der ARD verantwortlich, das 2011 unter ihrer Leitung den Deutschen Radiopreis gewonnen hat, und sie ist stolz darauf, dass in Bayern jeder weiß, was damit gemeint ist, wenn über B5 Aktuell gesprochen wird.
Für sie war es immer selbstverständlich, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern und die besten um sich zu scharen. Sich für die Vernetzung von Journalisten in Europa und für Reporter ohne Grenzen einzusetzen. Das an-zuerkennen, was andere besonders gut können, und ihnen ohne Missgunst oder Neid ihren Erfolg zu gönnen. Das galt auch für die vielen Korrespondentinnen und Korrespondenten in den ARD-Auslandsstudios und im Haupt-stadtstudio hier in Berlin, deren Chefredakteurin sie 15 Jahre lang war bis zu ihrem Ruhestand im vergangenen Jahr.
Dass sie das alles als Frau hingekriegt hat, und sowohl als Leiterin der DJS als auch als Chefredakteurin des BR als jeweils erste Frau in diesen Funktionen, das hat Mercedes Riederer nie besonders herausgestellt. Auch nicht, dass sie Frauen im Beruf besonders gefördert hat. Das war für sie einfach eine Selbstverständlichkeit! Wie sehr hätte sich – jetzt kommt noch einmal die Namensgeberin des Preises ins Spiel – Hedwig Dohm wohl darüber ge-freut? Vor 99 Jahren ist die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin gestorben. Hinterlassen hat sie ein Werk an Büchern und Aufsätzen, das zeigt, wie steinig der Weg in diese Selbstverständlichkeit und Haltung von heute war. Und wir alle wissen, es liegen noch immer einige Stolpersteine auf ihm herum. Aber Journalistinnen wie Mercedes Riederer haben ihn ein wenig mehr geebnet.
Sie warten sicher schon alle darauf, wann wir denn endlich noch einmal zu den Goldenen Regeln der Deutschen Journalistenschule zurück kommen. Jetzt! Denn ich sehe es der Preisträgerin an, sie würde mir jetzt raten zu
DJS-Regel Nummer 7 zu springen – und die lautet : Quatsch nicht!
Deshalb bin ich jetzt still. Herzlichen Glückwunsch, Mercedes Riederer!