Laudatio auf Dagmar Reim
Am 4. Juni 2016 zeichnete der journalistinnenbund Dagmar Reim mit der Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk aus. Hier die komplette Laudatio von Friederike von Kirchbach, Vorsitzende des rbb-Rundfunkrats.
Haben Sie Lust, einer Sternköchin ein vier Gänge Menu zu bereiten?
Möchten Sie lieber einer Operndiva ein Lied vorsingen?
Oder wollen Sie für Dagmar Reim eine Laudatio halten?
Es kommt auf das Gleiche heraus:
Jede der drei angeboten Rollen verlangt besonderen Mut, eher noch eine massive Selbstüberschätzung.
Auf das Kochen und das Singen gehe ich jetzt nicht ein – die Laudatio muss sein.
Es ist nämlich so – wäre ich gebeten worden, für irgendeine andere Person des öffentlichen Lebens eine Laudatio zu halten, würde ich mich zuerst fragen, wer mir bei der Vorbereitung helfen könnte.
Und ich käme ich sehr schnell auf die Idee, Dagmar Reim zu fragen. Sie würde mir helfen. Weil sie es kann, wie kaum eine andere. In diesem besonderen Fall nun geht das leider nicht, außerdem mag sie keine langen Reden, erst recht keine über ihre Person. Ich werde tapfer sein müssen und Sie, liebe Dagmar Reim, müssen es auch.
Und ich halte diese Laudatio als lutherische Theologin, die den Umgang mit dem gesprochenen Wort besser beurteilen kann als andere journalistischen Fähigkeiten, über die die zu Lobende souverän verfügt.
Intendantin. Übersetzt heißt das ganz unspektakulär Aufseherin und oder Verwalterin. Wörtlich genommen trifft es das, was Dagmar Reim in den zurückliegenden 13 Jahren getan hat, nur zum Teil.
Natürlich hat sie sehr viel aufsehen und verwalten müssen. Sie ist die Herrin der Töne, der bewegten Bilder und der digitalen Veränderungen im öffentlich –rechtlichen Rundfunk der Stadt Berlin und des Landes Brandenburg. Sie ist dabei die Chefin von beinahe 3000 festen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Und sie verwaltet federführend einen dreistelligen Millionenhaushalt, durchaus nicht den größten der ARD Familie. Dank ihres Engagements ist er aber inzwischen ein solides, zukunftsfestes Zahlenwerk geworden. Dabei kämpft sie als Sprachkünstlerin der guten alten Schule. Mit wenigen, aber den richtigen Worten den Kern treffen – präzise, gut informiert, klug, schlagfertig und immer humorvoll. Die keineswegs altmodische Kunst einer gekonnten Rhetorik ist, so beweist uns Dagmar Reim, nicht nur eine wohltuende Tugend sondern auch ein Erfolgsrezept.
Wer sie nur einmal reden hören konnte – aus welchem Anlass auch immer – weiß: sie kann es! Wer dann denkt, dass manches auch das Werk einer geschickten Referentin sein könnte und sie eben ein Händchen für Personalentscheidungen hat – und das hat sie – wer das denkt, kann leicht mit Hilfe einer kritischen Nachfrage feststellen, wie sehr sie in dem Hause ist, was sie sagt.
Ich habe es oft erleben können: ihre Reaktionen auf verdeckte oder offenen Angriffe haben mich erst recht nachhaltig beeindruckt.
Einmal hat sie – und ich habe den inhaltlichen Zusammenhang vergessen- das schöne Wort Mumpitz- eingesetzt – kein anderer in der machtbewussten Runde wäre auf dieses Wort gekommen- aber als sie es ausgesprochen hatte, stand fest : Es WAR Mumpitz, und nichts anderes.
Ein anderes Mal – da erinnere ich mich genau an den Zusammenhang – ging es um eine schlecht gelaunte Kritik an einer Berichterstattung über eine hochadlige Hochzeit, da hat sie ihre Leute und deren Arbeit verteidigt, freundlich und bestimmt und als Vergleich die Berichterstattung über eine Hengstparade gewählt, die im Fernsehen ebenso berechtigt ist wie der Bericht über diese Hochzeit. Das war nicht nur wunderbar spontan, es war bildhaft und treffsicher und herrlich ironisch.
Nun könnten einige unter uns einwenden, dass sie ja schließlich auch vom Radio kam – da muss man Wörter zu ordentlichen Sätzen formen können. So sollte es sein, aber es gibt sie, wenn auch nicht oft – diese ganz besondere Klasse- Dagmar Reim hat sie.
Sie wurde in Heidelberg geboren, ist heute noch keine 65 Jahre alt, wie wir anlässlich ihres bevorstehenden Ausscheidens aus dem Amt der Intendantin vielerorts lesen konnten. Sie hat Geschichte, Germanistik und Publizistik in Mainz und München studiert, bevor ihr abwechslungs-reicher Weg als Journalistin, Redakteurin, Reporterin und Moderatorin in München, Köln und Hamburg begann.
Sie spricht nicht gern über sich selbst, lieber über das was sie umtreibt: Unabhängigkeit und guter Journalismus, Chancen und Grenzen der Digitalisierung, Qualität und Quote. Alles mit bewusst weiblichem Blick und im direkten Zusammenhang mit drängenden Fragen nach einer gerechten Beteiligung von Frauen.
So berichtet sie mit Stolz von den Veränderungen unter ihrer Leitung beim RBB „Bei der Gründung des RBB gab es im ORB 22 % Frauen in Führungspositionen, im SFB waren es 11%. im ARD Vergleich kommt der RBB auf 43,4 Frauen in Führungspositionen. Das ist Spitze im öffentlich- rechtlichen Rundfunk; und auch auf lange Sicht nicht einzuholen.“
Sie bekennt sich zur Quote, ich zitiere: „Auch ich dachte lange Zeit: einen Quote muss nicht sein. Sie verletzt unseren Stolz. Noch nie hatten wir eine so gut ausgebildete Generation von Frauen. Wer die ignoriert, schadet sich selbst, dachte ich- sie werden von allein nach oben kommen. Doch weit gefehlt. Jahrzehnte ohne echte Veränderungen sind vergangen und haben mich eines besseren belehrt. Heute bin ich überzeugt: die Quote ist nicht schön, aber notwendig. Wir brauchen sie.“
In einem Vortag über den Heimatbegriff finde ich dann doch noch ein schönes Zitat zu ihrer Herkunft: „Ich stamme von Juden und Heimatvertriebenen ab. So hat für mich die Auseinandersetzung mit Zugehörigkeit schon früh begonnen. Mit meiner Ankunft in Berlin öffnete sich ein besonders spannendes Kapitel persönlich wie beruflich. Denn auch mit Blick auf deutsche Heimatkunde gab es in den vergangenen Jahren keine spannendere Region.“
Berlin. Auch wenn die Redezeit für diese Laudatio mir durchaus großzügig zugeteilt wurde, kann ich an dieser Stelle gründlicher nur auf diese letzte große Station ihres beruflichen Lebens eingehen.
Das ist auch die Phase, in der wir uns kennengelernt haben und unsere Zusammen-arbeit begonnen hat. Sie hat nach einer durchaus aufregenden Wahl im Jahr 2003 die Leitung des RBB übernommen und war damit die erste Frau an der Spitze einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt in Deutschland.
Schon in der Achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte es sich an einigen Orten hierzulande herumgesprochen, dass Frauen ebenso wie Männer für Leitungsämter geeignet sein könnten. Wenn es bei der ARD bis ins dritte Jahrtausend dauern musste, bis eine Frau auf die Intendantenebene vordringen konnte, dann sagt das Einiges Kritisches zur ARD und viel über den Mut von Dagmar Reim.
Von ihr stammt auch die Formulierung, dass „der Selbstzweifel weiblichen Geschlechtes ist“. Gern wüsste ich, ob das auch für ihren Anfang als Intendantin gegolten hatte- die prüfend- spöttischen Blicke der Herren Kollegen im Amt, die spitzen Bemerkungen… Aber es gab, so viel Druck von außen, dass offenbar für Selbstzweifel weder Zeit noch Raum blieb.
Als ich sie kennenlernte, war sie bereits fest im Sattel und längst wussten die Kollegen, was sie an ihr hatten. Es wurde mit Respekt von ihrem Geschick bei der schwierigen Fusion der beiden unterschiedlichen Anstalten gesprochen.
Dabei wird niemand auch nur ansatzweise gedacht haben, dass es einfach werden könnte, den guten alten SFB mit dem noch jungen, gerade erst aufgebauten ORB zusammen zu bringen. Sie wusste das und wusste auch, dass auch nach der Fusion Vieles schwierig bleiben wird, ich zitiere: „Aus zwei Davids wird kein Goliath.“
Und dann der alltäglichen Wahnsinn einer inhaltlich und organisatorisch durchaus machtvoll ausgestatten Leitungsfunktion. Macht, das weiß sie, ist vor allem Verantwortung. Vielleicht hat sie das so gut hinbekommen, weil es nicht um ihre eigene Show ging und sie immer nach den inhaltlichen Gründen hinter all den Forderungen, Erwartungen und Angriffen gefragt hat.
„Der Rundfunk Berlin Brandenburg will ja mit seinen sechs Radioprogrammen unserem Onlineangebot und dem RBB Fernsehen der Heimatsender für die Region, will ihr Heimatsender sein. Wir setzen uns daher regelmäßig mit dem Lebensgefühl der Berlinerinnen und Brandenburger auseinander wir sprechen mit unseren Hörerinnen und Zuschauern, geben Studien in Auftrag und stellen fest:
Es gibt nicht die eine Brandenburgidentität, sondern viele, viele verschiedene. Und unsere Hauptstadt ist die Summe ihrer Teile und im Wesentlichen ein Kiezkonglomerat. Ob Bionade- Biedermeier im Prenzlauer Berg oder die Rückkehrerinitiative in Templin- die zunehmende Bedeutung des Lokalen können und müssen wir als Gegenentwurf zum Global Village denken. Für uns als regionaler Sender ist das Chance und Herausforderung zugleich.“
Dagmar Reims O-Ton ist zugleich eine sehr treffende Antwort auf die Frage, warum wir die Öffentlich-Rechtlichen, warum wir die ARD mit ihren Länderanstalten auch in Zukunft dringend brauchen werden.
Bei der Vorbereitung dieser Laudatio habe ich nach passenden Hedwig Dohm Zitaten gesucht – wie zum Beispiel:“ Glaube nicht, es muss so sein, weil es so ist und immer so war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne.“
Dass passt doch. Und mir ist eine eindrucksvoll schön erzählte Geschichte in die Hände gefallen, mit dem Titel “Werde die Du bist“. Hier wird von einer Greisin erzählt-„sie mochte nah an die sechzig sein“, die mit den Konventionen bricht. Diese Frau ist so alt wie wir jetzt sind, aber wir sind keine Greisinnen mehr, auch weil es Vorkämpferinnen wie Hedwig Dohm gegeben hat, die uns die Tür zum vollen Leben geöffnet haben.
Dagmar Reim ist übrigens „fit wie ein Turnschuh“. So stand es 2013 nach ihrer Wahl zur 3. Amtszeit als Intendantin in einem Zeitungsporträt. Wir wissen, Turnschuhe allein sind nicht per se fit. Manche werden mehr, manche weniger bewegt. Ich fürchte, Dagmar Reims Turnschuhe werden sich auf harte Zeiten einrichten müssen.
Der Hedwig Dohm-Preis liegt in besten – in Dagmar Reims – Händen. Und sie braucht kein hohes Amt, um sichtbar zu sein.
Zum Abschluss habe ich deshalb noch einen dringenden Wunsch, den ich sicher mit Ihnen allen teile:
Liebe Dagmar Reim: Wir möchten gern weiter wunderbare Vorträge, Ansprachen, Reden, Grußwörter und Ähnliches von Ihnen hören, gern auch lesen. Bitte hören Sie nicht auf zu reden und zu schreiben. Bitte nehmen Sie sich, so oft es geht, das Wort!