Grafik Journalistinnenbund

Nicola Kuhn: Laudatio für Regina Schmeken

Frau steht an einem Redepult, dahinter eine schwarz-weiße Fotoprojektion: Darauf die Politiker Mitterand, Kohl und andere während sie beim Weltwirtschaftsgipfel Aufstellung für das Gruppenfoto nehmen

Laudatorin Nicola Kuhn, Kulturredakteurin beim Berliner Tagesspiegel, vor einem der Werke von Regina Schmeken / Foto: Cathrin Bach, Konzept und Bild

Liebe Regina Schmeken,

liebe Vorsitzende des Journalistinnenbundes,
liebe Frau Sittler, liebe Frau Pitzer,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebes Publikum,

anlässlich der Tagung zum Thema „Wie klischeehaft und sexistisch ist die Darstellung von Frauen in den Medien?“ eine Fotografin zu ehren, die ihrerseits den Blick auf die Wirklichkeit in einer großen Tageszeitung geprägt hat, nämlich der Süddeutschen Zeitung, ist eine wunderbare Wendung zum Abschluss.

Ich bedanke mich herzlich, die Laudatio auf Regina Schmeken halten zu dürfen, die mit ihren Bildern der klischeehaften und sexistischen Darstellung von Frauen sehr erfolgreich entgegengehalten hat. Ihr die Hedwig-Dohm-Urkunde zu verleihen, benannt nach einer feministischen Vordenkerin noch des Kaiserreichs, ist nicht nur eine schöne Geste und Würdigung ihres Werks, sondern auch eine Aufforderung: anders hinzuschauen, vor allem anders zu zeigen und darüber zu schreiben, was uns umgibt.

Regina Schmeken hat sich sehr früh für den eigenen Blick entschieden. Vielleicht fing es schon damit an, dass sie zum Abitur eine Arbeit über das Verhältnis von Fotografie und Zeichnung schrieb. Auf einer so fortschrittlichen Gesamtschule, wie es sie damals im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen gab, die visuelle Kommunikation und bildende Kunst als außerordentliches Hauptfach anbot, war das möglich.

Fotografie und Zeichnung zusammenzudenken, dürfte allerdings vielen noch immer schwerfallen. Regina Schmeken praktiziert diesen Ansatz bis heute. Sie nennt die Kamera einen technisch hoch entwickelten Stift und zeichnet also gewissermaßen – mit Licht und deshalb ausschließlich in Schwarz-Weiß. Schatten spielen bei ihr eine große Rolle.

Fotografie als Lebensthema steht also schon früh für Regina Schmeken fest. Eine Lehre oder den Besuch einer Fotoschule lehnt sie jedoch ab. Angewandte Fotografie kam für sie damals nicht in Frage. Das änderte sich zum Glück viele Jahre später durch einen Anruf der Süddeutschen Zeitung. Aber dazu später. Erst einmal beginnt sie sich sukzessive einen eigenen Stil, eine Handschrift anzueignen und 1976 ein Lehramtsstudium in Essen. Im Rahmen ihres Studiums belegt sie einen Kurs an der Folkwang-Schule zu den Grundlagen der Fotografie und befreundet sich dort mit Schülern des berühmten Lehrers Otto Steinert. Einer von ihnen nimmt sie mit nach Arles zum Fotofestival, wo sie Legenden wie Ansel Adams und Duane Michals begegnet und merkt, dass sie mit ihrer Idee von Fotografie als Ausdrucksform keineswegs allein dasteht.

Es zieht sie weiter, als junge Fotografin lebt Regina Schmeken vorübergehend in Paris, Venedig und New York, wo sie in Serien zu arbeiten beginnt. Schon früh wird man auf ihr Talent aufmerksam. Für ihre 1978 von Venedig aus nach Arles, zum Fotofestival, eingeschickten Aufnahmen, darunter ein Junge, der im nächtlichen Dunkel träumend im Netz eines Fußballtors steht, erhält sie den Prix de la Critique des Rencontres Internationales d‘Arles, mit gerade 23 Jahren. Als sie sich telefonisch nach dem Gewinner erkundigt und erst dadurch von ihrer Auszeichnung erfährt, kann sie es zunächst nicht glauben.

Der kleine Junge im Fußballtor kehrt übrigens 36 Jahre später als Abschlussbild eines Fotobuchs wieder, im Katalog zur Ausstellung „Unter Spielern – Die Nationalmannschaft“ Regina Schmekens Langzeitstudie der Fußball-Nationalmannschaft der Männer. Womit wir bei einer weiteren Besonderheit ihrer Fotografie angelangt wären –  neben dem sehr eigenen, von keiner Schule, keinen großen Namen geprägten Blick ist es ihr Interesse an Bewegung.

Im Vorgespräch erzählte Regina mir, dass sie damals in Essen am liebsten in die Tanzklasse der Folkwang-Schule gegangen wäre, aber dann doch bei der Fotografie geblieben sei. Als Kind war sie Ballettschülerin und liebte es. Das Tänzerische, die große Bewegung im Raum sieht man ihren Bildern weiterhin an. Mit ihrer Serie zu den Tanzmeditationen türkischer Derwische hat sie sich dem Thema sehr viel später explizit zugewandt, sie macht Aufnahmen von Tänzern am Münchner Nationaltheater, fährt zu den Fechtweltmeisterschaften nach Leipzig. Die Süddeutsche schickt sie 2008 schließlich nach Peking zu den Olympischen Spielen.

Aber kommen wir vor der Pressefotografin Regina Schmeken noch einmal zurück zur freien Künstlerin zuvor. 1981/82 geht sie nach New York, macht Street-Photography. Sie übt sich darin, wie Henri Cartier-Bresson den berühmten entscheidenden Augenblick zu erfassen, auf das Leben zu schauen, wie sie es nennt. In New York lässt sie sich dann ziemlich selbstbewusst einen Termin beim Fotokurator des Museum of Modern Art geben, der tatsächlich eine Aufnahme von ihr für die Sammlung des MoMA erwirbt, sozusagen der Ritterinnenschlag.

Dennoch geht Regina Schmeken wieder zurück nach München, die amerikanische Metropole ist ihr zu hart, wie sie bekennt. In München beginnt sie – eigentlich auch ganz schön hart – ihre Schlachthof-Serie, die Nähe ihrer Wohnung brachte sie auf das Thema. Nicht abschätzige Beobachtung oder Sensationalismus zeichnet diese Serie aus. Vielmehr ist es eine Würdigung der schweren körperlichen Arbeit in großartigen Kompositionen: wie Menschen dramatisch ausgeleuchtet im abgedunkelten Raum ganze Tierhälften transportieren.

Mag sein, dass man das heute, knapp vierzig Jahre später, so nicht mehr darstellen würde – wir wissen inzwischen mehr über Schlachthöfe, als uns lieb ist. Aber diese Serie verweist auf eine weitere Eigenschaft in Regina Schmekens Schaffen: auf ihren respektvollen Umgang mit den Menschen, die sie fotografiert. Diese Haltung zeichnet auch ihre spätere Arbeit als Fotojournalistin aus. Egal wen sie porträtiert, welchen Politiker sie in einer vielleicht ambivalenten Situation erwischt, nie wird sie ihn diskreditieren, sondern immer Achtung bewahren.

All das muss Claus Heinrich Meyer in ihr gesehen haben, Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Autor der Kolumne „Streiflicht“, interessiert an Fotografie und offenbar Besucher diverser Ausstellungen, an denen Regina Schmeken beteiligt ist. 1986 ruft er bei ihr an, im Auftrag der Chefredaktion, wie er sagt, und fragt die Fotografin, ob sie sich vorstellen könne, für die Zeitung zu arbeiten. Man suche jemanden für einen professionelleren Umgang mit Bildern im Blatt.

Sie überlegt es sich gut, ein Kollege warnt sogar, dass in einer Zeitung der Fotograf nicht mehr gelte als der Hausmeister. Doch zu diesem Zeitpunkt merkte sie auch, wie schwierig es ist, vom Verkauf der eigenen Bilder zu leben. Sie sagt schließlich zu.

„Ich dachte, ich könnte in einer so großen Institution etwas für das Sehen tun“, hat sie später ihren Entschluss erklärt. Wie groß dieses Etwas sein würde und welche Anstrengungen es von ihr abverlangen würde, ahnte sie da noch nicht. Regina Schmeken führt fortan eine Doppelexistenz, als freie Künstlerin und angewandte Fotografin, und versucht doch so viel wie möglich vom künstlerischen Schaffen, dem eigenen Blick in ihr neues Wirkungsfeld hinüber mitzunehmen.

Das gelingt ihr. Mit ihren Aufnahmen verschafft sie der Zeitung einen neuen Auftritt, einen ganz besonderen Appeal, eine visuelle Identität, ja sie zieht mit ihren Bildern eine neue psychologische Ebene ein. Wer die SZ in die Hand nimmt mit einem Bild von Regina Schmeken, erkennt dies sofort: Ihre Aufnahmen sind Markenzeichen. Sie erzählen immer eigene Geschichten jenseits des Textlichen. Kein Wunder, dass ein schreibender Kollege einmal im Scherz zu ihr gesagt hat: „Regina, fotografiere mich nicht an die Wand.“

Ihre Bilder können hintergründigen Humor besitzen wie jenes Doppelporträt, das den britischen Premier John Major und Helmut Kohl 1994 bei der Abschiedszeremonie der alliierten Truppen auf einem Podest von der Seite zeigt. Ihre Silhouetten verschmelzen so stark miteinander, dass unklar bleibt, zu wem nun der voluminöse Bauch gehört: zu Kohl oder dem eigentlich schlanken Major.

Da wäre auch noch jenes Bild, das die Regierungsoberhäupter beim Weltwirtschaftsgipfel im Juli 1992 in München bei ihrer Aufstellung für das offizielle Foto zeigt. Regina Schmeken fotografierte sie zuvor, noch während ihrer Suche nach dem jeweils vorgesehenen Platz: acht Staatsmänner in einer kuriosen Choreografie. Wie beim Doppelporträt Kohl-Major traute sich der Politikteil der SZ den Abdruck damals noch nicht, es erschien stattdessen ebenfalls im Feuilleton.

Heute gibt es diese Scheu, ungewöhnliche Perspektiven auf das Geschehen in der Politik zuzulassen, nicht mehr. Auch das gehört zu den Verdiensten von Regina Schmeken im Erscheinungsbild der SZ. Ihre Aufnahmen können rührend, ja fast zärtlich sein wie bei den Bilderstrecken im Buch Zwei der SZ zum Beispiel zum Abschied von Angela Merkel nach 16 Jahren an der Macht: als strahlende, noch junge Politikerin mit Blumensträußen in jeder Hand nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden, bezuckert vom Charme Barack Obamas, erschöpft am Ende ihrer Regierungszeit. Oder bei Robert Habeck, den sie im kniffeligen Wahljahr 2019 auf einer Reise begleitete: neugierig, nachdenklich, kämpferisch und auch sehr müde.

Regina Schmeken wird zu einer wichtigen Chronistin des politischen Lebens in der Bundesrepublik. Als sich die deutsch-deutsche Grenze öffnet, fährt sie sofort von München nach Berlin und fotografiert. Von ihr stammen Momentaufnahmen, die das Unglaubliche ikonisch erfassen, etwa die fünf jungen DDR-Grenzbeamten am 10. November 1989 mit ratlosen Gesichtern. Hinter ihnen ragen fünf Kompartimente der sich auflösenden Mauer wie gewaltige Stelen auf.

Und Regina Schmeken wird zur politisch engagierten Beobachterin, die sich selbst Aufgaben stellt in Form von Serien. So fotografiert sie Bunker in der Normandie und an der französischen Atlantikküste, in Japan sucht sie nach dem Tsunami 2011 betroffene Orte auf. Ab 2013 entsteht ihre wohl bekannteste Serie „Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU“ an jenen Stätten, an denen die Vereinigung „Nationalsozialistische Untergrund“ in Deutschland seine Attentate verübte – eine ergreifende Form der Annäherung.

Längst zeigen große Museen ihre Fotoarbeiten. Die Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“ über die Situation in Deutschland nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung wurde 1994 in Berlin im Deutschen Historischen Museum gezeigt und hatte weitere Stationen, etwa in Paris, Rotterdam und Tokio. Ihr Bildessay „Die neue Mitte“ geht zwischen 2002 und 2007 auf Initiative des Goethe-Instituts auf Welttournee. 1996 erhält sie den Dr. Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie.

Fast dreißig Jahre später zeichnet der Journalistinnenbund Regina Schmeken mit der Hedwig-Dohm-Urkunde als politische Fotografin aus, die immer auch kommentierend das Geschehen begleitet hat. Ihre Bilder setzen eigene Akzente, weiten den Blick. Sie selbst hat ihre Form des Fotografierens einmal als intuitiv bezeichnet, durch ein Gefühl für die Dinge.

Doch es ist sehr viel mehr. Es gehört Klugheit dazu und künstlerisches Sensorium, politische Wachheit und ein Gespür für Menschen, Situationen – und den richtigen Augenblick.

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Laudatio von Nicola Kuhn, Kulturredakteurin beim Berliner Tagesspiegel, anlässlich der Verleihung der Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbundes an Regina Schmeken am 21. September 2024

 

Frau steht mit Mikrofon in der Hand vor einer schwarz-weiß Fotoprojektion

Hedwig-Dohm-Preisträgerin 2024 Regina Schmeken bei ihrer Dankesrede / Foto: Cathrin Bach, Konzept und Bild