Preisträgerin 2004: Susanne von Paczensky
Sie verfolgte für eine Nachrichtenagentur den Nürnberger Prozess, war Redakteurin bei der „Welt“, schrieb für zahlreiche andere Publikationen und ist eine der wichtigsten Vertreterinnen der Frauenbewegung. 2010 verstarb Susanne von Paczensky.
Vita
1923: geboren in Augsburg, aufgewachsen in Berlin
1945: Ausbildung als Nachrichtenredakteurin bei DANA, einer von amerikanischen Besatzungsoffizieren gegründeten Agentur
1946: Berichterstatterin beim ersten Nürnberger Kriegsverbrecherprozess
1947–1949: Redakteurin der Welt, Hamburg
1949–1957: Auslandskorrespondentin in London und Paris
seit 1958: Freie Journalistin in Hamburg
1977-1983: Herausgeberin der Reihe „Frauen aktuell“ im Rowohlt-Verlag
1991–2003: Auslandskorrespondentin in San Francisco
gestorben am 15. Mai 2010 in Hamburg
Laudatio
Liebe Susanne, liebe Kolleginnen, liebe Gäste,
es ist mir eine große Freude, die erste Laudatio meines Lebens auf Dich, Susanne, halten zu dürfen, eine große Freude und eine riesige Herausforderung. Denn ich weiß um Deine gerunzelte Stirn, wenn Dir etwas nicht passt: falsche Töne, zu schnelle Übereinstimmung, Pathos – darauf reagierst Du prompt und verärgert, wenn auch manchmal mit Augenzwinkern. Nein, milde Vertrauensseligkeit, weibliche Sanftmut ist Deine Sache nicht. Widersetzlichkeit, Furchtlosigkeit, laut formulierter Protest – das verbinde ich mit Deiner Person, und das hat auch meine Sinne geschärft für Mitgefühl und Widerstand. Insofern bist Du mir – ohne es zu wissen eine kämpferische Mentorin. Und: auch eine gewisse Distanz verbinde ich mit Dir, eine Art Hab-Acht-Stellung, manchmal dem Misstrauen nahe.
Woher kommt das? Ich denke, das rührt aus der Zeit, die auf dem kurzen Lebenslauf auf unserer Einladung zur Jahrestagung ausgelassen wurde. Zwischen deiner Geburt 1923 und der ersten journalistischen Arbeit 1945 bei den Nürnberger Prozessen liegen entscheidende Jahre.
Die Kindheit und Jugend in Berlin geprägt vom nationalsozialistischen Alltag. Der Vater, ein hoher preußischer Beamter mit sozialdemokratischer Tradition, ein getaufter Protestant, wird von einem Tag zum anderen zum Juden gemacht, Susanne wird zum “Mischling“ erklärt. Dem Vater werden der Beruf, das Einkommen, das Ansehen genommen. 10 Jahre ist Susanne alt, als sie das erleben muss. Gestern noch der Liebling aller, heute ein Wurm, wie sie es später beschreibt.
In der feinen Schule in Berlin-Dahlem wird ihr “Judensau“ hinterher gebrüllt, und im Biologieunterricht wird ihr Schädel vermessen, “typisch jüdischer Rundschädel“ sagt die Biologielehrerin und stellt sie neben das “Ariermädchen“ mit blonden Zöpfen.
In der Tanzstunde soll sie, das Mädchen mit so genannter “nichtarischer“ Herkunft, sofort den Raum verlassen, und keiner der Jünglinge, die ihr noch während der letzten Stunde schöne Augen machten, sagt ein Wort.
Kein Bedauern, keine Scham, kein Mitleid, nicht einmal heimlich zugeflüstert – diese Erfahrung wird sie prägen. Aber auch: die Wut, der Trotz, die Entschlossenheit, sich nicht zu beugen. Widersetzlich sein: tanzen gehen, obwohl es verboten ist, Jazzmusik hören – obwohl es verboten ist, ins Kino gehen, obwohl es verboten ist. Sie führt ein riskantes Doppelleben, sie schwindelt, was das Zeug hält, auch ihre Eltern beschwindelt sie – um sie zu schützen. Schließlich bricht sie aus, sie will keine Zwangsarbeit, sie will studieren, geht nach Freiburg, fälscht den “Ariernachweis“ und studiert.
Prägend war die Begegnung mit ihrer Tante Leni 1943 in Kowno in Litauen, mit der Tante, die ihr Leben vielfach riskierte, um jüdische Kinder und Frauen aus den Ghetto zu retten – das hatte Susanne gesehen: das Ghetto, die Halbverhungerten, die Toten. Das Engagement der Tante, um Verzweiflung und Trauer in Heldentum umzusetzen, hat Susanne tief beeindruckt und schließlich auch motiviert, Journalistin zu werden, Zeugnis ablegen zu wollen.
Deshalb kommt es ihr gerade recht, als sie 1945 aufgefordert wird, als Reporterin bei der deutsch-amerikanischen Nachrichtenagentur DANA über die Nürnberger Prozesse zu berichten. Eine der wenigen Frauen, die zugelassen waren. Erika Mann war auch dabei.
Und wieder nimmt sie eher verblüfft zur Kenntnis, auch jetzt, als das ganze Ausmaß des Verbrechens öffentlich wird: kein Bedauern, kein Interesse bei den deutschen Mitbürgern.
Dann kam Gerd von Paczensky und wurde ihr Ehemann, und beide wanderten aus und wurden politische Korrespondenten in London und Paris für die WELT- damals eine liberale Zeitung. Sie bekam die Kinder, und er machte Karriere: er wurde Panorama-Chef und Chef von Radio Bremen. Und sie wurde die nette Gattin, die abends, wenn die Kinder im Bett waren, Feuilletons schrieb über die “Ehrenrettung des Morgenmantels“, aber auch über die verlorenen Kinder des Krieges. Voller Kummer denkt sie später an diese Zeit, in der sie nicht eigenwillig war.
Die Scheidung 1969 ist ein Befreiungsschlag. Die westdeutsche Studentenbewegung entsteht, die Frauenbewegung kommt in die Gänge. An dieser Veränderung will sie teilhaben. Sie schreibt über die Pille, über den Prozess: EMMA gegen STERN, über Reformen im Strafvollzug – und immer wieder über den § 218.
Der Kampf um das Recht auf Abtreibung, die Forderung nach ersatzloser Streichung des Paragrafen, mit diesem Aufbruch werde ich Susanne von Paczensky immer verbinden. Sie war für mich eine der überzeugendsten Kämpferinnen: in ihren Büchern, in ihren Artikeln, bei der STERN-Aktion 1976, auf Podien und in Interviews. Niemand war so leidenschaftlich, so wütend und so mitfühlend. Es mag ihre eigene Erfahrung gewesen sein, die ihr diese große Glaubwürdigkeit verschafft. Niemand konnte wie sie die Trauer um das Leben des Ungeborenen und den Respekt vor der Entscheidung gegen das Kind so würdig und klar formulieren wie sie. Sie hat das Hamburger Zentrum für Familienplanung mitgegründet, und dass wir nun doch eine bessere Regelung haben, ist sicher auch ihr Verdienst.
Der § 218 war auch ein zentrales Thema jener bemerkenswerten Buchreihe, die Susanne von Paczensky acht Jahre lang herausgab. Frauen aktuell hieß sie schlicht, jedes Jahr erschienen sechs Bände als rororo Taschenbücher zu Themen wie Gewalt in der Ehe, Frauen im Parlament, Türkinnen in der BRD, Väter als Täter, Mütterfeindlichkeit, Frauen als Komplizinnen.
Als ich jetzt manche der schmalen Bände noch einmal zur Hand nahm, war ich verblüfft, wie weitsichtig der Ansatz oft war, wie aktuell immer noch und: wie gering die Anerkennung in der feministischen Öffentlichkeit damals. In Zeiten, als die Innerlichkeits-Literatur in voller Blüte stand, setzte Susanne auf Frauenpolitik, oft missmutig beobachtet von manchen von uns, weil sie ihre Reihe in einem arrivierten Verlag herausbrachte, und damit den finanzschwachen autonomen Frauenbuchverlagen eine arge Konkurrenz war.
Ich glaube, wir haben damals übersehen, wie hilfreich Susanne als Mittlerin war, als Übersetzerin zwischen den Welten: zwischen der etablierten Politik etwa des progressiven Flügels der SPD und der autonomen Frauenbewegung.
Zu einem Zeitpunkt, an dem viele von uns sich auf den Ruhestand vorbereiten, startet Susanne noch einmal durch. Sie promoviert in Soziologie. Über verschwiegene Liebe. Über lesbische Frauen in der Gesellschaft. Da ist sie 58 Jahre alt und begegnet – wie sie Jahre später sagte – dem vor ihr stehenden Alter mit Zuversicht und Neugier: “Der vierzigste Geburtstag war der schwärzeste Tag meines Lebens“, sagte sie, “fünfzig wurde ich bereits mit gutem Mut und sechzig mit Begeisterung.“ Und später fügt sie hinzu: “und siebzig erst!!!!“ Was für eine Perspektive: vielleicht können nur die Kolleginnen in meinem Alter ermessen, welche tiefe Freude auf die Zukunft durch solche Aufforderungen heraufbeschworen werden. Dieser Spaß am Altwerden, dieser Zugewinn an Selbstbewusstsein, nichts mehr werden müssen, all die düsteren Prognose Lügen zu strafen.
Insofern war es fast logisch, dass Susanne noch einmal die Koffer packte und nach Amerika zog. Nach dem Fall der Mauer. Da war sie 69 Jahre alt. Der Wiedervereinigung, dem Taumel um das einig Volk sah sie mit großer Unruhe und Misstrauen entgegen, “ein Großdeutsches Reich“ wie sie es nannte, wollte sie nicht noch einmal erleben. Die politische Zeitgenossin blieb sie – auch in Berkeley. Sie schreibt für die ZEIT, für die BRIGITTE, für die SZ: nun ist es z.B. der Strafvollzug in den USA, gegen den sie sich engagiert, die Todesstrafe: dass die Bürgerrechte, auf die die US-Amerikaner so stolz sind, für den Verurteilten nicht gelten sollen, das empört sie zutiefst.
Nun ist Susanne von Paczensky zurückgekehrt, Heimweh nach Hamburg mag ein Grund gewesen sein, ein anderer: die Erfahrung mit den Medien, für die sie arbeitete: Infotainment. Das Stichwort kennen wir alle. Für das, was jetzt gefragt ist, ist sie wohl zu eigenwillig.
Aber es kommt bestimmt wieder etwas Neues, da bin ich ganz sicher. Vielleicht schreibt sie ein Buch, vielleicht wagt sie sich endlich an ihre Lebenserinnerungen, oder sie malt oder: sie kocht!!!! Das habe ich bis jetzt überhaupt nicht erwähnt: neben der gescheiten auch die genusssüchtige, großherzige Susanne, die vergnügte, die sinnesfreudige. Die sich in die Küche stellt und köstliches Essen bereiten kann und ihre Freundinnen mit Freude bekocht. Die aus dem Linseneintopf eine wirkliche Legende zauberte – schon zu Zeiten, in denen Feministinnen sich noch mit Dosenravioli zufrieden gaben. Eine kluge Kollegin hat Susanne einmal als eine pralle Brechtsche Figur beschrieben, die weise und gewitzt die politischen Zusammenhänge der Welt erklärt und dabei ein Huhn rupfen kann.
Vielleicht mischt sie sich auch wieder unter uns – so wie jetzt – und mischt sich wieder ein – so wie die streitbare Hedwig Dohm es tat, in deren Namen wir Dich heute ehren.
Hedwig Dohm: unbeirrbar, ungeduldig, spöttisch, und neugierig bis ins höchste Alter. Das passt alles gut zu Dir.
Ich jedenfalls bin heilfroh, dass Du zurückgekommen bist, Susanne. Für Dich – aber vor allem für uns.
Magdalena Kemper
“Ich bin doch keine Dichterin”
Unsere Kollegin Margit Miosga hat Susanne von Paczensky nach der Preisverleihung interviewt.
Gefällt Ihnen der Preis?
Ich bin wahnsinnig geschmeichelt, das kommt mir wie ein Gütesiegel vor, denn das sind meine Kolleginnen und die müssen das beurteilen können!
Heute sind viele junge Kolleginnen dabei, was können Sie ihnen mit auf den Berufsweg geben?
Sie müssen risikofreudig und neugierig sein, nicht so auf Sicherheit bedacht. Wer eine Lebensstellung mit Pensionsberechtigung haben will, wird nur in einzelnen Ecken des Journalismus was finden. Also: Courage, Neugier und gut schreiben können!
Sie haben die Lebensform freiberuflich gewählt?
Ich habe eine Abscheu gegen die Angestelltenexistenz. Ich habe zwar immer die beneidet, die früher bei Gruner & Jahr eine Gans zu Weihnachten bekamen, aber ich mag keine Vorgesetzten, ich mag keinen Zwang, es war besser für mich. Wenn ich Urlaub nehme, nehme ich bei mir selbst Urlaub. Ich war bei meine ersten Job in Nürnberg und anschließend bei der “Welt“ angestellt und dann nie wieder.
Sie gingen, nachdem sie über die Nürnberger Prozesse berichtet hatten, gemeinsam mit ihrem Mann Gerd von Paczenski zur “Welt“ , wie ist das gegangen?
Ich kriegte einen Job bei der “Welt“ – damals hatte wir noch einen englischen Besatzungsoffizier – und ich sagte zu ihm: “Ich habe gerade geheiratet und mein Mann muss auch…..“. “Wenn Du ihn gut findest, dann nehmen wir ihn auch.“ Kaum waren wir da, sagte der deutsche Chefredakteur: “Sie können ja nicht in einer Redaktion sitzen, wir haben eine Regel, dass Ehepaare das nicht dürfen. Susanne, Sie gehen doch sicher gerne ins Feuilleton!“ Ich ging überhaupt nicht gerne ins Feuilleton, ich konnte das Feuilleton nicht ausstehen, es erschien mir als esoterischer Unsinn. Ich war eine politische Reporterin, aber das nützte mir gar nichts.
Warum bekam er und nicht Sie den Job in der politischen Redaktion?
Weil er ein Mann war, nur deswegen!
Wie lange haben Sie “esoterischen Unsinn“ geschrieben?
Bis wir nach England gingen. Er wurde London Korrespondent für die “Welt“, ich nicht. Ich durfte was einreichen für das “Vermischte“, den Job kriegte er. Das hat mich sehr gekränkt. Ich war eine relativ prominente Journalistin mit dem “Glanz von Nürnberg“.
Sie sind nach Jahren im Ausland und als Herausgeberin der rororo Reihe Frauen aktuell, nach der ‘Wende“ nach Amerika gezogen – und wieder gekommen.
Es waren herrliche 12 Jahre in Berkeley, eine wunderbare Zeit. Ich habe meine Neugier befriedigen können und viele schöne Sachen geschrieben. Ich habe nette Freunde gefunden, eine große Kenntnis von Amerika erworben. Es ist ein Land, mit dem man nie fertig wird. Eines Tages habe ich Heimweh gekriegt und gemerkt, dass ich gerne nach Hause möchte – ich bin jetzt über 80.
Hat sie ein Gouverneur Arnold Schwarzenegger vertrieben?
Arnie hat mich überhaupt nicht gestört, aber Präsident Bush hat dazu beigetragen, dass ich mich leicht verabschieden konnte. Ich bin ein sehr politischer Mensch und im Ausland kannst Du Dich nie richtig äußern, man muss immer als Vorspruch sagen: ich bin Deutsche und kann mich deshalb nicht dazu äußern…. das hat mich sehr gehemmt.
Was haben Sie am meisten vermisst? Schwarzbrot?
Nicht Essen, ich kann gut kochen. Meine Freunde, eine bestimmte Art Politikinteresse. Vielleicht habe ich die SPD vermisst…… ich bin 30 Jahre SPD-Mitglied, das war für mich Heimat, ein Ort, wo man sich stritt und Leute sich für Politik interessierten ohne etwas werden zu wollen. In Amerika interessieren sich nur Leute für Politik, die dann gleich Gouverneur werden wollen.
Gibt es noch ein journalistisches Thema, das sie bearbeiten wollen?
Ich weiß niemanden, der es drucken will. Ich bin ganz stark vom Erwerbsinstinkt bestimmt. Ich schreibe nichts, was nicht bestellt ist. Ich bin doch keine Dichterin. Es gibt mehrere Themen über die ich sehr gerne mehr geschrieben hätte, aber es sind amerikanische Themen.
Müssten die Deutschen mehr über Amerika wissen?
Natürlich! Die Leute haben ein ganz flaches, plattes einseitiges Bild von Amerika. Amerika ist voll von wunderbaren Leuten und Orten, es ist so vielseitig und die Leute haben so viel Drive – man kann irrsinnig viel lernen, man kann auch vieles missbilligen, sicher.
Gefällt Ihnen die deutsche Medienlandschaft?
Nein, ich weiß nicht, ob ich Ihnen das alles erzählen will, ich will nicht mein eigenes Nest beschmutzen.
Alle Preisträgerinnen der Hedwig-Dohm-Urkunde
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