Preisträgerin 2008: Heike Mundzeck
Heike Mundzeck dokumentiert seit vielen Jahren Gewalt und Benachteiligung in unserer Gesellschaft. Im vergangenen Jahr erregte sie großes Aufsehen mit der ARTE-Dokumentation „Die Sache – Feldzug gegen ein Tabu“. Sie beobachtet darin Rüdiger Nehberg und Annette Weber in ihrem Kampf gegen Genitalverstümmelung in islamischen Gesellschaften. Heute verurteilen auch höchste Rechtsgelehrte und Religionsführer in Afrika und Asien die Beschneidung als unvereinbar mit dem Koran – Hoffnung für Millionen Mädchen in diesen Kulturen. Heike Mundzeck hat nicht nur engagierte Glanzpunkte in unseren Medien gesetzt, sie hat auch Frauen in einer globalisierten Welt Aufklärung und Unterstützung vermittelt.
Vita
1938: geboren in Hamburg
1957-1963: Studium der Rechts- und Staatswissenschaft
1963 -1964: Volontariat bei der Tageszeitung „Die Welt“
1964 -1970: Redakteurin im Kulturteil der „Welt“
seit 1971: freie Journalistin für Tages- und Wochenzeitungen zu Recht, Frauen, Familie und Soziales
seit 1973: Rundfunk- und Fernseh-Autorin für Reportagen, Features und Dokumentationen. Mehr als hundert Produktionen für ARD und ZDF sowie für diverse Institutionen.
Laudatio für Heike Mundzeck
von Sabine Zurmühl
Liebe Heike Mundzeck, liebe Kolleginnen,
Hedwig Dohm, die dieses Jahr den 177. Geburtstag hätte, ist die Namenspatronin der Urkunde, die heute verliehen wird. Der Journalistinnenbund hat jüngst einen Gedenkstein in Berlin errichten lassen, um die streitbare polemische kluge politisch wache und in ihrem Blick unbestechliche Vorfahrin zu würdigen. Ich selbst bin Hedwig Dohm als historischer Person in ihren Texten begegnet, als ich 1975 den ersten Frauenkalender für 1976 vorbereitete, mit einer Gruppe von Frauen, Alice Schwarzer, Ursula Scheu, Renate Bookhagen und Hilke Schläger. Renate Bookhagen machte uns auf die Veröffentlichungen von Hedwig Dohm aufmerksam, steckte uns an mit ihrer Begeisterung, und ich führte eine kleine Comic-„Hedwich“ ein, die durch den Kalender wuselte und Kommentare in Sprechblasen abgab, sozusagen ein kleines feministisches Frauenbewegungs-Über-Ich. Ich erlaube mir, an diesen Hintergrund zu erinnern, um die Bedeutung auch ganz persönlich zu betonen, die eine Hedwig-Dohm-Urkunde für mich hat und damit zu zeigen, dass meine Freude sehr sehr groß ist, sie an Heike Mundzeck zu verleihen.
Heike Mundzeck also ist unsere diesjährige zu Ehrende. Über 120 Filme hat sie gemacht, und es wird wohl keine Kollegin in diesem Raum sein, die nicht einen ihrer Filme gesehen oder einen ihrer Texte gelesen hat. Sie selbst hatte sich eher als Kulturredakteurin gedacht, wurde aber von einem – wie sie heute findet, realitätstüchtigen – Kollegen gemahnt: „Lassen Sie das! Gehen Sie in den politischen Journalismus!“
Das war in den 60iger Jahren, in denen Heike Mundzeck, nach ihrem juristischen Studium, u.a. für die „Welt“, PETRA, Brigitte, Für Sie, die ZEIT schrieb.
Ab 1971 hat sie dann freiberuflich gearbeitet, bis heute. Für viele von uns kann sie damit sowohl ein Vorbild hinsichtlich ihrer publizistischen Leistung als auch hinsichtlich eines überhaupt nicht selbstverständlichen Positionierens als „Freie“ über Jahrzehnte in diesem Geschäft sein.
1938 wurde Heike Mundzeck in Hamburg geboren, eine Tochter, die für den Vater lieber ein Sohn hätte werden sollen, „sein Junge“, eine kindliche Draufgängerin mit dem Hang zu halsbrecherischem Fahrradfahren und dem Berufswunsch, Pferdezureiterin, eine so genannte „Einbrecherin“ zu werden. Sie möchte der Botschaft gerecht werden, nicht „verweichlicht“ sein, nicht „das zu machen, was alle machen“ – und das schafft sie auch.
Drei Filme von Heike Mundzeck möchte ich nennen, die mich besonders berührt haben.
Da ist der Film „Wer wohnte in der Synagoge von Friedrichstadt“, in dem es um eine Spurensuche geht, in die ich als Zuschauerin langsam und beharrlich hineingezogen werde: die Begegnung mit der alten Synagoge, beschädigt, wiederaufgebaut, renoviert. Zeit-Schichten werden abgetragen. Und schließlich entdeckt Heike Mundzeck uns (und sich?), dass i h r e Familie hier in der Nazizeit gewohnt hat, in diesem Bau, die Familie des Kieler Polizeipräsidenten und höheren SS-Offiziers, ihres Vaters, der zwei Wohnungen hineinbauen ließ, nachdem die jüdische Gemeinde nicht mehr über das Haus verfügen durfte.
Ein „Ich“-Film, eine leise und auch traurige, gleichzeitig integre und uneitle Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft. „Nicht die Schuld übernehmen, aber Verantwortung für die Zukunft“ , ist die Schlussfolgerung der Tochter, die im persönlichen Gespräch mit mir ihre widerstreitenden Eindrücke beschreibt: der Vater ein Polizeipräsident, Jurist, SS-Offizier, der nicht antijüdisch eingestellt ist, der sich sozial engagiert, ohne Dünkel, katholisch und in starken Prinzipien von Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit einig mit der protestantischen Mutter: „Keine Lüge!“
Ein widerstreitendes Erbe, wie es einige von uns vielleicht nachempfinden können, eine Last aus Ungesagtem, Befürchtetem und Geliebtem im Verhältnis zu den Eltern. Selbst eine Position finden, Schmerz im Abwenden und später auch Bemühung um Verständnis.
„Ich weiß nicht, was ich damals getan hätte“, kommentiert Heike Mundzeck ihre Spurensuche. Ein Film, der einem in seiner Mischung aus dokumentarischer Geradlinigkeit und großer persönlicher Ehrlichkeit, die auch Ratlosigkeit und Trauer einschließen kann, schon auch die Kehle zuschnürt.
Heike Mundzeck spürt solche Themen auf, die den Freiraum weiten zwischen Information und Emotion, die zeigen, dass Politik und die eigene Haltung zusammen in den Blick genommen werden müssen. „Keine Lüge !“
Diesem Film vielleicht in Korrespondenz verbunden: „Im Schatten des Holocaust“. Ein Film, der die zwiespältigen Gefühle der Kinder von Holocaust-Überlebenden in Israel zeigt, ein Film, der die Opfer, die „schwachen Väter“ thematisiert, die – ebenso wie deutsche Täter-Kriegsväter – auch nicht über ihre Erfahrungen sprachen, die a u c h ein Tabu aufbauten, die Kinder einsam ließen in ihren Fragen.
Heike Mundzeck hat jahrzehntelang sensibel neue Themen aufgespürt. Im persönlichen Gespräch haben wir uns ausgetauscht über den Wunsch, als Filmemacherin und Regisseurin die Gesprächspartner nie „vorzuführen“, sondern ihnen Bedingungen bereitzustellen, in denen sie sagen dürfen, was sie äußern können und wollen. Kein investigativer Journalismus also, sondern einer, der immer ganz eng an der Erfahrung ist, der Erfahrung als hohes Gut respektiert, Erfahrung zur politischen Größe macht, ohne die keine sozialen Veränderungen greifen können. Anschauen, nicht vorwerfen, protokollieren, nicht verdammen. Wohl aber: Position beziehen, wenn die Grenzen der Menschenrechte, der Frauenrechte überschritten sind, wenn Gewalt und Verachtung gegenüber Menschen herrschen. Heike Mundzeck ist mitgefahren auf Patrouillen im Kosovo, sie engagiert sich lebenslang gegen Krieg und Übergriffe.
Der dritte Film, den ich in diesem Zusammenhang nennen muss und möchte, ist „Die Sache – Feldzug gegen ein Tabu“. Jede Kollegin, die jemals sich in Frauenthemen
engagiert hat, ist den schrecklichen Berichten zur Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen begegnet. Und es kann eine äußerst schwierige, heikle, ja geradezu selbst verletzende Aufgabe sein, dieses Thema publizistisch darzustellen. Publizistisch „angemessen“. Was wäre „angemessen“? Was ertrage ich als Zuschauerin, was sollte ich als Macherin ertragen müssen, um mich der Problematik auch nur halbwegs zu stellen? Wo sind die Grenzen?
Heike Mundzeck zeigt in diesem Film zu Beginn den Vorgang der Verstümmelung, der Beschneidung, im Bild – mit Weichzeichner; aber der Schrei des kleinen Mädchens ist zu hören, begleitet einen durch die gesamte Dokumentation. Ein bisher einzigartiger mutiger Beitrag, der im besten Sinne der Aufklärung verpflichtet ist und den missachteten Mädchen eine Stimme gibt. – Ich erinnere mich noch gut, wie hilflos und sicher ungeschickt ich in einer Diskussion auf der Jahrestagung der JB in Hamburg 1989 versucht habe, Sabine Christiansen, die untadelige Frontfrau der Tagesthemen, mit dem Thema der Klitorisbeschneidung zu konfrontieren. Eisiges Erstarren, der Schutzmechanismus, mit dem viele Frauen – ich verstehe es heute besser – den Bedingungen von Gewalt, Missachtung, Auslieferung zu entgehen suchen.
Heike Mundzeck also ist eine mutige Chronistin, sie hat mit ihren Arbeiten, Filmen, Büchern, Artikeln ein Lebenswerk geschaffen, für das ihr Respekt und Dankbarkeit besonders von Journalistinnen gebührt, die wir einschätzen können, welchen Mutes und welcher humanen und professionellen Beharrlichkeit es bedarf, sich selbst mit dem Engagement für die Geschwächten oder noch Schwachen – wie die Kinder – treu zu bleiben. Von den reformfreudigen Siebziger Jahren der sozial-liberalen Koalition, dem Kampf um den § 218, dem Einsatz immer wieder für Kinder, bis hin zur kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis Deutschlands zu Israel
und dem Engagement z.B. im ZONTA-Club oder bei Projekten für Mädchen mit Migrationshintergrund.
Ein Lebenswerk ist dennoch ein Gebilde, das bei näherem Hinschauen besteht aus einzelnen Elementen: jede Arbeit für sich genommen, ernst genommen, anderen als
so wichtig übermittelt, dass sie überzeugt wurden und die Arbeit veröffentlichten. Wir alle sind angewiesen auf diesen Transfer zwischen erster Idee und Überzeugungsarbeit hin zu den Veröffentlichern – wie schwierig das manchmal ist, wissen viele hier und es wird ihren Respekt und ihre Freude vergrößern, Heike Mundzeck in ihrer publizistischen Lebensleistung zu feiern.
Hedwig Dohm hat eine programmatische Definition für die Frauen formuliert, die sicher auch heute noch ihre Aktualität hat und mit der Du, Heike, vielleicht auch einverstanden sein kannst: „So sind wir Selbstbestimmer, Selbstwisser unseres Glücks und unserer Lebensziele….“ (Die Antifeministen, Reprint von 1918, Verlag Arndtstraßen Frankfurt am Main, S. 164)
Liebe Heike, wir freuen uns, Dir die Hedwig-Dohm-Urkunde überreichen zu dürfen!
→ Biographie von Heike Mundzeck in der Wikipedia