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Ulrike Demmer: Laudatio für Brigitte Fehrle

Ulrike Demmer im blauen Kleid hält ein Mikrofon und spricht

Ulrike Demmer bei ihrer Laudatio für Brigitte Fehrle, ausgezeichnet mit der Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbundes 2022.

Die frühere SPIEGEL-Journalistin Ulrike Demmer war von Juni 2016 bis Dezember 2021 stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung und stellvertretende Leiterin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung.
Foto: Cathrin Bach

Die Laudatio

Man erfährt eigentlich alles über Brigitte Fehrle, wenn man sich anschaut, wie sie Rasen mäht.

Ich hab Sie kürzlich in ihrer zweiten Heimat im Wendland, im Rundlingsdorf Satemin, besucht. Dort gruppieren sich alle Häuser im Kreis um einen Dorfanger, eine große runde Wiese, in riesige Tortenstücke zerschnitten von den Wegen, die zu den Häusern führen.

Und jeder von Ihnen, der Erfahrung mit dem Rasenmäher hat, kennt das: die Ränder sind mühsam, und alles, was nicht rechteckig ist, erhöht die Herausforderung – jedenfalls, wenn man will, dass es so ordentlich aussieht, wie die Fußballfelder im Fernsehen. In Satemin sah der Dorfplatz aus wie ein Fußballfeld im Fernsehen. Brigitte Fehrle hatte mit dem Aufsitzrasenmäher die Tortenstücke der gesamten Dorfgemeinschaft in geraden Linien gemäht. „Sehr ordentlich“, sagte ich bewundernd. „Es muss doch effizient sein“, sagte Brigitte Fehrle.

Auf einem der Tortenstücke stand an diesem Nachmittag eine glückliche Nachbarin vor ihrem Haus.
„Danke, dass Du meine Wiese mit gemäht hast“, sagte sie.
„Na ist doch klar“, sagte die Brigitte, „wenn ich mähe, mähe ich doch alles.“
„Ja, DU“, sagt die Nachbarin. „Die Männer vergessen dieses Stück hier oft.“

Also, was lernen wir daraus: Brigitte Fehrle ist bodenständig, hilfsbereit, systematisch, gründlich und effizient. Und das nicht nur beim Rasenmähen.

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Kennengelernt habe ich Brigitte Fehrle vor 22 Jahren. Sie war damals Chefin der Innenpolitik bei der Berliner Zeitung und kam als Dozentin an die Berliner Journalistenschule. Ich war dort Schülerin. Auf den Stundenplan stand politischer Journalismus und das politische Porträt. Meine Erwartungshaltung war gedämpft. Wir hatten schon etwa seit einem halben Jahr unterschiedlichste Dozentinnen und Dozenten erlebt. Die meisten zogen routiniert ein Programm durch, dem wir anmerkten, dass es so oder ähnlich schon dutzende Generationen von Journalistenschülerinnen und Schüler präsentiert bekommen hatten.

Aber an diesem Tag standen Energie, Enthusiasmus und Engagement vor der Tür. Die Dozentin Fehrle war gründlich vorbereitet, bot uns drei Tage lang ein straffes Programm. Der Höhepunkt: Ein Besuch der Grünenchefin Renate Künast, die sich geduldig 90 Minuten von uns interviewen lies, damit wir anschließend ein Porträt über sie schreiben konnten. Ich habe diesen damals verfassten Text leider nicht mehr gefunden. Aber ich erinnere mich noch sehr gut an die zahlreichen Anmerkungen am Rand meines Manuskripts. Eine gründliche Redigatur. Brigitte Fehrle hat nicht mit Kritik gespart, schonungslos war sie auch in der anschließenden Besprechung. Trotzdem fühlte sich die Kritik nicht vernichtend an, ich fühlte mich nicht verurteilt, sondern motiviert. Wir hatten etwas gelernt.

Als kühl und knallhart wird sie oft beschrieben. Das zielt auf den unbestechlichen Blick, ihre schonungslosen Analysen ab, denen oft ein nüchternes Urteil folgt. Das stimmt schon.

Aber zwei Anmerkungen hierzu: Erstens gilt nach meinem Eindruck eine Frau schon als hart, wenn sie sich einfach nur verhält, wie ein Mann – bei dem dieses Verhalten völlig akzeptiert ist. Und zweitens wird diese Beschreibung allein ihr nicht gerecht. Brigitte Fehrle ist eine sehr gute Zuhörerin, verständnisvoll, zugewandt und lustig.

Mit dieser munteren Mischung ist sie offenbar schon als Politik-Studentin bei der kurz zuvor gegründeten taz aufgeschlagen.

Im Rahmen meiner Recherchen für diese Laudatio habe ich in der taz angerufen und nach Texten aus den ersten Jahren als Journalistin gefragt. Die Kollegin dort lies sich den Namen buchstabieren und rief nach etwa einer Stunde zurück, ob ich die Suche etwas konkretisieren könne, Brigitte Fehrle habe so viel geschrieben, das sei sie Wochen beschäftigt. Wonach genau sie suchen solle.

„Na mich interessieren die spannenden Texte, nicht die langweiligen“, sagte ich. Am anderen anderen Ende der Leitung hörte ich ein Lachen.
Nee, langweilig sei diese Brigitte Fehrle wirklich nicht gewesen. Die sei schon SEHR deutlich geworden in ihren Texten. Kein Geschwurbel. „Sehr schöne Stücke“, sagte die Kollegin.

Das stimmt. Ich habe bei meiner Suche wunderbare Porträts zum Beispiel über Regine Hildebrandt und Jutta Limbach von ihr gelesen.

Der alternativen und feministischen Leserinnenschaft der taz gefielen die Texte ganz offensichtlich nicht immer:
„Ich bin verärgert und betroffen. Du arbeitest doch selber in der Taz, die von Männern bestimmt ist. Vielleicht hast Du dich der herrschenden Denk- und Arbeitsweise angepasst. Ich werde mich jedenfalls nicht einfach in die Strukturen reinfinden und mir mit Ellenbogentechnik und Rumklotzerei eine Position verschaffen“, schreibt im Februar 1985 erbost die Biggi aus Mannheim in einem Leserinnenbrief.

In dem Text, über den sich die Biggi aus Mannheim so aufregt, berichtet Brigitte Fehrle über ein Treffen der „in die Jahre gekommenen“ Kollektivbewegung, in der sich Tischler, Schlosser, Bäcker und Fahrradfrickler zusammengefunden hatten, um sich ihr Leid zu klagen. Pointiert geht sie mit dem Traum vom Arbeitsplatz ohne Hierarchien und ohne kapitalistischen Konkurrenzkampf ins Gericht.

Schon in diesem frühen Artikel zeigt sich die charakteristische Seite der Journalistin Fehrle. Sie ist unparteiisch. Sie schlägt sich nicht auf eine Seite, nicht auf die der Frauen, nicht auf die der Alternativen Szene, aus der sie selbst kommt. Sie kritisiert, was zu kritisieren ist, mit scharfem Verstand und unabhängig. Schon in den 80er Jahren. So wird es bleiben. Noch für die taz berichtet Brigitte Fehrle 1989 über die deutsche Wiedervereinigung. Aus Westsicht. Bei der „Berliner Zeitung“ beschreibt sie ab 1991 – als eine der ersten westdeutschen Journalistinnen – die politischen Probleme von der anderen Seite. „Sensationell interessante Jahre“ – sagt sie selbst.

Auch die Karriere, die folgt, ist sensationell und interessant:
von der Landeskorrespondentin, damals noch mit Sitz im Rathaus Schöneberg und einer Standleitung zum einzigen West-Telefon in der Lokalredaktion am Alexanderplatz, zur Politikchefin, Meinungsseitenchefin, stellvertretende Chefredakteurin, Mit-Chefredakteurin in einer Doppelspitze.

Du warst Chef-Redakteurin in der DuMont Redaktionsgemeinschaft, der sogenannten „ReGe“. Die erste Redaktion, die die Hauptstadt-Berichterstattung zentral für alle Zeitungen des Verlags, in diesem Fall in Frankfurt, Köln und Berlin übernahm. Das Model wurde bald von vielen Verlagen kopiert.

Bei der Frankfurter Rundschau warst Du stellvertretende Chefredakteurin. Bei der ZEIT Chefin des Hauptstadtbüros und schließlich bei der Berliner Zeitung alleinige Chefredakteurin.

Sie habe das alles nicht geplant, sagt Brigitte Fehrle. Sie ist Schwäbin. „Mit mir hatte niemand etwas Besonderes vor“, hat sie mal der Süddeutschen erzählt. Ihre Eltern wären zufrieden gewesen, wenn sie Krankenschwester geworden wäre. Und irgendwo habe ich gelesen, dass Du Dressurreiterin werden wolltest. Wirklich???

Ich hab mich nie gefragt, ob du jemals etwas anderes hättest sein wollen, weil der Job als Journalistin so maßgeschneidert zu Dir passt.

Dir geht es nie um den eigenen Auftritt. Du bist unabhängig von Lob und Anerkennung. Dir geht es um die Sache. Aber Einfluss nehmen auf die Sache, darauf, wie sie sich so entwickelt, das hat dir immer schon besser gefallen als bloßes Zugucken. Deshalb hast Du Dich immer für mehr Verantwortung und mehr Führung entschieden, wenn sie Dir angeboten wurden. Du entscheidest gern, sagst Du. Und entscheiden musstest Du viel, denn die Zeiten für den Journalismus wurden nicht einfacher.

In der Berliner Zeitung erlebtest Du Relaunch um Relaunch, Sparrunde um Sparrunde. Als Chefredakteurin musstest Du diese Sparrunden schließlich selbst durchsetzen. Deine langjährige Kollegin, Stellvertreterin und Freundin Jutta Kramm erinnert sich sehr genau: „Du hast es in dieser Situation geschafft, die Qualität und den Charakter der Berliner Zeitung zu bewahren, die Leser zufriedenzustellen und der Redaktion ihre Würde nicht zu nehmen. Was für ein ungeheurer Kraftakt.“

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Hart waren die Zeiten sicher auch aus einem anderen Grund:
Als Brigitte Fehrle Chefredakteurin der Berliner Zeitung ist, zeigt die Statistik der Initiative ProQuote, wie außergewöhnlich diese Beförderung ist. 95 Prozent der Chefredakteurssessel sind von Männern besetzt. Auch ihre Stellvertreter sind zu 82 Prozent männlich.

Ich habe Brigitte Fehrle nie klagen oder lamentieren hören, darüber wie mühsam es sein kann, die einzige Frau im Raum zu sein. Du hast es geschafft, die Ungerechtigkeiten, die sicher auch Dir widerfahren sind, nicht persönlich zu nehmen, sondern immer sportlich.

„Offenbar fürchten sich die Männer vor starken Frauen“, sagt Brigitte Fehrle in einem Interview zum Amtsantritt. Nüchtern benennt sie aber auch gleich die Mitschuld der Frauen an der Misere. „Frauen sind nicht automatisch bessere Menschen, und sie sind nicht von Haus aus Frauenförderinnen.“

Brigitte Fehrle hat Frauen gefördert. Sie hat das nicht vor sich hergetragen. Sie hat es einfach gemacht: Frauen gesehen und wahrgenommen, auch wenn sie sich nicht mit Ellenbogen und Rumklotzerei in den Vordergrund gespielt haben. Ein richtiges „Trüffelschwein“ sei sie da gewesen, hat mir eine Frau erzählt, die es wissen muss. Und während viele andere Frauen – mich eingeschlossen – sich über die alltägliche Ungerechtigkeit der Spielregeln aufregten, hast Du die Spielregeln verändert.

Eine deiner Kolleginnen nutzte etwa regelmäßig die Mittagspause für den familiären Einkauf im Supermarkt.
„So wirst Du hier nix“, hatte ihr ein wohlmeinender Kollege gesteckt. „Solange Du hier die Supermarkttüten über den Flur schleppst, sehen die Männer in dir nur eine Hausfrau mit Nebenjob“.
Brigitte Fehrle war das egal. Die hat die Kollegin, ge- und befördert.

Auch mich hat sie gefördert. Einen besseren Coach hätte ich mir nicht wünschen können. Zehn Jahre nach unserer ersten Begegnung in der Journalistenschule stand ich vor einem Wechsel des Arbeitgebers und trat meine erste Führungsposition an. Ich war nervös. Mein damaliger Noch-Chef hatte mir kurz zuvor in einem Mitarbeitergespräch erklärt, dass das mit dem Chefsein nichts für mich wäre – zu lebhaft, zu emotional. Die Brigitte hab ich dann gefragt, ob ich als Chefin irgendwie anders auftreten sollte. Vielleicht irgendwie breitbeiniger? Was hat Brigitte Fehrle geantwortet: „Quatsch!!! Wenn Du gut bist in dem, was Du machst, dann merken die Leute das. Dann respektieren sie dich auch so wie du bist. Und: Du bist gut in dem, was Du machst“.

Du kannst nicht ermessen, wie sehr du mir damit geholfen hast. Brigitte Fehrle selbst war und ist so brillant in dem, was sie gemacht hat, dass das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in seiner wohl größten Krise, bei ihr angerufen und gefragt hat, ob sie helfen kann, den Skandal um den Autor Claas Relotius aufzuarbeiten. Der SPIEGEL-Kollege, mit dem ich dazu telefoniert habe, sagt, na – was glauben Sie, was der gesagt hat?

Erinnern Sie sich kurz an die Brigitte Fehrle auf dem Rasenmäher …

Also der SPIEGEL über Fehrle: Sie sei eine beeindruckend systematische, gründliche, effiziente, harte, aber sehr faire Kollegin gewesen. Kurz: Eine hervorragende Ermittlerin. Einen weiblichen Colombo nannte er Dich. Bei den Befragungen habest Du am Ende immer noch eine freundliche Frage zu einem kleinen Detail gestellt, das bisher allen entgangen war …

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Brigitte, wir brauchen Journalistinnen wie Dich, die die Werte unserer demokratischen Gesellschaft mit den Mitteln eines kritischen Geistes verteidigen. Wir alle hier wissen, dass dies heute wichtiger und dringlicher ist, als jemals zuvor.

Und auch wenn das hier ein Preis für Dein Lebenswerk ist. Deine Aufgabe ist nicht zu Ende. Du wirst gebraucht. Diese Urkunde, benannt nach der wunderbaren Hedwig Dohm, ist also Dank und Ansporn zugleich. Ich kann mir keine würdigere Preisträgerin für diese Urkunde vorstellen.

Herzlichen Glückwunsch!

 

Brigitte Fehrle, ihr Mann Andreas Schoelzel und ihre langjährige Kollegin und Freundin Jutta Kramm amüsieren sich über die Anmerkungen von Ulrike Demmer / Foto: Cathrin Bach

Hedwig-Dohm-Urkunde 2022

Dankesrede Brigitte Fehrle
Preisverleihung in Bildern
Alle Preisträgerinnen 1991 – 2022