Jahrestagung 2021: Begrüßung Friederike Sittler (jb-Vorstand)
Herzlich willkommen zu dieser Tagung, die wir in Essen in Präsenz veranstalten können und die im Livestream zu verfolgen ist.
Wir mussten im Vorfeld schon früh vermelden: wir sind überbucht. Das ist in der Geschichte des JB, glaube ich, auch noch nicht so oft vorgekommen. Aber es ist eben auch der Verdienst unserer Regionalgruppe Ruhr, die das alles vorbereitet hat und deren Vertreterinnen Dana Savic, Sigrun Rottmann und Regina Völz vor einem Jahr den Vorstand angesprochen und sehr schnell überzeugt hatten.
Im Lauf der Monate ist uns noch viel klarer geworden, wie wichtig dieses Thema ist, warum es auf so großes Interesse gestoßen ist: Konfliktsensitiv berichten.
Ich möchte zwei Beispiele nennen, die uns in jüngster Zeit beschäftigt haben.
Afghanistan: Bilder, die prägen. Da sind die bärtigen Männer, die traditionelle Kleidung, die Pick-ups, die Waffen, die Szenen am Flughafen… Die für mich noch interessantere Frage ist: was sehen wir nicht? Wie war die Situation außerhalb Kabuls? Wer dirigiert denn all diese Bärtigen mit ihren Pick-ups und wie digital vernetzt sind die Mächtigen? Wo kommt das Geld her? Und vor allem, was ist mit den Frauen?
Couragierten Frauen, auch hierzulande, ist es zu verdanken, dass sehr schnell das Thema der verfolgten Frauenrechtlerinnen und Journalistinnen in Afghanistan auf der Agenda war. Die letzten Wochen waren keine Zeit der Profilierung einzelner Verbände in der Öffentlichkeit, sondern es ist sehr viel hinter den Kulissen passiert. Es war auch ein Erfolg unserer Netzwerke, Frauen effektiv zu helfen. Wir merken aber auch, wie begrenzt unsere Möglichkeiten da sind.
Positiv wahrgenommen habe ich in dieser Zeit, dass das Thema Frauen, die sich nicht mehr auf die Straße trauen, die verfolgt werden, sehr schnell präsent war. Es ist, finde ich, ein Fortschritt, auch in der Berichterstattung. Aber wir dürfen nicht lockerlassen. Wir dürfen das Thema auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht vergessen. Denn wir wissen, wie schnell die Bilder in Ausnahmesituation männlich konnotiert sind.
Und wenn wir uns jetzt mal, weil die Bundestagswahl vor der Tür steht, diesen Wahlkampf angucken, dann finde ich, haben wir in den letzten Wochen auch da wieder in einige frauenpolitische Abgründe geblickt. Ich nenne nur das Beispiel eines führenden deutschen Nachrichtenmagazins, wo ein „Studienfreund“ nichts Besseres zu tun hatte, als Spitznamen auszuplaudern, Parties zu beschreiben; dazu wurden Kopien von Vorlesungsmitschriften und Fotos aus dieser Zeit abgedruckt.
Ich habe keine ähnliche Story gefunden, die über einen Mann in dieser Art und Weise geschrieben worden wäre, wenngleich ich sagen muss, dass dieser Wahlkampf auch bei den Männern einiges an Spuren hinterlassen haben dürfte.
Trotzdem ist für mich immer die Frage, ob bei Frauen andere Parameter angelegt, andere Kategorien der Beschreibung gewählt werden? Ich denke nur an das erste Interview mit Annalena Baerbock im privaten Fernsehen. Da wird sie doch allen Ernstes gefragt: Wenn sie denn demnächst Kanzlerin sind und dann die gepanzerte Limousine haben, bringen Sie damit dann ihre Kinder zur Schule oder zum Kindergarten? Also bitte, was ist das für eine Frage?
Über welche Themen wird geredet und vor allem, über welche nicht? Ich behaupte, gemacht wird oftmals – viel zu oft – was vermeintlich gefällt und gewollt ist. Aber ich bin davon überzeugt, wir könnten darauf verzichten, und wir würden nichts vermissen. Es ist nach wie vor der Kampf um Quoten, Aufmerksamkeit, Klickzahlen. Und wir wissen alle, wer in Social Media anheizt, zuspitzt, hat mehr von den Klicks.
Qualität ist anders: präzise recherchieren, präzise beschreiben was ist. Dafür steht der Journalistinnenbund auch mit seinem Projekt Genderleicht. Wir ziehen eben mitnichten über alles dogmatisch einen Genderwahn-Schleier. Nein, wir vom JB, wir hätten nicht von Islamist*innen gesprochen, denn es passt einfach nicht, dort Personen anzunehmen, wo sie ideologisch verdammt werden. Unsere Aufgabe ist es als Journalistinnen, aber natürlich auch als Journalisten, sprachlich exakt zu beschreiben was ist; nicht nur Personengruppen mit zu meinen und derweil Text und Bild unzulässig zu verkürzen. Wir schulden all denen, die uns als Quelle für ihre Informationen nutzen, genau diese Präzision. Davon lebt unsere Demokratie, gerade in dieser Zeit der permanenten, oft auch bewussten Desinformation.
Aufklären statt anheizen, das leisten wir mit Genderleicht. Das leisten wir als JB. Heute mit dieser Tagung. Und wir zeichnen am Abend vorbildliche Frauen aus, die für qualitativ hochwertigen, präzisen, couragierten Journalismus stehen. Eine Woche vor der Bundestagswahl ist der Artikel unserer Marlis Hesse-Nachwuchspreisträgerin aus dem Januar 2021 über Frauen in der Politik leider zeitlos aktuell. Der Titel ihres Beitrags in der Zeit: Damenopfer!
Ich wünsche mir im Nachgang zu diesem Wahlkampf eine fundierte Auswertung. Wer hat wann aus welchen Motiven heraus in den Medien mehr angeheizt als aufgeklärt? Wie konfliktsensitiv waren die, die sich für den Qualitätsjournalismus in Anspruch nehmen? Wie wurden Männer und Frauen dargestellt, welche Ausrutscher und welche vielleicht auch bewussten Kampagnen gab es?
Lernen wir jetzt aber erst einmal das Konzept des konfliktsensitiven Journalismus noch besser kennen. Stellen wir es auch auf dem Prüfstand. Wie funktioniert das in der Realität? Wir können jeden Tag den Journalismus besser machen. Wir als Frauen in den Medien sind längst dabei, als jb feministisch, vielfältig, engagiert.
18.9.2021