Marlies-Hesse-Preis 2018 für Barbara Bachmann | Isabell Beer und Dinah Riese ebenfalls ausgezeichnet
Der Marlies-Hesse-Nachwuchspreis würdigt seit 2002 junge Kolleginnen bis 35 Jahre, die ihren differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Lebenswelten von Männern und Frauen verschiedener Ethnien, Religionen oder Generationen richten. Der Nachwuchspreis – benannt nach der Stifterin – wird inzwischen jedes Jahr medienübergreifend ausgeschrieben.
Die Preise wurden am 30.6.2018 in Berlin im Rahmen der Jahrestagung des Journalistinnenbundes verliehen
Barbara Bachmann verleiht der Journalistinnenbund den diesjährigen Marlies-Hesse-Nachwuchspreis für ihre Reportage „Sex, Lügen und Youtube“ (REPORTAGEN 20/April 2017). „In ihrer Geschichte beschreibt die Autorin schonungslos das unbesonnene Verhalten der jungen Frau sowie die Wirkmechanismen und den Missbrauch privater Daten und Kommunikation in den sozialen Medien und stellt sie in einen größeren gesellschaftlichen Kontext“, erklärt die Jury des jb-Nachwuchspreises. Der erste Preis ist mit 1.000 Euro dotiert.
Den zweiten Preis erhält Isabell Beer für ihre Reportage „Das unsichtbare Verbrechen“ (ZEIT-Magazin 17. August 2017). „Die jb-Jury bewundert den Mut der damals knapp 23-jährigen Autorin. In einer Undercover-Recherche macht sie auf erschreckende Weise erkennbar, welches Ausmaß sexualisierte Übergriffe durch Voyeure im Netz die Privatsphäre von Frauen fern jeder Kenntnisnahme verletzen“. Für den zweiten Preis werden 500 Euro ausgelobt.
Den dritten Nachwuchspreis erhält die Redakteurin Dinah Riese für ihre Berichterstattung in der taz zur Debatte um den Paragrafen 219a StGB. „Die Auszeichnung honoriert ihre Ausdauer und lobt gleichermaßen die redaktionelle Entscheidung der tageszeitung, ihr die kontinuierliche Berichterstattung über ein gleichstellungspolitisch brisantes Thema zu ermöglichen“, so die Jury. Durch die Unterstützung der Soroptimistinnen (Club Köln-Römerturm) kann dieser Sonderpreis mit 300 Euro dotiert werden.
Die Begründungen der Jury
Barbara Bachmann: 1. Preis
Der Journalistinnenbund e.V. verleiht den 1. Marlies-Hesse-Nachwuchspreis 2018 an die freie Journalistin Barbara Bachmann für die Reportage „Sex, Lügen und Youtube“, erschienen in REPORTAGEN 20/April 2017.
Mit großer Hartnäckigkeit beschreibt die Reporterin Barbara Bachmann die Hintergründe der Selbsttötung der Italienerin Tiziana Cantone aus Neapel, die sich das Leben nahm, nachdem sie Opfer von Cybermobbing wurde. Im Netz hatte sich zuvor ein Sex-Video verbreitet, bei dem sie ihrem Freund zuliebe mitgemacht hatte. Angesichts der Dynamik ihrer medialen und digitalen Hinrichtung erscheint ihr anschließend kein anderer Ausweg als Selbsttötung möglich.
In ihrer Geschichte beschreibt die Autorin schonungslos das risikoträchtige Verhalten der jungen Frau sowie die Wirkmechanismen und den Missbrauch privater Daten und Kommunikation in sozialen Medien und stellt sie in einen größeren gesellschaftlichen Kontext. In langen Gesprächen, die sie mit der Mutter des Opfers führte, macht die Autorin deutlich, wie das tragische Schicksal von Tiziana Cantone seinen Lauf nahm.
Die Thematik der Reportage weist über den konkreten Einzelfall hinaus und macht bewusst, dass das Netz kein Freiraum für Schmähungen und Verunglimpfungen sein darf und klare gesetzliche Regelungen zum Umgang mit Persönlichkeitsrechten dringend erforderlich sind. „Das Fehlen eines Gesetzes gegen Cybermobbing ist eine juristische Lücke“, resümiert Barbara Bachmann treffend.
Sprachlich und stilistisch brillant, präzise recherchiert, respektvoll im Ton, nimmt sich der Text die Zeit und den Raum, den diese Geschichte braucht. Der Journalistinnenbund würdigt mit dem Marlies-Hesse-Nachwuchspreis die 31-jährige Südtiroler Journalistin, die uns mit ihrer fesselnden Spurensuche tief berührt und lange beschäftigt hat.
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Isabell Beer: 2. Preis
Der Journalistinnenbund e.V. verleiht den 2. Nachwuchspreis 2018 an die Redakteurin Isabell Beer für ihre Reportage „Das unsichtbare Verbrechen“, veröffentlicht im ZEIT-Magazin am 17. August 2017.
Isabell Beer bearbeitet in ihrer investigativen Reportage ein Thema, das in der politischen und medialen Öffentlichkeit bisher kaum Beachtung fand. Sie legt darin die Möglichkeiten offen, wie Frauen ohne ihr Wissen systematisch heimlich gefilmt oder fotografiert werden können und wie diese Bilder unter miteinander vernetzten Voyeuren und bekennenden Vergewaltigern über Pornoseiten getauscht und auf menschenverachtende Weise kommentiert werden. Zugleich zeigt sie die perfiden Methoden auf, die auf eine hohe kriminelle Energie hinweisen und sich jeder Kontrolle zu entziehen scheinen.
Mit Isabell Beers akribischer Undercover-Recherche wird auf erschreckende Weise erkennbar, in welch großem Ausmaß die Privatsphäre von Frauen fern jeder Kontrolle und jeder Kenntnisnahme verletzt werden kann. Sexualisierte Übergriffe durch Voyeure im Netz sind ein medial noch recht unbekanntes Thema von hoher gesellschaftlicher Relevanz.
Die jb-Jury bewundert den Mut der damals knapp 23-jährigen Autorin, die zufällig auf das Phänomen gestoßen war und ihm gefolgt ist: unter Einsatz ihrer eigenen Privatheit, mit den zur Verfügung stehenden journalistischen Methoden und mit aufklärerischer Entschlossenheit. Dafür würdigt sie der Journalistinnenbund mit dem 2. Marlies-Hesse-Nachwuchspreis.
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Dinah Riese, 3. Preis
Der Journalistinnenbund e.V. verleiht den 3. Nachwuchspreis 2018 an die Redakteurin Dinah Riese für ihre Berichterstattung zum § 219a StGB in der taz vom 15.9.2017, 17.11.2017 und 22.2.2018.
Die Journalistin Dinah Riese hat das inzwischen von vielen Medien und dem Bundestag kontrovers aufgegriffene Thema zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nach § 219a des Strafgesetzbuches früh entdeckt und beharrlich weiterverfolgt.
In ihren Berichten und Kommentaren machte sie auf die Zunahme juristischer Verfahren gegen Abtreibungsärztinnen wiederholt aufmerksam. Damit stieß sie eine gesellschaftlich und politisch notwendige Debatte zur Änderung des Paragrafen an. In ihrem Kommentar „Schluss mit der Schikane“ plädiert sie für seine Abschaffung in der antiquierten Form, da er Frauen in ihrem Recht auf Information beschneidet.
Die Auszeichnung für Dinah Riese honoriert ihre Ausdauer und lobt gleichermaßen die redaktionelle Entscheidung der tageszeitung, ihr die kontinuierliche Berichterstattung über ein gleichstellungspolitisch brisantes Thema zu ermöglichen.
Für ihr Engagement und ihren differenzierten Blick auf die Problematik dankt ihr der Journalistinnenbund und würdigt sie mit dem 3. Marlies-Hesse-Nachwuchspreis.