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Marlies-Hesse-Preis 2020: Jurybegründung

Sabine Zurmühl, Jury-Vorsitzende Marlies-Hesse-Nachwuchspreis:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen, wir stehen hier in Zeiten von Corona. Uns ist schmerzlich bewusst, dass mit dem Auftreten von Corona für viele Kolleginnen eine sehr schwere Zeit begonnen hat. Wir wünschen sehr, dass es möglichst viele von ihnen schaffen!

Der Marlies-Hesse-Preis gilt dem Nachwuchs.

Was tun die Jungen? Wie arbeiten die jungen Journalistinnen, welche Themen interessieren sie ? Wie sieht es bei ihnen aus mit dem Interesse für die Fragen der Geschlechterpolitik.

2002 stiftete  Marlies Hesse den dann nach ihr benannten Nachwuchspreis und institutionalisierte damit die systematische jährliche Beschäftigung mit Arbeiten junger Kolleginnen. Leider kann Marlies Hesse coronabedingt heute nicht hier sein und deshalb grüßen wir sie auf diesem Wege und danken ihr, die jahrelang im Ausbildungsbereich für Journalistinnen tätig war, für ihre Idee zu diesem Preis und für ihre damit verbundene jährliche Spende des Preisgeldes. Finanziell unterstützt wurde der  Preis von Anbeginn durch die Soroptimistinnen im Club Köln-Römerturm, dem sie als Mitglied angehört.

Die Ausschreibung des Marlies-Hesse-Nachwuchs-Preises bezieht sich auf sämtliche Formate: Hörfunk, Fernsehen, Print und Online-Produktionen.

Die Beiträge sollen nahe an die Lebenswirklichkeit der Menschen heranführen, mit dem Bewusstsein für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe jenseits gängiger Rollenzuschreibungen.

Der Journalistinnenbund  fördert  die gendersensible Perspektive, den differenzierten Blick auf Geschlechterperspektiven und Generationenbilder, auf Menschen verschiedener Hautfarbe, Herkunft und Religion.

Hohe journalistische Qualität, eine bildstarke Erzählweise und sprachliche Brillanz werden dabei geschätzt.

In diesem Jahr 2020 erreichten uns 38 Einsendungen, von der klassischen O-Ton-Reportage über nachdenklich-leise Essays, selbstproduzierte Videofilme, Youtube-Beiträge und Podcast-Serien – zu Frauen in der Rockmusik, zu Verhütung und Abtreibung, zur Rebellion Schweizer Bäuerinnen  oder Dienstbotenfragen – ein wunderbares buntes Spektrum.

Journalistin zu werden und zu bleiben, braucht sehr unterschiedliche Talente. Wie finde ich meine Themen, welche Interessenstruktur leitet mich dabei und wen kann ich dafür gewinnen, dieses mein Thema ebenfalls wichtig zu finden? Wie diszipliniert kann ich mich organisieren, um nicht nur einen guten Vorschlag zu machen, sondern auch ein Ergebnis zeitgerecht zu präsentieren? Wie kann ich mit Kritik umgehen?  Wie kann ich eine gute Balance finden zwischen Eigensinn und professioneller Anpassungsfähigkeit?  Und wie kann ich dennoch meine eigene Handschrift, meine eigene Wahrnehmung schützen? Gerade eine genaue Beobachtung von Geschlechterklischees, Abhängigkeits- und Gewaltstrukturen bringt für Journalist i n n e n häufig ein Stück Selbstkonfrontation mit sich.

Fabienne Hurst, die dieses Jahr ausgezeichnet wird, ist eine mutige Kollegin. Sie hat sich ein Thema gewählt, für das sie sich auf einen eher geschlossenen gesellschaftlichen Bereich einlassen musste, die Ausbildungswelt bei der renommierten Lufthansa mit ihren merkwürdigen, auch abstoßenden und bewusst verborgen gehaltenen  Prüfungszeremonien und Aufnahmeritualen. „Schreib das auf, Frau“, lautete vor vielen Jahren das Motto eines Schriftstellerinnenkongresses. Trau dich. Sei Zeitzeugin. Fabienne Hurst wurde mit ihrer Arbeit zur kritischen Zeitzeugin und Whistleblowerin und dafür haben wir sie ausgezeichnet.

Jurybegründung

Der Journalistinnenbund zeichnet die freie Journalistin Fabienne Hurst für ihre Reportage „Druckbetankung“ mit dem Marlies-Hesse-Nachwuchspreis 2020 aus. In ihrem Beitrag beschreibt die Autorin die rüden und übergriffigen Gruppen-Aufnahmerituale in der Pilotenausbildung der Lufthansa. Fabienne Hurst leistet mit ihren genauen Beschreibungen aus einem streng abgeschotteten Bereich einen hoch investigativen Beitrag über immer noch geltende Initiationsriten mit verstörenden Unterdrückungs- und Anpassungsforderungen, insbesondere über gesellschaftlich ausgeprägte Varianten von Demütigungsritualen. Die Autorin setzt so ein Zeichen der Mahnung. Gleichzeitig stellt der Artikel einen aktuellen Beitrag zur Debatte um geltende Geschlechterbilder dar. Der Text ist in seiner reportagehaften, gleichwohl fast essayistisch-literarischen Schreibweise ein gelungenes Zeugnis journalistischer Sorgfalt und Kreativität.

Der Preis ist mit 1000,- € dotiert.