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Boulevardisierung der Medien

Gibt es einen guten Boulevard? Diese Frage stand am 20. November 2014 in Berlin zur Debatte.

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Das Podium moderiert von Helga Kirchner mit Marion Horn, Juliane Leopold, Christiane Stürenberg und Ines Pohl; Rechte: Eva Hehemann

Lebhaft ging es zu – wie auf dem Boulevard flanierte das Podium am 20.11.14 im Berliner taz-Café vorbei an großen Themen wie Feminismus, Qualität und Verantwortung. Mal verweilten die Frauen aus den Chefredaktionen und Redaktionsleitungen bei einem Thema, mal schilderten sie verschiedene Facetten, provozierten sich gegenseitig oder lachten miteinander.

Den Nachmittag mit Vorträgen eröffnete Elisabeth Klaus, Professorin an der Universität Salzburg, mit dem Wunsch, den Begriff der Boulevardisierung aus feministischer Perspektive kritisch zu hinterfragen. Sich über den Boulevard zu erheben, sei für denjenigen, der das tue, ein Disktinktionsgewinn, sagte die Kommunikationswissenschaftlerin. Beim häufig als „Unterschichtenfernsehen“ gescholtenen Reality TV etwa würden Menschen sichtbar, die sonst nicht oder nur selten ins TV kommen, wie Migrantinnen oder „queere“ Identitäten. Sie wünsche sich, dass Frauen anerkennend in TV-Serien gezeigt würden. Das Publikum solle zu Wort kommen und nicht bevormundet werden.

Der Publizist Hans-Jürgen Arlt sagte, was „Bild“ mache, sei in seinen Augen kein Journalismus, sondern „Publizismus“. Hier gehe es „um die Ehe von Aufmerksamkeit und Geld“. Medienunternehmen lebten davon, dass sie eine möglichst hohe Aufmerksamkeit erreichen. Information sei ohne Verlust teilbar – „Autos nicht“, daher seien Autobauer erfolgreicher als Medienunternehmen, sagte Arlt, der an der Universität der Künste in Berlin strategische Kommunikation unterrichtet. Eine „hohe Qualität im Journalismus verschlechtert die Bilanz“, da beim Wettbewerb um die „Aufmerksamkeitsökonomie“ andere publizistische Formen mehr Geld generierten.

Leserinnen durch Intelligenz gewinnen

Die Journalistin Eva Kohlrusch, die von 1984 bis 1992 die erste Frau in der Chefredaktion von „Bild“ war, brach dem Boulevard-Journalismus eine Lanze: „Verkürzen bedeutet, vorher lang nachgedacht zu haben“, sagte sie. Als sie in die Chefredaktion von „Bild“ gekommen sei, habe sie ihre Kollegen mit der Ansage schockiert, dass Leserinnen nur zu gewinnen seien, „wenn man das Blatt intelligenter macht“. Die Ablehnung des Boulevardjournalismus sei „hysterisch“ und habe viel mit Arroganz zu tun, kritisierte Kohlrusch. Im Boulevard täten ihrer Ansicht nach mehr begleitende Hintergrundstücke not, während die seriösen Medien mehr Bereitschaft bräuchten, sich auf Emotionen einzulassen.

Geschichten, die wir selbst cool finden

Bei der Podiumsdiskussion am Abend berichtete Marion Horn, Chefredakteurin der „Bild am Sonntag“, dass sie ihre Redakteure und Redakteurinnen stets mit der Frage nerve, ob es für ein bestimmtes Thema nicht auch Expertinnen gebe. Bestimmte Formen von Boulevardnachrichten seien „Männergewalt gegen Frauen“. Das heiße aber nicht, dass Frauen die besseren Menschen seien. „Mackertum“ gebe es nicht nur auf dem Boulevard. Ungesund sei es, wenn es in Redaktionen nur Männer oder nur Frauen gebe. Da habe sich aber viel getan. Horn beobachtet in allen Medien „mehr Aufgeregtheit durch die Schnelligkeit des Internets“. Qualität habe auch etwas mit der wirtschaftlichen Situation eines Mediums zu tun, sagte sie. Bei der Planung von Themen interessiere sie Marktforschung nicht. So habe sie die meisten Ratgeberthemen abgeschafft, die Menschen „wollen nicht mehr erklärt bekommen, wie sie leben sollen“. In der „Bild am Sonntag“ würden nur Geschichten gedruckt, „die wir selbst cool finden“. Zugleich kritisierte die Chefredakteurin den rauen Umgangston in sozialen Medien: „Unsere Leser sind deutlich netter als das Pack auf Twitter“.

Christiane Stürenberg, Redaktionsleiterin bei „Focus TV“, berichtete, dass für das Fernsehen als visuelles Medium die erste Frage sei: „Gibt es Opfer?“ Die Steigerung sei, „wenn Opfer weinen“. Ihre Erklärung: „Je ungefilterter Emotionen rüberkommen, desto näher sind sie auch beim Zuschauer.“ Bei „Focus TV“ habe die Redaktion die Erfahrung gemacht, dass Themen wie der Bürgerkrieg in Syrien beim Publikum sehr schlecht ankämen. Selbst eine Reportage über Kriegerinnen an der Front habe „keiner sehen“ wollen. „Wir müssen uns fragen, wie wir gesellschaftliche Themen an den Zuschauer“ bringen, sagte Stürenberg. Der Zuschauer wolle unterhalten werden, daher müssten die Redakteure sich fragen, wie sie ihn informieren wollten.

Boulevard nicht als Selbstzweck

Die Chefredakteurin der „taz“, Ines Pohl, sagte, auch die „taz“ habe boulevardeske Züge. Der Boulevard wolle Aufmerksamkeit erreichen, dagegen sei grundsätzlich nichts zu sagen, wenn es um wichtige Themen gehe. Daher gebe es auch in der „taz“ viele boulevardeske Elemente. Auch komplexe Artikel müssten so geschrieben werden, das sie unterhalten. Problematisch werde es, wenn der Boulevard Ressentiments bediene. Boulevard dürfe nicht zum Selbstzweck werden, in der taz gehe es immer um Aufklärung und Investigation.

Juliane Leopold, Chefredakteurin des deutschen Ablegers von „Buzzfeed“, sagte, „Buzzfeed“ sei ein „rein publikumsorientiertes“ Medium: „Unsere Inhalte sollen geteilt werden“ – via Instagram, Mail und Whatsapp würden sie weiterverbreitet. Menschen teilten gern Inhalte, die sie berühren. Dabei arbeiteten die Redakteure von „Buzzfeed“ „mit dem gleichen Handwerkszeug wie andere Häuser. Jeder möchte gern gelesen werden.“ Ein Prinzip sei: „Wir treten nicht nach unten, wir sind sehr politically correct.“ Das Internet bilde die reale Welt ab, sagte Leopold: „Es geht auch um Empathie – das wäre meine Hoffnung.“ Allerdings gebe es im Internet einen „kompletten Kontrollverlust“, bemängelte die Redakteurin. In Deutschland werde verbale Gewalt im Netz nicht ernst genommen. Würden Stalker sich an ihre Fersen heften, habe die Polizei nur einen dürftigen Rat. „Dann geh doch aus dem Internet.“

Am Ende des Podiums waren viele Fragen angestoßen, die in den Gesprächsrunden vertieft wurden.

Sylvia Feil, Diemut Roether

Programm zur Veranstaltung „Boulevardisierung der Medien“

15.00 -17.30 Uhr Vorträge mit Diskussion

Eröffnung: Ines Pohl (taz), Andrea Ernst (jb-Vorsitzende), Gitti Hentschel (GW-Institut)

Professorin Dr. Elisabeth Klaus (Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Leiterin der Abteilung „Kommunikationstheorien und Öffentlichkeiten“)
„Nichts als Boulevard? Fernsehunterhaltung zwischen ‚Quality Serien‘ und ‚Trash TV'“

Dr. Hans-Jürgen Arlt (Publizist und Kommunikationswissenschaftler, ehemaliger Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des DGB, Honorarprofessor an der Universität der Künste Berlin)
„BILD, The Sun, Kronen Zeitung – missratene Kinder von Öffentlichkeit und Ökonomie
Warum Kapitalismus gute Autos, aber schlechte öffentliche Informationen produziert.“

Eva Kohlrusch (Kolumnistin, ehemalige jb-Vorsitzende)
„Gefühlsmassagen – die Sucht nach Dramen und Inszenierungen im Boulevard“
Eine Analyse von einer, die 50 Jahre über die Boulevards zog.

Moderation: Dr. Sibylle Plogstedt

18.00 Uhr bis 21.30 Uhr Podium und Gesprächsgruppen

Marion Horn – Chefredakteurin „Bild am Sonntag“

Ines Pohl – Chefredakteurin „taz“

Christiane Stürenberg – Redaktionsleiterin „Focus TV“

Juliane Leopold  – Chefredakteurin „Buzzfeed“

Moderation: Helga Kirchner – ehemalige Chefredakteurin des WDR-Hörfunks

 

Zum Bericht im Watch-Salon von Christine Olderdissen