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„Brigitte“ geht in Rente – wer sind die Enkelinnen?

Die Frage unseres 4. Medienlabors am 18. Oktober 2015 hieß: „BRIGITTE geht in Rente – Wer sind die Enkelinnen?“ Und da diese Frage eingebettet war in die gemeinsame Veranstaltung mit dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung unter dem Titel „Dare the im_possible“ / „Wage das Un_Mögliche“, ging es natürlich um die größere Frage, wie das 21. Jahrhundert feministisch zu gestalten sei.

Die Antwort unserer, von Helga Kirchner, befragten Podiumsrunde war schlüssig: Im Prinzip wird BRIGITTES Erbe ausgeschlagen. Klassische Frauenzeitschriften mit ihrem Übergewicht an Themen wie Mode, Frisuren, Kosmetik und anderen bunten Rezepten bieten keine Herausforderungen für politisch bewegte Medienfrauen – mögen sich BRIGITTE-Redakteurinnen samt ihrem Blatt auch streckenweise unverkennbar feministisch engagiert haben und das Denken ihrer Leserinnen auf den ebenso umstürzlerischen wie ermutigenden Ansatz gelenkt haben, dass sich die Welt aus feministischer Perspektive viel umfassender, gerechter, letztlich auch aufregender darstellt als aus dem gewohnten maskulinistischen Blickwinkel.

Bedauerlicherweise war Sineb El Masrar, Gründerin des Migrantinnen-Magazins GAZELLE erkrankt und konnte nicht berichten, ob der Abschied vom Printmedium (von 2006 bis 2011, seither online) auf die Themenwahl verändert habe. Blätter wie ZEIT-online oder die SZ-Wirtschafts-Beilage „Plan B“ haben mit ihren speziellen Internet-Auftritten ja durchaus Eindruck mit dem dort zu findenden anderen, dem feministischen Blick gemacht. Wohl weil sich virtuell von einer Minute zur anderen unerwartete Anhängerscharen bilden können, während ein Printmedium vorher sorgsam eingegrenzte Zielgruppen anpeilt.

Traurige Erkenntnis für den Fernseh-Bereich: Hier sticht einzig die WDR-Sendung „Frau TV“ als feministisches Magazin hervor. Immerhin haben frauenpolitische Ansätze dort ein Zimmer für sich allein. Mit nur 30 Minuten – donnerstags, zur halben Nacht ab 22 Uhr – handelt es sich allerdings allenfalls um ein Kämmerchen. „Im TV gibt es keinen breit angelegten öffentlichen Auftritt für feministische Themen, wie es etwa Sportthemen haben – u.a. weil wir ein älteres Medium sind“, beklagt Redaktionsleiterin Dagmar Kieselbach. Ihr Trick, dennoch die erwartete Quote zu erreichen: „Wir versuchen immer, Schwarzbrot und Torte zu machen. Sozusagen als Verführung auch zu härteren Themen.“

Wie leichtfüßig sich letzteres derzeit verflüchtigt, zeigt schon das Quantum Humor, mit dem die Nachmittagsrunde des Medienlabors unter dem Namen „Feministischer Frühschoppen“ antrat. Im feministischen Presseclub wurde augenzwinkernd wie einst im Internationalen Frühschoppen Wein kredenzt. Der weitaus gewichtigere Anstoß, sich jetzt deutlich feministisch zu engagieren, ergibt sich jedoch aus der politischen Aktualität. Alle Diskutantinnen waren sich einig: Durch die Flüchtlingssituation sei eine Politisierung eingetreten – bei jungen wie äteren Leserinnen. Nun, so Katrin Rönicke, werde erkannt, dass in wichtigsten sozialen und kulturellen Themenbereichen wie Wohnung, Arbeit, Bildung die Strukturen nicht zulänglich sind. „Das Fluchtthema wird zum Katalysator für vieles.“

Ulrike Fischer, die vierte in der Podiumsrunde, hat in ihrem Berufsleben mehrere Blätter als Chefredakteurin zu guten Auflagen geführt (u.a. Petra, Marie-Claire, Woman), vermag sich darin aber heute „nicht wirklich mehr wiederzufinden; u.a. weil Themen wie Mode und Kosmetik zu viel PR anziehen.“ Um die Zukunft typisch klassische Frauenmedien ist ihr eher bang; nicht aber um die neu angefachte Lust auf Feministisches. Zumindest habe sie selbst in Blättern, in denen es nicht zu erwarten gewesen sei, einen recht lässigen Umgang mit dem Wort Feminismus gefunden. Aktuelles Beispiel: Die Zeitschrift GLAMOUR forderte ihre Leserinnen auf, mit Hilfe eines Tests herauszufinden, zu welchem Typus man sich zähle: Vollblut-Feministin. Halbblut-Feministin. Kaltblut-Feministin. Wer sich an folgendes rund zehn Jahre altes Statement der Soziologin Katja Kullmann erinnert, könnte darin tatsächlich einen bemerkenswerten Fortschritt sehen: „Wenn wir Worte wie Emanzipation, Geschlechterkampf und Feminismus laut aussprechen, dann kommen wir uns vor, als ob wir einen dicken Döner mit ordentlich Tsatsiki gegessen hätten. Es müffelt übel, abgestanden, unappetlich, peinlich.“

Einig war sich die Runde, dass der Feminismus all diese endlich aufgeworfenen Fragen verschränken müsse, statt den Blick auf kleinteilige Bereiche zu richten, wie Helga Kirchner betonte. Dafür sei es unerlässlich, Allianzen mit anderen Gruppierungen zu schließen. Zum Beispiel sei gemeinsam Druck auf Institutionen auszuüben, damit nicht alle spontan geleisteten Hilfsaktionen auf ewig Ehrenamt blieben. Wichtigster Aspekt dabei: Dass das Fluchtthema in der bislang so vorbildlichen breiten Öffentlichkeit nicht erlösche und von rechten Gruppierungen gekapert werde. Das brauche „Mut, sich breitbeinig hinzustellen und zu streiten“, wie Ulrike Fischer hervorhob. BRIGITTES Enkelinnen seien keinesfalls mehr politikmüde. „Sie haben erkannt, dass sie auch wirkmächtig sein können. Wenn die Themen relevant sind, macht dies auch die journalistischen Medien wieder wichtig.“

Eva Kohlrusch

Es diskutierten:

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Theresa Bücker

 

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Dagmar Kieselbach

 

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Ulrike Fischer

 

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Katrin Rönicke

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Stefanie Lohaus

Netzschau

Auf den Seiten des Gunda-Werner-Instituts eine Foto-Love-Story zum Medienlabor von Dorothee Barsch und Dominique Haensell. (Hier geht es zur Fotostrecke.)

Im Watch-Salon berichtet Christine Olderdissen. (Hier geht es zum Beitrag.)

Für den BR berichtete Vera Linß.

WDR 5 Töne, Texte, Bilder: Töne, Texte, Bilder vom 24.10.2015

Das Eröffnungspanel und der Presseclub wurden auf Video mitgeschnitten.
Der Blog zu der Veranstaltung „Dare the Impossible“.


Eine Kooperation im dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung, realisiert im Rahmen der Konferenz „Dare the Impossible – Wage das Unmögliche. Das 21. Jahrhundert feministisch gestalten.““