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Journalistinnen in der Kriegs- und Krisenberichterstattung

Reporterinnen oder Fotografinnen mit Erfahrungen aus Kriegs- und Krisengebieten gaben im jb-Medienlabor am 29. Oktober 2013 in Berlin Einblick in den (Arbeits-)Alltag bei ihren Einsetzen. Die Journalistinnen berichten nicht aus Kriegsregionen, um über den Krieg zu berichten. Ihnen geht es um das Land im Umbruch. Häufig wachsen ihnen die Länder und auch die Menschen, über die sie berichten, ans Herz.

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Emcke, Fischer, Meissner, Kirchner, Ernst, Schenk, Virnich, Saoub (Meike Engels)

Das breite Spektrum an Professionen beim Diskussionsabend zeigte, wie vielseitig die Krisen- und Kriegsberichterstattung ist. Wie auch die Frauen meist jung ins Ausland gingen und wo sie heute stehen. Sie berichteten vom Reisen und der Wiederkehr. Bei allen klang an, dass sie das Schöne in den bereisten Ländern lieben. Die große Menschlichkeit in der Bevölkerung, die Gastfreundschaft.

Krieg besteht nicht nur aus Krieg – Der Alltag im Krieg

Die Zivilbevölkerung ist im Fokus der Journalistinnen. Susanne Fischer beschreibt ihre Erfahrung beim Kampf gegen die Zivilbevölkerung im Irak 2003. „Wenn man beginnt, sich die Geschichten anzuhören, ist es nicht so einfach, sich da wieder rauszuziehen. Man will auch sehen, was aus dem Land wird.“

Carolin Emcke beschreibt das Gefühl der Ungleichzeitigkeit, wenn sie vor dem Hintergrund von Kriegshandlungen den Alltag der Bevölkerung beschreibt. Sie gehen selbstverständlich auf Märkte um einzukaufen, es gibt Hochzeiten, Geburten und das ganz normale Leben. Die Gleichzeitigkeit des Ausnahmezustands und des Alltags sind schwer zu beschreiben, sind verwirrend und widerstreben den eigenen Erwartungen. „Die Erfahrungen, die man macht, widersprechen allem, was man glauben möchte.“

Ihr Bestreben ist es, den Opfern eine Stimme zu geben. Diese seien oft so verstört, dass sie nicht chronologisch erzählen, nach Wörtern suchen oder stottern. Ruhe und Empathie schaffen dann die nötige Gesprächsatmosphäre. Emcke resümiert, „es wäre verstörend, wenn die Opfer nicht verstört wären.“

Eine Stimme geben

Fischer bildet Journalistinnen und Journalisten vor Ort aus. Das Bestreben sei, gleich viele Frauen wie Männer auszubilden, was nicht immer einfach sei. Wichtig sei, „den Journalisten vor Ort wieder eine Stimme zu geben“. Dass auch einfache Kniffe manchmal lange wirken, zeigt ihr Beispiel eines Mentoring-Programms von 2007. Die Texte syrischer Mentees wurden englisch übersetzt und anonymisiert international publiziert. Der Geheimdienst habe eine Weile gegrübelt, wer denn nun die Autorinnen und Autoren seien. In der Folge bekam Fischer ab 2010 kein Visum mehr.

Die Fotografin Ursula Meissner fasziniert, dass das Hässliche und das Schöne so nah beieinander liegen. Sie bemüht sich, immer auch die schönen Dinge zu zeigen. Beim Hässlichen verhelfe ihr die Kamera zur nötigen Distanz. Die Berichterstattung über Brandopfer ging ihr besonders nahe. „Diese verbrannten Menschen kann man nicht wiedergeben. Die Bilder wird man nicht wieder los, der Geruch bleibt.“

Über Opfer von Brandgranaten mit weißem Phosphor berichtete auch die Radiojournalistin Esther Saoub aus dem Gaza-Streifen. So ungern sie von Kriegen berichtet, motiviert es sie, Zeugen eine Stimme zu geben. Ihr sei wichtig vor Ort zu berichten, nicht aus der Ferne, vom Hügel. Schwer sei es jedoch, keine Hilfe leisten zu können. „Es ist nicht leicht, dann die verbrannte Frau da liegen zu lassen.“

Ihren Vorteil sieht sie darin, ohne Kamera reisen zu können. „Hörfunkleute – selbst große, blonde – sind unscheinbarer.“ Ohne die ganze Ausrüstung wirke sie anscheinend so, „als ob ich nicht wirklich berichte“. Dadurch vergessen einige Interviewte jede Vorsicht, nennen ihre Namen, bringen sich in Gefahr. Dann sei es an ihr, durch fingierte Namen für Schutz zu sorgen.

Als Kamerafrau berichtet Jenny Schenk davon, auf die Aufmerksamkeit der Korrespondenten und Tontechniker angewiesen zu sein. Wenn sie durch den Sucher gucke, entgehe ihr die unmittelbare Umgebung. So sei in Nairobi bei einem Interview zu den Wahlen ein Interview-Partner plötzlich von der Polizei mit Gummiknüppeln vertrieben worden. Die Situation einzuschätzen sei dann nicht einfach. „Es kommt eigentlich nicht unerwartet, aber es überrascht dann doch. Ich fing die Prügelattacke ein, weil ich die Dokumentation für wichtig hielt.“

In anderen Situationen jedoch wählt sie auch bewusst eine andere Perspektive. So habe ein Arzt dem Team aus Birgit Virnich und Jenny Schenk ermöglicht, die Untersuchung vergewaltigter Mädchen zu filmen. Dazu sagt Schenk, „man muss nicht das Leid von vorn sehen, sondern das, was bewegt.“

Die Korrespondentin Birgit Virnich beschreibt, wie sich dem Frauen-Team immer wieder Türen öffneten, die männlichen Kollegen verschlossen blieben. Und es sei ein Klischee, dass die Journalisten immer die treibende Kraft seien. „Die Frauen wollen sprechen. Das ist Teil der Trauma-Arbeit.“

Die Rückkehr der Journalistinnen

Über die Rückkehr in Heimat tauschen sich die sechs Journalistinnen lebhaft aus. Fischer beschreibt sich selbst als „furchtbaren Partybesucher – es gab Fragen, die mich stumm machten“. Die Frauen, die anderen ihr Schreiben, ihre Stimme, die Kameralinse widmen, haben keine passende Antwort auf ein „wie war’s denn so?“. Facetten wie Luxusprobleme entdecken die einen, andere schätzen eine Gesellschaft, die sich den Luxus eines Radiosymphonieorchesters leistet.

Werdegänge der Journalistinnen

Die schreibenden Journalistinnen waren noch jung, als sie dort hingingen, wo die Redaktion jemanden brauchte. Die Kamerafrau Schenk bekam eine Probezeit, um sich entscheiden zu können. Dass Sicherheitstrainings nur bedingt vorbereiten können, erzählen Saoub und Virnich. Dadurch habe sie, Saoub, vor allem „gewusst, wo ich nicht hinwill.“
Das Wesentliche lernte Meissner unterwegs. Ihr sei wichtig, die Mentalität der Bevölkerung zu kennen. So bot sie Entführern an, selbst Geld zu zahlen, um wieder frei zu kommen. „Bei Stress kann ich ganz ruhig werden. Diese Reaktion aus dem Bauch heraus rettete mir das Leben“.

Der Blickwinkel der anderen

An diesem Abend war es schnell zu spüren: Nicht nur die Teilnehmerinnen im Publikum hatten Fragen, die sie den Teilnehmerinnen auf dem Podium gern stellen wollten. Auch auf dem Podium ging es darum, zu wissen, wie die andere mit den Fragen nach der Rückkehr umgeht. Wie man den Opfern eine Stimme gibt und ihre Würde wahrt. Wie sich der westliche Blick auf die Kultur anderer Ländern ändern lässt, wie sich aus der Sichtweise etwa der Afrikaner das Geschehende darstellt. So blieben denn viele Fragen nur kurz angerissen. Der Wunsch, ein solches Gespräch öfter führen zu können, ist groß.

Hintergrundgespräch mit dem Bundesverteidigungsministerium in Berlin

Am Vormittag des 30. Oktober fand für die Teilnehmerinnen der Tagung „Berichterstatterinnen in Kriegs- und Krisengebieten“ ein Hintergrundgespräch mit dem Bundesverteidigungsministerium zum Truppenabzug aus Afghanistan statt.

Pressestimmen:

„Menschen machen Medien“, Nicole Tepasse in Verdi-Magazin „m“ 07/2013

„So viel Aggression“ in epd medien 44/01.11.2013

Radiobericht „Frauen in der Kriegs- und Krisenberichterstattung“ in: „Medienmagazin“, B 5 Aktuell 3.11.2013

Radiobericht „Kriegsberichterstattung – Der spezielle Blick der Frauen“, in: „Töne, Texte, Bilder“, WDR 5, 2.11., 15.05

„Der weibliche Blick der Kriegsreporterin“, Christiane Olderdissen im jb-Blog Watch-Salon