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Rückblick: Was Journalismus wissen kann – Medienlabor zu Wissenschaftsjournalismus

Das Corona-Jahr bescherte dem Wissenschaftsjournalismus eine nie gekannte Hochkonjunktur. Doch das Resümee der drei Fachfrauen, die der jb zum virtuellen Medienlabor am 7. März eingeladen hatte, fiel ambivalent aus.

Alina Schadwinkel, Leiterin der Online-Redaktion des „Spektrum“ und Korinna Hennig, beim NDR Gastgeberin des Rekord-Podcasts „Das Corona-Update“ mit Sandra Ciesek und Christian Drosten, waren sich einig: Ab dem Moment, in dem der politische Mainstream-Journalismus das Thema Corona für sich entdeckte, sei die wissenschaftliche Wahrheit auf verlorenem Posten gewesen.

„In den Publikumsmedien wird aus dem breiten Feld der Wissenschaft irgendeine Studie herausgezogen – ohne den Kontext zu berücksichtigen“, berichtete Korinna Hennig. Ohne den Wert der Studie einschätzen zu können, werde diese als neueste Forschung verkauft – und sorge für erhebliche Verunsicherung in der Öffentlichkeit. Auch Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln, blickte kritisch auf das Medienjahr.

 

„Pandemie und Infodemie – Wissenschaftsjournalismus in Zeiten von Corona“

Screenshot vom jb Medienlabor digital am 7.3.2021

jb-Medienlabor per Videoschalte / Screenshot: Sophia Wagner

jb-Medienlabor digital am 7. März 2021 zieht kritische Bilanz

„Ist Wissenschaft überhaupt ein Thema, das in einer Talkshow verhandelt werden kann?“, fragte Moderatorin Diemut Roether (epd) vom jb-Medienlabor. Schadwinkel verneinte: „Es werden Techniken aus dem Politikjournalismus auf den Wissenschaftsjournalismus übertragen. Das geht nicht.“ Man könne nicht, wie in der Politik, die Meinung einer Minderheit einer Mehrheit als diskutierenswerte Abweichung gegenüberstellen, meinte die Fachredakteurin. „Wenn 90 Prozent der Wissenschaft sich einig ist, dann ist das nicht irgendeine Meinung, sondern dann ist das faktenbasiert – der Stand der Wissenschaft“, suchte sie zu verdeutlichen und bekannte: „Die Diskussion um AstraZeneca hat mir den Rest gegeben“. Das „Handelsblatt“ hatte verkündet, der Impfstoff sei nur zu 70 Prozent wirksam, die Aufregung war groß. „Wir haben die ganze Studie durchforstet und keinerlei Beleg für diese Behauptung gefunden“, erinnert sie sich.

Doch die falsche Behauptung führe bis heute zu großem Misstrauen in der Bevölkerung, so dass der Impfstoff immer wieder ungenutzt bleibe. Hennigs Appell an die Kolleg*innen: „Bitte nicht möglichst schnell in jeder Suppe mitrühren wollen! Bitte erst überlegen, ob man die Fakten und den Kontext verstanden hat. Und dann erst, wie man sie rüberbringt.“

Auch psychische Auswirkungen der Infodemie zur Pandemie wurden besprochen. Wie wirkt sich die ein Jahr dauernde Berichterstattung über diese „Katastrophe in Zeitlupe“ (Drosten) aus? Maren Urner sagt es nüchtern: „Menschen in Panik zu versetzen sorgt nicht dafür, dass wir bessere Entscheidungen treffen“. Ihr sei der Journalismus in Gänze zu „weltuntergangslastig“. Wenn dann Fake News von verschiedenen Medien zunächst wiederholt würden, seien die, wenn endlich die Wahrheit ans Licht komme, schon tief ins Gehirn eingefräst. „Eine Falschinformation in die Welt zu setzen, ist viel einfacher, als sie wieder einzufangen“, so Urner. Und ergänzt: Leider lebe der Journalismus in der Regel vom Mythos des Bescheidwissens. Für Journalist*innen sei Nichtwissen eine tadelnswerte Schwäche. Im Gegensatz dazu sei es in der Wissenschaft ein Qualitätsmerkmal, wenn jemand sage: „Das weiß ich nicht“.

Und wie sehen die drei die aktuellen Lockerungen? Hier herrschte zum Schluss einmal mehr relative Einigkeit unter den Gästen: Die Politik habe versäumt, der Corona-Krise mit kreativen Konzepten zu begegnen. Die aktuelle Politik reihe sich in die Fehlentscheidungen und Versäumnisse des letzten Jahres auf fatale Art und Weise ein.

Parallel wurde die Diskussion lebhaft im Chat von den rund 50 Teilnehmenden kommentiert, für die Fragen blieb am Schluss nur wenig Zeit. Umso besser, dass in den anschließenden „Breakout-Sessions“ noch ein kurzer Austausch in kleinen Runden möglich war.


Bericht: Heide Oestreich 

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