Fachtagung Bildermächtig 2023: Die Blickrichtung ändern
Wie kann eine zeitgemäße Bildsprache Frauen facettenreich und auf Augenhöhe abbilden – in all ihrer Vielfalt, frei von Klischees und Sexismus? Genug Diskussionsstoff für die Fachtagung des Journalistinnenbund e.V. am 30. November 2023 in Frankfurt/Main. Der Bedarf zu reden war offenbar groß: Gut 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich angemeldet, die Plätze waren rasch ausgebucht. Live gestreamt ließ sich die Tagung extern verfolgen, sie ist im YouTube-Kanal des Journalistinnenbundes aufgezeichnet.
→ Pressemitteilung zum Abschluss der Fachtagung, 1.12.2023
Klischees und Sexismus im Bild
Ganz so platt wie noch vor ein paar Jahren werden Frauen heute bildjournalistisch nicht mehr dargestellt. Oder doch? Christine Olderdissen, Projektleiterin von Genderleicht & Bildermächtig, musste nicht lange suchen, um Negativbeispiele von Marginalisierung und Sexualisierung in Zeitungen, Online-Magazinen und Bilddatenbanken aufzutun. Heute gehe es zwar etwas subtiler zu, räumt sie ein. Die Pseudo-Handwerkerin mit Wallemähne und bauchfreiem Top taucht eher nicht in seriösen Artikeln über Frauen im Handwerk auf. Wer richtig sucht, findet in Bilddatenbanken echte Handwerkerinnen, an ihrem Arbeitsplatz fotografiert. Die Herausforderung, Geschlechterstereotype zu erkennen, ist größer geworden: Genau hinschauen, mit Expertise für Sexismus, ist dafür nötig.
Prof. Elke Grittmann, Institut für Journalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal, stellte ihre Keynote unter das Thema „Verantwortung des Journalismus: Gendern im Bild“. Sie erinnert an die heteronormativ geprägte Norm der Sichtbarkeit. Hilfreich könne eine Änderung der Blickrichtung sein: Wer sichtbar bleibt und wer unsichtbar, liegt in der Hand der (Bild-)Redaktionen. Von Tagungen wie dieser erhofft sich die Kommunikationswissenschaftlerin einen zunehmenden Bewusstseinswandel. Aber auch Impulse zur praktischen Umsetzung: Denn das Wissen sei ja längst da.
Wer wählt Bilder aus, wann, und warum?
Dass eine bewusstere Bildauswahl an vielen Schnittstellen ansetzen kann und vielleicht auch muss, zeigte das Podium „Fotografie und Fotoauswahl in der Praxis“. Karin Dalka, stellvertretende Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, möchte erst einmal eine gängige These in Frage stellen: Verkaufen sich Bildklischees wirklich besser als andere Bilder? Sie selbst kann keine Antwort liefern, würde aber gern an die Medienforschung weitergeben. Den massiven Bildhunger des Publikums gerade von Online-Publikationen und die Schnelligkeit nennt sie als besondere Herausforderungen im Redaktionsalltag. Daniel Biscan versucht als Art Director der Mediengruppe Main-Post in Würzburg, ein eigenes Bildarchiv für die Redaktion aufzubauen. Gegen Bilderklischees arbeitet er gezielt an. Das sei oft anstrengend, aber nötig.
„Ohne Wertschätzung für die Fotografie gibt es keine guten Bilder“, schließt die Fotografin Salome Roessler später an. Mit Appellen allein ist es ihrer Erfahrung nach nicht getan – auch die ökonomischen Voraussetzungen müssen stimmen. Wenn immer weniger Redakteur*innen immer mehr Aufgaben in Personalunion übernehmen, verschiebt das die Probleme nur. Sparmaßnahmen und Stellenabbau verschärfen offenbar auch (Gender-)Stereotype. Die Frage der Inszenierung sieht sie kritisch: Immerhin gehe es im Bildjournalismus um die Darstellung der Wirklichkeit. Wenn ein Manager sich beispielsweise ins Bild drängt und eine Managerin verdeckt – warum sollte sie als Fotografin ihn nicht genau so auch abbilden? Ob die Redaktion dann auf ein solches Bild verzichtet, sei dann nochmal eine andere Entscheidung.
Nadja Masri berichtete aus ihrer Praxis als Leiterin der Bildredaktionsklasse an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Hier bildet sie visuelle Expert*innen aus, denen sie Verantwortungsbewusstsein und die Einnahme einer eigenen Haltung vermitteln möchte. Zum Stellenabbau in den Medienhäusern komme zugleich eine Vielfalt neuer Positionen hinzu, so ihre Erfahrung. Trotzdem sieht auch Masri die oft intuitive, nicht fundierte Bildauswahl bei Textautor*innen als ein Problem: Sie sind nicht dafür ausgebildet.
Leitfäden, die im Redaktionsalltag umsetzbar sind
Nach der Mittagspause gab Sebastian Raabe, Head of Sales Digital Platforms bei der dpa, den Impulsvortrag „Wo stehen wir? Thesen zu KI im Bildjournalismus“. Raabe hat gemeinsam mit Kolleg*innen die Taskforce KI bei der dpa geleitet. Er plädiert für einen aufgeklärten Umgang mit der vieldiskutierten Technik. Weder mache generative KI Fotografie überflüssig, noch sei das Problem der Bildmanipulation ein neues Phänomen. Man brauche eine generelle Bewusstseinsschärfung für den Wahrheitsgehalt von Fotografien.
→ Fünf Guidelines der dpa für Künstliche Intelligenz
Am Nachmittag boten Fachgespräche die Möglichkeit, Themen zu vertiefen Drei Schwerpunkte standen zur Wahl: Die Fotografin Patricia Kühfuss fragte, was wir von Bildern der Pflege lernen können. Über Sexismus in der KI referierte die Fotografin Eva Häberle, die Ergebnisse eigener Testversuche mit verschiedenen Bildgeneratoren vorstellte. 100 Mal bekam sie das Bild einer weißen, sehr schönen jungen Frau gezeigt, wie sie ihre KI-Experimente auch in der taz beschrieb: immer langhaarig, mit Blumen und Schmetterlingen im Haar. Gegencheck mit dem Begriff Männer: Sie „schauen ernst oder blicken nachdenklich in die Ferne. Die Frau dagegen kennt nur einen Gesichtsausdruck: den leeren“.
Prof. Christine Meltzer von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover widmete sich der schwierigen Bebilderung von Gewalt an Frauen. Obwohl die Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet sei, werde sie medial oft auf wenige Stereotype und Szenarien besonders brutaler Übergriffe reduziert. Im schlimmsten Fall, so Meltzer, könne die Bildauswahl die Problematik reproduzieren oder sogar verstärken. Das sogenannte Dunkelfeld werde hierdurch weiter aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängt.
Wie könnte ein positives Gegenbeispiel aussehen, das dem schnellen Redaktionsalltag Rechnung trägt? Mögliche Ansätze: Die Täterperspektive nicht wiederholen, weg von der unmittelbaren Gewaltdarstellung, „geschützte“ Porträts bis zur kompletten Entpersonalisierung – hin zu einer Bildsprache, die Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Problem statt als Einzelfall in den Blick nimmt. Auch die Quelle der zuliefernden Bildagenturen müssten stärker eingebunden werden. Und bitte auch Frauen mit Behinderung nicht vergessen, erinnert eine Tagungsteilnehmerin, die als Fotografin arbeitet: Die seien nämlich überdurchschnittlich oft von Gewalt betroffen, aber bildlich kaum präsent. Die Ergebnisse der Gesprächsrunde hat Christine Meltzer in die Entwicklung eines Leitfadens einfließen lassen, der in der journalistischen Praxis umsetzbar ist und bei Genderleicht.de nachlesbar ist. Denn viele Leitfäden, so ihre Erfahrung, seien gut gemeint. Aber eben nicht von Praktiker*innen gemacht – und deshalb oft nicht umsetzbar.
→ Leitfaden Gewalt gegen Frauen bei Genderleicht & Bildermächtig
„Prompt: Frau“ – die Klischees der KI
Zum Abschluss diskutierte Claudia Cornelsen mit vier Referent*innen die Frage: „Wie viel Klischee bringt uns die KI?“ Zur Einführung präsentierte sie diverse KI-generierte Bilder und die dazu gehörigen Eingabebefehle, sogenannte Prompts. Erste Versuche mit dem „Prompt: Frau“ befand die Publizistin und Kommunikationsberaterin für gar nicht so schlecht – auch, wenn die ausgedachten Protagonistinnen trotz einiger Diversität immer noch ziemlich auf Hochglanz getrimmt, dünn und jung ausschauten. Die eigentliche Pointe folgte aber noch: Der Eingabebefehl „Mann“ nämlich lieferte im Gegensatz zu „Frau“ keine Bildauswahl. Stattdessen erschien die Aufforderung, den Prompt bitte zu spezifizieren.
Franziska Rauchut von der Bundesstiftung Gleichstellung in Berlin erinnerte an die Quellen, aus denen sich heutige Bildgeneratoren speisen: „Wir sehen Geschlechterstereotype, die schon in unseren teils sehr alten Datenbanken vorhanden sind.“ Der Blick in die KI sei also kein Blick in die Zukunft, sondern geradewegs einer zurück – auf Generationen an Bildern, Datenbanken, Programmen, die oft vom männlichen Blick geprägt und maßgeblich entwickelt worden seien. Die Fotografin Eva Häberle bestätigte, dass Bildgeneratoren Stereotype reproduzieren. Lediglich „DALL-E 2“ und „DALL-E 3“ nennt sie als Ausnahme von der Regel.
Können KI-generierte Bilder in der Menge, die täglich von Redakteur*innen zu bewältigen ist, überhaupt noch erkannt werden? Gerade die Anbindung an feste Bildproduzent*innen sieht Silke Frigge, Managing Director der Bildagentur LAIF, als eine wichtige Absicherung gegen Fake-Bilder: Bei Zweifeln an der Authentizität müssen die Fotograf*innen Auskunft geben.
Derzeit werden Regularien für den Umgang mit KI-Bildern auf EU-Ebene ausgearbeitet. Redaktionen wie die dpa erlegen sich schon jetzt deutlich strengere Richtlinien auf, wie Sebastian Raabe berichtete. Jeder Fake kann dabei ob der Bildmenge wohl nicht erkannt werden. Bei aller berechtigten Sorge sollte aber der eigene Handlungsspielraum nicht aus dem Blick geraten.
Die Herausforderungen dieser Technik sind auch in Bezug auf Genderklischees keine neuen: Medienkompetenz und die Hinterfragung eigener Stereotype bleiben so wichtig wie die Wertschätzung für alle hiermit verbundenen journalistischen Aufgaben, ist sich das Podium einig – mit oder ohne KI.
→ Mehr über die Mitwirkenden auf Podien und in Workshops
→ Blick zurück auf den stimmungsvollen Auftakt beim Fireside Chat
Bericht: Katharina Julia Cichosch
Alle Fotos: Stefanie Wetzel, x-fotografie-styling
Der Vormittag in Bildern
Der Nachmittag in Bildern
Die Fachtagung wurde im Livestream übertragen und im YouTube-Kanal des Journalistinnenbundes aufgezeichnet.