Rückblick: „Der G-Faktor“ (2004-2007)
Das Projekt „Der G-Faktor“ des Journalistinnenbundes hatte das Ziel, Geschlechterperspektiven in die journalistische Aus- und Fortbildung zu implementieren. Trainerinnen und Trainer wurden in Sachen Gender qualifiziert. Das explorative Projekt bestand aus mehreren Phasen, die stufenweise entwickelt und flexibel ausgestaltet wurden.
Gender als regulärer Bestandteil journalistischer Bildung
2004_2005_JB-Jahresbericht-Der_G-Faktor
Sprache ist entscheidend
Das Thema Gender wurde vor Entwicklung des Projekts im ersten Schritt zum Schwerpunkt der Jahrestagung des Journalistinnenbundes 2002. Ein Ergebnis dieser Tagung war: Sprache spielt eine entscheidende Rolle beim Herstellen von Gendergerechtigkeit. Diese Erkenntnis vertiefte sich durch die Tagung Sprachmächtig 2003. Dort wurde ausgelotet durch welche Mittel Frauen sprachlich effektiv sichtbar werden.
Das Projekt G-Faktor bestand aus drei Phasen und hatte folgende Ziele:
- MultiplikatorInnen sowie Aus- und Weiterbildungsträger für das Projekt zu gewinnen
- exemplarische Gender-Trainings zu entwickeln und durchzuführen
- Lehrende zu befähigen gendersensibles journalistisches Arbeiten zu unterrichten
1. Phase: Kick-Off Veranstaltung
Zur Kick-Off Veranstaltung am 26. April 2004 in den Räumen des Hessischen Rundfunks in Frankfurt wurden bundesweit Gleichstellungsbeauftragte der öffentlich-rechtlichen Sender und Leitende von Fortbildungseinrichtungen eingeladen. Insgesamt nahmen 14 Multiplikatorinnen teil. Die Professorin Petra Werner und der Gendertrainer Henning von Bargen referierten zu „Geschlechterperspektiven im Journalismus. Modernisierungsmotor oder lästige Pflicht?“ und „Genderkompetenz durch Gender-Training“.
2006_JB_Argumente_Gendersensibler_Journalismus
Im anschließenden Austausch mit den Beauftragten (neben dem Referenten war nur ein Mann anwesend) wurde der aktuelle Status in Sachen Gendersensibilisierung in der Aus- und Weiterbildung erfragt. Durch die ausführliche Erörterung der Situation in den Sendeanstalten und Ausbildungseinrichtungen kristallisierten sich zwei Schwerpunkte zur Fortführung des Projekts heraus:
■ Eine Recherche von Positivbeispielen, Materialien und Argumenten, damit bei Vorgesetzten und Entscheidern Überzeugungsarbeit geleistet werden kann..
■ Der Wunsch Gender-Trainings mit einem Frau-Mann-Duo als Dozententeam anzubieten und männliche Trainer, die sowohl journalistische als auch Gender- und Trainingskompetenz haben, entsprechend auszubilden.
2. Phase: Recherchen Positivbeispiele und Gendermen
Da die Neuartigkeit des Projektes mit sich brachte, flexibel auf Erfordernisse reagieren zu müssen, gestaltete sich die zweite Phase entsprechend der von Seiten der beteiligten Multiplikatorinnen eingebrachten Bedürfnisse.
Türme und Törtchen
„Wir brauchen Türme und Törtchen!“ So lautete der Wunsch der Fortbildungsbeauftragten des NDR, Nina Tschierse. „Um Überzeugungsarbeit zur Einführung von Gender-Trainings leisten zu können, werden Statistiken und wissenschaftliche Belege verlangt.“
Durch die Recherche von Positivbeispielen kam die AG Gender diesem Wunsch nach. Die Frage lautete: „Wo haben Sendeanstalten oder Redaktionen durch Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit den Frauenanteil in ihren journalistischen Beiträgen oder in der Zahl ihrer NutzerInnen erfolgreich gesteigert?“
Für das Dossier lagen bis zum Jahr 2005 allerdings nur vereinzelte Ergebnisse vor: Hochinteressant sind die Maßnahmen zur Steigerung des Frauenanteils (u.a. in der Wahlberichterstattung) beim Schweizer Rundfunk, ethische Leitlinien beim BBC, die auch Geschlechtergerechtigkeit einschließen, sowie neue Konzeptionen in der Sportberichterstattung, die Frauen als Publikum erschließen.
Zudem wurde deutlich: selbst in wissenschaftlicher Hinsicht wird Gender in den Medien bisher nur anhand weniger Studien erforscht. Das Global Media Monitoring Projekt (GMMP) hat hier ein Alleinstellungsmerkmal. [GMMP]
Erst vor kurzem folgten vertiefende Studien zu spezifischen Aspekten weiblicher Identitäten: „Migrantinnen in den Medien“ von Margret Lünenborg (2011) und „Ungleich mächtig“ von Margreth Lünenborg und Jutta Röser (2012), die auch qualitativ interessante Ergebnisse zur Darstellung von Migrantinnen, Politikerinnen, Wirtschaftsfrauen und Wissenschaftlerinnen hervorbrachten. Die explorative Studie „Schön! Stark! Frei! Wie Lesben in der Presse (nicht) dargestellt werden“ von Elke Amberg (2011) behandelt Frauenbilder jenseits der heterosexuellen Norm.
Vom Gentleman zum Genderman
„Mehr Gender in die Medien“ wurde und wird von den Beteiligten nicht nur als Steigerung der Präsenz von Frauen in den Medien verstanden, sondern auch als qualitative Verbesserung hin zu realitätsnäheren Frauen- UND Männerbildern. Gender-Trainings und Gender-TrainerInnen sollten sich entsprechend aus Frauen UND Männern zusammensetzen, so der Wunsch der Multiplikatorinnen.
Tatsächlich gestaltete sich die Suche nach männlichen Journalisten mit entsprechenden Genderinteressen und der Befähigung zu unterrichten außerordentlich schwierig. Die Suche nach dem „Genderman“ war auch eine Zerreißprobe für die AG Gender, die sich aus engagierten, gender-vorgebildeten, feministisch denkenden Journalistinnen zusammensetzte. Die Vorstellung im Duo Frau-Mann zu unterrichten konnte später nur bei einzelnen Trainings umgesetzt werden. Eine Erfahrung, die die AG Gender des Journalistinnenbundes mit Gender-Trainerinnen anderer Bereiche teilt (vgl. Netzwerk Gendertraining (Hg.): Geschlechterverhältnisse bewegen. Erfahrungen mit Gender Training. Königstein: Ulrike Helmer 2004).
3. Phase: Experiment „Lernwerkstatt“
Mit einer Lernwerkstatt mündete das Projekt G-Faktor in seine letzte Phase. Gemeinsam mit der erfahrenen Gender-Trainerin Barbara Lux wurde ein Konzept entwickelt, das ein Kennenlernen und Austauschen weiblicher und männlicher Genderperspektiven von Journalistinnen und Journalisten sowie ein Ausloten zukünftiger Kooperationen als Trainingsteam enthielt. An dieser Lernwerkstatt in der ver.di-Bildungsstätte in Bielefeld-Sennestadt vom 18.-20.11.2005 nahmen zwei Männer und fünf Frauen der AG Gender teil.
Fazit G-Faktor
Das Projekt G-Faktor erbrachte vorläufige Ergebnisse auf verschiedenen Ebenen:
- Gender ist im Bereich der journalistischen Aus- und Weiterbildung ein marginalisiertes Thema, dem bisher noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Nur einzelne Multiplikatorinnen und Fortbildungseinrichtungen, insbesondere Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, sehen es als Teil ihres Aufgabengebiets und bringen dazu aktiv Ideen ein.
- Maßnahmen in Redaktionen zur Sensibilisierung in Sachen Gender in Medienbetrieben oder zur Steigerung des Frauenanteils gibt es nur sehr wenige. Dieser Mangel hat seine Entsprechung in der Wissenschaft, wo allerdings in jüngster Zeit mit einzelnen Forschungsstudien aufgeholt wurde.
- Gender-Traings werden vom Großteil der Interessierten als Trainings von und für Frauen UND Männer betrachtet. An dieser „Wunsch-Konstellation“ scheitern zahlreiche Gender-Trainings, auch in anderen Bereichen, da bisher nur wenige entsprechend sensibilisierte Männer Interesse an einer engagierten Mitarbeit zeigen. Die Konstellation „gemischtgeschlechtliches Team“ wird von Trainerinnen zum Teil grundsätzlich in Frage gestellt, da sie die Gefahr in sich birgt, Geschlechterstereotype und Rollenaufteilungen zu wiederholen oder gar zu verfestigen. Dazu sind weitere Forschungen notwendig.
- Die Mitarbeiterinnen der AG Gender sammelten zahlreiche Erfahrungen bei Gender-Trainings für verschiedene Medienbereiche: Fachzeitschriften (Bauen, Politik, Frauen, Entwicklungshilfe, Wirtschaft) Volontärinnen und Volontäre, TV-JournalistInnen, Schriftstellerinnen, PR- und Öffentlichkeitsarbeit, JurorInnen eines Ehrenpreises, Gleichstellungsstellen. Der Großteil der Trainings wurde von einer einzelnen Gendertrainerin durchgeführt, einige wenige im Frau-Frau- oder Frau-Mann-Duo. Die Liste der Trainings der AG Gender bis 2013 als Download.
Material
Vortrag „Feministische Sprachpolitik und politische Korrektheit – der Diskurs der Verzerrung“ Linguistische Analyse wie Gendergerechte Sprache herabgesetzt wird. Vortrag auf der Tagung „Sprachmächtig. 20 Jahre nach dem Binnen-I“ von Prof.in Dr. Marlis Hellinger, (Goethe-Universität Frankfurt am Main) am 20. Januar 2003 PDF-Download: Manuskript „Feministische Sprachpolitik und politische Korrektheit – der Diskurs der Verzerrung“
Feministische_Sprachpolitik_und_politische_Korrektheit (PDF)
Vortrag „Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen“ Studien zur Wahrnehmung von Geschlecht bei verschiedenen Arten der sprachlichen Benennung von Personen(-Gruppen). Vortrag auf der Tagung Tagung „Sprachmächtig. 20 Jahre nach dem Binnen-I“ von Prof.in Dr. Dagmar Stahlberg, (Universität Mannheim) am 20. Januar 2003 PDF-Download: Manuskript „Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen“
Vortrag “Der lange Marsch des großen I durch die Institutionen“ Anfänge und Entwicklung der Binnen-I Schreibweise bis heute. Vortrag auf der Tagung „Sprachmächtig. 20 Jahre nach dem Binnen-I“ von Ute Scheub, Berlin, am 20. Januar 2003 PDF-Download: Manuskript „Der lange Marsch des großen I durch die Institutionen“
Der lange Marsch des großen I durch die Institutionen (PDF)
Who ist who – die Crew
Initiatorin der Arbeitsgruppe war die Hörfunkjournalistin, Coach und Trainerin Birgitta M. Schulte (Frankfurt www.birgittam-schulte.de). Während der aktiven Phase der Arbeitsgruppe bis 2007 waren die damalige Vorsitzende des Journalistinnenbundes und (bis heute) Pressesprecherin des Deutschen Frauenrats Ulrike Helwerth (Berlin), die TV-Journalistin Sabine Stadtmüller (Köln), die Journalistin und Trainerin Lisa Sterr (Berlin) sowie die Journalistin, PR-Fachfrau und Trainerin Elke Amberg (München www.elke-amberg.de) beteiligt. Zu Gast und per Mailingliste diskutierten mit: Gudrun Reuschel, damals Frauenbeauftragte des rbb, die Professorinnen für Kommunikationswissenschaft: Elisabeth Klaus, Jutta Röser und Margreth Lünenborg.
Clearingstelle Kontakt: info@BirgittaM-Schulte.de, info@elke-amberg.de
(Text: Elke Amberg)