Jeden Monat Eins: Chris Köver und Natalie Sablowski
Als Chris Köver erfährt, dass sie Mentorin für die Datenjournalistin Natalie Sablowski werden soll, hatte sie im ersten Moment Bedenken, da sie nicht im gleichen Bereich tätig ist. Diese Zweifel waren aber glücklicherweise sehr schnell verflogen.
Als Stipendiatin in Moskau
In der Zeit zwischen meinen Gesprächen mit Chris und Natalie greift Russland die Ukraine an. Mit Chris Köver unterhalte ich mich, bevor es für dieses Porträt um Biographisches geht, über Corona und darüber, wie die Pandemie unser Leben verändert hat. Im Gespräch mit Natalie Sablowski fällt das Wort Corona kein einziges Mal.
Natalies Verwandte sind gerade vor dem Krieg aus Odessa geflohen, Freunde und Kolleg*innen sind noch dort. Neben ihrer Arbeit als freie Journalistin unterstützt Natalie Initiativen, die Hilfe für Journalist*innen in der Ukraine und in Russland organisieren.
Natalie selbst ist noch nicht lange wieder aus Moskau zurück. Sie hat sich auf Recherche- und Datenjournalismus mit Schwerpunkt Osteuropa spezialisiert und hat gerade als Marion-Gräfin-Dönhoff-Stipendiatin für knapp drei Monate die Datenredaktion der „Novaya Gazeta“ verstärkt. „Durch die dortige Arbeit als Gastredakteurin habe ich meinen Blick für Russland und die Strukturen in dem Land geschärft“, sagt sie. Zwar habe sie mehrere Studienaufenthalte und Praktika dort absolviert und sei für Familienbesuche regelmäßig mit dem Van quer durch das gesamte Land gereist, aber erst der Aufenthalt bei der Novaya, wie die oppositionelle Zeitung in Russland nur genannt werde, habe ihr die harte Arbeitsrealität russischer Journalist*innen wirklich nahe gebracht, erzählt Natalie.
Ost-Bezüge auf beiden Seiten
Natalies Vater hat russlanddeutsche Wurzeln, ihre Mutter russisch-ukrainische. Beide sind wie sie selbst in Kasachstan geboren. „Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat meine Familie in viele Richtungen verstreut“, sagt Natalie. Sie selbst kommt als Sechsjährige mit ihren Eltern nach Deutschland und wächst in NRW auf. Später studiert sie Osteuropäische Geschichte und Journalistik in Gießen und im sibirischen Tomsk sowie Kultur- und Medienwissenschaften mit Schwerpunkt auf Osteuropa in Köln und Moskau. An der HSE in Moskau entdeckt sie den Datenjournalismus für sich und setzt als Google News Lab Fellow beim Stern in Hamburg ihr erstes Projekt um. „Mich hat die Vielschichtigkeit der Methode gepackt, die von einfachen Wahlanalysen bis hin zu aufwendig recherchierten Daten reicht und mir einen ganz neuen Zugang in den Journalismus bot“, sagt sie. Es folgen verschiedene Stationen im Datenjournalismus. Zuletzt setzte Natalie mit dem Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost Projekte im Datenjournalismus um und arbeitete als freie Datenjournalistin für den WDR. Für das Mentoring-Programm des Journalistinnenbundes hat sie sich beworben, weil sie sich aktiv mit anderen vernetzen will.
Genau wie Natalie ist Chris als Kind nach Deutschland gekommen. In Rumänien geboren, lebte sie zunächst in einer Kleinstadt nah der ungarischen Grenze; daher spricht sie auch Ungarisch. Sie ist vier Jahre alt, als ihre Familie ins Rheinland zieht. Später studiert sie in Lüneburg und Toronto Kulturwissenschaften und volontiert danach in der Redaktion von Zeit Online. Damals hat sie das Gefühl, als junge Frau in einem etablierten Medienhaus sehr unter Beobachtung zu stehen. Das habe sie – neben der eigentlichen Arbeit – viel Energie gekostet, sagt Chris. „Ich glaube, dass es damals hilfreich gewesen wäre, sich mit einer erfahrenen Kollegin austauschen zu können.“
Mitbegründerin des Missy Magazine
Nach dem Volontariat verlässt Chris die Redaktion und gründet gemeinsam mit anderen Frauen das Missy Magazine, eine feministische Zeitschrift, für das sie acht Jahre lang auch als Chefredakteurin tätig ist. Nebenher arbeitet sie als Dozentin und Speakerin, später berichtet sie für Wired Germany drei Jahre lang über Technologie und Netzkultur. Seit 2018 ist Chris Redakteurin bei netzpolitik.org. Dort schreibt sie über den Pegasus-Skandal, Missstände auf TikTok oder Gewalt auf Pornoplattformen und arbeitet viel investigativ.
„Wir haben uns damals vor dem Start des Missy Magazine mit anderen Gründerinnen ausgetauscht und viel gelernt“, erzählt Chris. Erfahrungen, von denen Natalie nun profitieren kann. Die freut sich über den Austausch mit ihrer Mentorin. „Wir haben gemeinsam Ziele formuliert und halten einander auf dem Laufenden“, sagt sie.
Ein Match auf Augenhöhe
Als Chris erfuhr, dass sie Natalies Mentorin werden soll, zweifelte sie kurz. „Ich dachte, wir sind vielleicht nicht das Perfect Match, weil ich keine Datenjournalistin bin.“ Doch die Zweifel legten sich schnell. „Ich folgte Natalie schon auf Twitter und kannte ihre Arbeit bevor wir uns das erste Mal getroffen haben. Ich finde spannend, was sie macht. Das Mentoring ist für mich im Bestfall ein Austausch auf Augenhöhe. Ich fände es toll, wenn es das häufiger gäbe: Frauen, die sich gegenseitig unterstützen und zusammenarbeiten. Wir müssen mehr Banden bilden!“ Chris und Natalie haben schon damit begonnen. Als nächstes ist eine gemeinsame Recherche geplant.
Autorin: Lisa Seiler
Mehr über Chris’ Arbeit bei netzpolitik.org auf ihrer Autorinnenseite
Zwei Beispiele für Natalies Arbeit sind dieses Stück über Insolvenzen in NRW und dieses Porträt über die russische Menschenrechtsaktivistin Jelena Zhemkova bei tagesschau.de.