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Jeden Monat Eins…Das Juli-Tandem Sahar Reza und Katharina Hölter (von Lotte Laloire)

Foto: Eva Gutensohn

„Journalistin zu sein ist in keinem Land einfach“

Nachwuchsjournalistin Sahar Reza über Tabus, Leidenschaft und Vorbilder

1. Was sind deine Themen? Und wo berichtest du?

Ich berichte über Menschenrechte und soziale Themen, zum Beispiel über religiöse und kulturelle Tabus in meinem Heimatland Afghanistan. Zurzeit arbeite ich als Journalistin für das Flüchtlingsmagazin.

2. Was sind Tabus in deinem Heimatland?

Tabus sind dort zum Beispiel die Themen Jungfräulichkeit und Menstruation. Auch, dass Frauen Fahrrad fahren. Oder dass Touristen im Ramadan öffentlich Kaugummi kauen und rauchen. Diese und weitere Beispiele gebe ich in meinem Text „Verboten und verschwiegen. Religiöse und kulturelle Tabus in Afghanistan“. https://www.fluechtling-magazin.de/2018/09/05/verboten-und-verschwiegen-religioeseund-kulturelle-tabus-in-afghanistan/

3. Fast überall in der Welt, auch in Deutschland, erleben Journalist*innen Anfeindungen, Hass und Gewalt. Selbst wenn nicht über „die Medien“ geschimpft wird, gibt es oft wenig Anerkennung für die harte Arbeit. Wieso willst du trotzdem Journalistin sein?

Journalistin zu sein ist in keinem Land einfach. Ich hatte Probleme in meinem Land und konnte dort nicht mehr arbeiten, weil ich regierungskritische Artikel geschrieben habe. Ich wollte schon immer Wege gehen, die schwierig sind, und über Tatsachen – die nicht immer angenehm sind – berichten. Als Journalistin zu arbeiten, ist meine Leidenschaft.

4. Was bedeutet es für dich, eine gute Journalistin zu sein?

Es ist schwierig, eine gute Journalistin zu beschreiben. Ich finde, man sollte keine Angst haben, auch über heikle Dinge zu berichten. Journalisten müssen bereit sein, ein Risiko einzugehen.

5. Auf welche Geschichte oder Recherche bist du stolz?

Ich bin stolz auf meine Recherchen, die ich zu Menschenrechten gemacht habe und die in verschiedenen Ländern verletzt werden. Zum Beispiel in „Bacha Bazi. Die dunkle Wahrheit“ habe ich über Kinder in Afghanistan geschrieben, niemand spricht darüber, wie ihre Rechte verletzt werden. Für mich war es schwierig, beim Schreiben die richtigen Worte zu wählen, denn ich wollte niemanden verletzen. https://www.fluechtling-magazin.de/2019/01/11/bacha-bazi-die-dunkle-wahrheit/

6. In Deutschland ist die extreme Rechte wieder sehr stark. Wen von unseren Kolleg*innen schätzt du besonders für eine klar antirassistische Haltung?

Ein Beispiel ist Hasnain Kazim. Er reagiert gut und immer noch auf eine höfliche Weise auf Hass-Kommentare und E-Mails.

7. Wer ist deine Mentorin, wo arbeitet sie und mit welchem Schwerpunkt?

Meine Mentorin ist Katharina Hölter. Sie arbeitet bei bento als Nachrichtenchefin. Sie kümmert sich vor allem um Uni- und Karrierethemen, redigiert, organisiert und betreut ein Team aus Redakteurinnen und Redakteuren sowie aus freien Autorinnen und Autoren.

8. Was hast du durch deine Mentorin bereits Neues erfahren?

Wir haben uns bislang erst einmal getroffen. Sie hat mir von ihren Erfahrungen berichtet und erklärt, wie man gut berufliche Kontakte knüpfen kann oder auch, wie man Beruf und Privatleben in Einklang bringt. Wir haben gemeinsam überlegt, wie ich meine Karriere in Deutschland vorantreiben kann. Darüber werden wir bestimmt noch häufiger reden.

„Gesicht zeigen und klar machen, wie wir recherchieren“

Mentorin Katharina Hölter ist Nachrichten-Chefin bei bento. Die Zukunft des Journalismus sieht sie positiv – unter bestimmten Bedingungen.

1. Was sind deine Themen? Und wo berichtest du?

Ich kümmere mich bei bento – dem jungen Angebot von Spiegel Online – um die Themen Universität und Arbeit. Ich redigiere Texte, organisiere Schwerpunktthemen, koordiniere Serien und Formate. Ich selbst berichte derzeit wenig. Es bereitet mir viel Freude, mit jungen Journalistinnen und Journalisten an Texten, Beiträgen und Podcasts zu arbeiten.

2. Auf welche Geschichte oder Recherche bist du stolz?

Ich kann nicht sagen, dass ich auf eine einzelne Geschichte besonders stolz bin. Ich bin stolz darauf, im Journalismus meinen Weg gefunden zu haben. Schon seit der Schulzeit war es mein Wunsch, als Journalistin zu arbeiten – das hat geklappt. In den letzten Jahren habe ich das erfolgreichste Millennial-Portal Deutschlands – also eine Website für 18- bis 30-Jährige – mitaufgebaut, das ist anstrengend, aber macht riesigen Spaß.

3. Wie hätte ein ebenso erfolgreicher Mann diese Antwort wohl formuliert? Und was hilft Nachwuchsjournalistinnen mehr: bescheiden sein oder protzen?

Ich kann da nicht für Männer sprechen. Ich denke, es ist egal, ob man als Journalistin arbeitet oder in einem anderen Beruf: Es hilft immer, sich selbst treu zu bleiben. Manchmal hilft Bescheidenheit, manchmal sollte man herausstellen, was man kann und geleistet hat. Das würde ich nicht Protzen nennen.

4. Fieserweise frage ich auch umgekehrt: Bei welchem Artikel oder Redigat hast du es schon mal so richtig verbockt? Und warum war am Ende alles nur halb so wild (du bist ja trotzdem Nachrichten-Chefin von bento geworden)?

Peinliche Fehler aufgrund unsauberer Recherche sind mir sehr unangenehm – mir fällt ein, dass ich irgendeine Beispielrechnung aufgestellt habe, an der man gemerkt hat, dass Mathe nicht gerade meine Stärke ist. Solche Fehler versuche ich natürlich zu vermeiden. Mails von Nutzerinnen und Nutzern kommen dann aber sehr, sehr schnell – unserem Publikum entgeht nichts 😉

5. Was ist dir auf deinem Weg zur erfolgreichen Journalistin am schwersten gefallen?

„Schönes Schreiben“ nenne ich es mal. Im Volo bei der Deutschen Presse-Agentur ging es darum, schnell präzise zu formulieren. Den Nachrichtensprech hatte ich verinnerlicht. Doch bei einer Reportage braucht es eine andere Sprache. Ich hatte tolle Kolleginnen, die mit mir sehr intensiv an Texten gearbeitet haben.

6. Was bedeutet es für dich, eine „gute“ Journalistin zu sein?

Offen an Recherchen zu gehen, keine vorgefertigte Meinung im Kopf zu haben. Neugierig zu bleiben, nicht bequem zu werden. Andere Journalistinnen zu unterstützen.

7. Hast auch du als gestandene Journalistin noch Vorbilder, insbesondere in Bezug auf eine klare antirassistische Haltung in Zeiten einer starken extremen Rechten?

Ich erwarte von jedem Journalisten und jeder Journalistin eine antirassistische Haltung. Wie Melanie Amann über die AfD berichtet, finde ich sehr bemerkenswert. Auch Anja Reschke ist ein Vorbild. Was sie auszeichnet? Sie zeigen immer wieder Haltung. Das klingt simpel, aber es erfordert immer wieder Mut.

8. Wo siehst du kritische Entwicklungen/Gefahren für Qualitätsjournalismus?

Viele Menschen schenken Qualitätsmedien weniger Vertrauen. Das lässt sich meiner Meinung nach bekämpfen, indem wir als Journalistinnen und Journalisten Gesicht zeigen und immer wieder klar machen, wie wir recherchieren. Ansonsten blicke ich positiv in die Zukunft – wenn es uns gelingt, wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, indem wir auf Bedürfnisse der Leserinnen und Leser eingehen und gleichzeitig „aushalten“ über Themen zu berichten, die vielleicht weniger Menschen interessieren, aber die erzählt werden müssen.

9. Immer weniger Konsument*innen sind bereit, für unsere Arbeit zu bezahlen. Wie können wir in Zeiten von schrumpfenden Auflagen, Entlassungswellen und der Schließung ganzer Medienhäuser die Medienvielfalt erhalten und somit Pressefreiheit weiterhin praktisch umsetzen?

Wenn ich das wüsste…

Interview: Lotte Laloire

Mehr Infos zum aktuellen Mentoring-Jahrgang: Zu zweit kommt man weiter: gelungener Auftakt für Nachwuchsjournalistinnen!