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Jeden Monat Eins: das Oktober-Match Lotte Laloire und Katja Thorwarth

Lotte Laloire ist jb-Mentee, Politikredakteurin bei “neues deutschland” und begeistert von ihrer Mentorin Katja Thorwarth und deren “bissigen Kolumnen”. Für ihre Arbeit haben beide schon unterschiedliche Reaktionen im Netz erlebt und erzählen hier unter anderem, wie sie damit umgegangen sind.

Foto: privat

Von Lena Sünderbruch

Starten wir mit Lotte. Wo arbeitest du und zu welchen Themen?

Ich bin Redakteurin im Politikressort der Tageszeitung „neues deutschland“, die bundesweit in Print und Online erscheint. Eingestellt wurde ich für Geschlechter- und Rechtspolitik. Aber da wir oft unterbesetzt sind, kümmere ich mich auch um alles mögliche Andere – zum Beispiel Hessen, Nazis oder Waldbrände.

Warum „neues deutschland“? Wie war dein Weg dorthin?

Dort war eine Stelle ausgeschrieben, ich brauchte einen Job, also habe ich mich beworben und wurde genommen. Vorher habe ich beim Fischer Verlag ein Volontariat absolviert, davor eine Chronik einer historischen SPD-Zeitung verfasst und einen Sammelband über die extreme Rechte in Europa mitherausgegeben, viel politische Arbeit gemacht und nebenher immer mal für die Frankfurter Rundschau, die Jungle World oder andere Zeitungen geschrieben.

Gerade ist auf Twitter ein Video durch die Decke gegangen, in dem du zu Olaf Scholz auf der Unteilbar-Demo in Dresden sagst: „Demonstrieren Sie hier nicht mit genau den Leuten, die Sie in Hamburg bei G20 niederprügeln lassen haben?!“ Du wurdest dafür unter anderem als „SED-Influencerin“ bezeichnet, aber auch gefeiert. Wie bist du mit den ambivalenten Reaktionen umgegangen?

Ach, der rechte Müll unter dem Video war nicht so schlimm wie das, was viele Kolleg:innen ertragen müssen. Nur ein Post war strafrechtlich relevant, den habe ich gemeldet. Meinem Eindruck nach gab es mehr positive Reaktionen. Seitdem geben mir auf Parties plötzlich wildfremde Leute Drinks aus, die beim Protest gegen den G20-Gipfel von der Polizei verprügelt wurden, oder eben einfach Bürgerrechte wichtig finden. Damit gehe ich um, indem ich lache und Danke sage 😉

Gibt es etwas, was du mit deinem oder im Journalismus erreichen willst? Worauf arbeitest du hin?

Ja, ich möchte, dass Menschen mit Informationen, Argumenten und Analysen versorgt sind. Das ist die Voraussetzung, um gesellschaftliche Verhältnisse zu verstehen, zu kritisieren und sie demokratischer bzw. gerechter zu gestalten – und aktuell leider: um wenigstens den Status quo gegen rechts zu verteidigen.

Was willst du realisieren, wofür im Journalismus (bisher) viel zu wenig Platz ist?

Beim „nd“ konnte ich bisher alles realisieren, was ich wichtig finde. Ich schreibe häufiger die ganze Seite 2 zu einem Tagesthema voll. Sexarbeit, Leihmutterschaft, Abtreibung – bei uns gibt es keine Tabus. Das „nd“ ist mittlerweile eine pluralistische Zeitung, die verschiedenen linken Strömungen und Themen Raum gibt.

Generell wünsche ich mir, dass Journalismus sich mehr mit Visionen für unser Zusammenleben beschäftigt, statt nur über Bestehendes zu berichten. Damit meine ich, mögliche Wege zu einer gerechteren Gesellschaft aufzuzeigen, zum Beispiel: Das Konzept einer Mietgewerkschaft, wie sie etwa in Schweden existiert, aufzugreifen, und als mögliche Lösung für die hiesige Wohnungskrise zu diskutieren. Solche Texte lese ich auch selbst lieber als den zwanzigsten Bericht von irgendeiner Demonstration letztes Wochenende.

Klar weiß ich auch, dass schlechte Nachrichten sich besser verkaufen. Ich finde aber, dass Medien auch eine politische Verantwortung haben. Und damit Leser:innen nicht bloß in eine Schockstarre versetzt werden, sondern Lust bekommen, sich politisch zu beteiligen, sollten wir uns auch Konstruktivem zuwenden. Langfristig wird sich auch das auszahlen, da bin ich sicher.

Was bedeutet es für dich, eine gute Journalistin zu sein?

Oha, da gehört einiges dazu. Für Politikressorts ist das definitiv ein Studium der kritischen Gesellschaftswissenschaften oder der Philosophie. Dabei lernt man, selbst zu denken. Und ohne Lesen geht es nicht. Zugleich sollte man viel rausgehen, mit Menschen sprechen, Trends verfolgen, auch im Netz. Gute Journalistinnen spüren eigenständig neue Themen auf, statt nur Termine abzufrühstücken und jede Politiker-Verlautbarung stumpf weiterzuverbreiten. Unabhängig sein heißt für mich, gerade diejenigen kritisch zu beäugen, mit denen ich privat vielleicht sympathisiere.

Dank der Aufdeckung des Lügners Claas Relotius achten viele jetzt noch akribischer darauf, alles zu belegen, was sie schreiben oder sagen – so habe ich beispielsweise genau überprüft, dass bei Unteilbar in Dresden und beim Protest gegen den G20-Gipfel in Hamburg tatsächlich die gleichen Gruppen waren, worauf ich ja Olaf Scholz in dem Video angesprochen habe. Ich finde wichtig, möglichst viel zu recherchieren, Hintergründe von Debatten zu kennen und Dinge einzuordnen. Im Print hat ein Text heute sonst keinen Wert, die reine Nachricht, dass etwas passiert ist, haben die Leute längst über irgendeinen Ticker gesehen.

Gut sein hängt aber nicht nur vom Talent Einzelner ab, sondern auch von den Arbeitsbedingungen, die stark variieren. Bei der “ZEIT” hat man für eine einzige Recherche auch mal ein Jahr lang Zeit, beim „nd“ sind es eher zwei oder drei Tage. Angesichts der Bedingungen bei kleineren und finanziell schwächeren Medien habe ich vor Leuten dort oft mehr Respekt als vor den großen Fischen, denen ein ganzes Team zuarbeitet. Wer dann noch sprachlich korrekt und unterhaltsam schreibt, ist für mich schon sehr gut.

Auf welche Geschichte oder Recherche bist du stolz?

Auf ein Stück über die Diskriminierung von Lesben in der DDR. Obwohl Frauen im Osten insgesamt gleichberechtigter waren als in der BRD, wurden Homosexuelle auch dort verfolgt. Dass schwule Männer bestraft wurden, wissen ja viele. Weniger bekannt ist, dass mit Paragraf 151 Strafgesetzbuch je nach Alter auch auf lesbische Liebe Gefängnis stand. Die damals Verurteilten können seit Kurzem entschädigt werden. Nachdem mein Text darüber erschienen war, schrieb mir eine ältere Dame einen handschriftlichen Brief. Sie sei Lehrerin gewesen und wegen Paragraf 151 aus dem Schuldienst entlassen worden. Sie bedankte sich bei mir für den Artikel, da sie nur so von der Möglichkeit der Entschädigung erfahren hat. Als ich das gelesen habe, kamen mir vor Rührung die Tränen.

Gab es Momente, in denen du an dir als Journalistin gezweifelt hast? Wie hast du sie überwunden?

Ja, wenn ich nachts nicht schlafen konnte, weil ich Panik bekommen habe, in einem meiner Texte könnte ein Fehler sein. Ich bin dann jedes Mal aufgestanden, um nachzugucken. Da aber immer alles gestimmt hat, was ich nachts nachgeguckt habe, hörten diese Sorgen nach einem guten halben Jahr von alleine auf. Als ich dann doch mal etwas vergeigt habe, hat es noch nicht mal jemand bemerkt. Diese Erfahrung hat mich zusätzlich entspannt. Deshalb rate ich allen, die ähnlich nervös sind: Macht mal einen Fehler!

Hast du Vorbilder, die du für ihre Arbeit im Journalismus bewunderst, oder Nicht-Journalisten, die dich aber in deiner Arbeit inspirieren?

Ich schätze und bewundere die Politikjournalistin Nelli Tügel, weil sie sich mit unglaublich vielen Themen auskennt, eine richtige Generalistin eben. Sie ist immer topaktuell informiert und sehr reflektiert. Als meine „Vorgesetzte“ beim „nd“ hat sie sich zwischen eigenen Texten und der Leitung des Auslandsressorts trotzdem die Zeit genommen, um meine Artikel von vorne bis hinten durchzusprechen, wenn ich das wollte. Das ist im Journalismus etwas Besonderes! Jetzt ist Nelli Redakteurin bei der Monatszeitung „analyse & kritik“, die durch ihre Spendenkampagne hoffentlich bald genug Geld gesammelt hat, um ihre Arbeit auch online weitermachen zu können.

Wie profitierst du vom jb-Mentoring?

Dank dieses Programms habe ich Kontakt zu vielen spannenden Kolleginnen. Vor allem habe ich darüber meine Mentorin Katja Thorwarth von der „Frankfurter Rundschau“ kennengelernt. Ich mag ihre begründeten, bissigen Kolumnen. Gerade was ihr Netzwerk aus Informant:innen und ihre brutale Schnelligkeit betrifft, kann ich noch einiges von ihr lernen. Wir treffen uns regelmäßig und verstehen uns super. So ein gutes Match bekommt kein Tinder der Welt hin! 😉 Deshalb: Danke, lieber jb, fürs Verkuppeln!

Foto: privat

EIne perfekte Überleitung, um sie zu Wort kommen zu lassen. Katja, wo arbeitest du und zu welchen Themen?

Ich arbeite für die Frankfurter Rundschau in der digitalen Redaktion, schreibe als Autorin jedoch auch für die Print-Ausgabe. Zweiwöchentlich erscheint von mir eine politische Kolumne. Meine Schwerpunktthemen sind Rechte/AfD, Gender-Themen, Medienkritik, Innenpolitik, Meinung.

Warum die „Frankfurter Rundschau“? Wie war dein Weg dorthin?

Ich habe Soziologie und Politik in Frankfurt studiert und als Studentin für die FAZ gearbeitet. Die war allerdings nie meine Zeitung. Nach dem Studium bin ich zunächst in die Kultur gewechselt und habe als Redakteurin und Texterín für das Deutsche Filminstitut/Filmmuseum gearbeitet. Nach einigen Jahren zog es mich aber wieder in Richtung politische Berichterstattung; dass das bei der FR geklappt hat, war eher Zufall. Ich hatte für die FR die Sonderausgabe zum Hessischen Filmpreis geschrieben und so einen Zugang zur Redaktion.

Welche Eigenschaften muss eine gute Kolumnistin mitbringen?

In erster Linie muss sie eine Meinung zu ihren Themen haben und sich auch trauen, diese zu formulieren. Sie sollte in der Lage sein, Themen tiefer zu betrachten und konsequent zu durchdenken. Und ganz wichtig: Sie darf keine Angst vor möglichen Reaktionen haben.

In welche Falle sollte man als junge Frau im Journalismus auf keinen Fall tappen?

Das gilt eigentlich nicht nur für junge Frauen: Keine sollte sich zurücknehmen und klein machen, sondern vielmehr selbstbewusst sich und ihre Themen durchsetzen. Und auf keinen Fall von digitalem Sexismus und Face-/Bodyshaming verunsichern lassen.

Was war die härteste Erfahrung, die du in deiner Berufslaufbahn bisher machen musstest? Wie bist du damit umgegangen?

Mein erster großer Shitstorm war heftig. Ich hatte Ende 2014 eine TV-Kritik über die „Anstalt“ geschrieben, zugegeben ein ordentlicher Rant. Das Ding war zehn Minuten online, und ich hatte eine Flut von Hassnachrichten auf Twitter und Facebook. Habe dann meinen Twitter-Account gelöscht, allerdings hatte bereits eine Hassseite mein Bild geklaut und ist ziemlich heftig auf mich losgegangen. Das ging schließlich bis hin zu Morddrohungen. Auch die Protagonisten der Sendung, Uthoff und von Wagner, griffen den Text auf. Der hat monatelang geklickt wie blöd, das war für mich ganz schrecklich. Nach einigen Wochen stand ich drüber und habe ich mich über die Ausschüttung von VG Wort gefreut. Seitdem bin ich auch abgehärtet.

Der Shitstorm hat dich abgehärtet, aber hattest du konkrete Mechanismen, um damit umzugehen (außer Twitter zu löschen)? Bist du zum Beispiel gegen die Morddrohungen vorgegangen?

Tatsächlich hatte ich keine Mechanismen, war anfangs völlig in Panik. Die Morddrohungen waren anonymisiert. Ich habe das nur in der Redaktion besprochen, die hatten mir die volle Unterstützung zugesagt. Leserbriefe habe ich keine gelesen, in der FR wurden keine zum Thema gedruckt. Ich hatte mir geschworen, nie mehr etwas zum Thema zu schreiben, allerdings: Letztes Jahr bekam ich eine Anfrage, an einem Buchprojekt mitzumachen: 5 Jahre „Anstalt“. Ich konnte es dann doch nicht lassen – war der zweite Rant zur Sendung.

Was möchtest du jungen Journalistinnen noch mit auf den Weg geben? 

Sie sollen sich nicht verunsichern lassen, ihre Sachen konsequent durchziehen, sich vor allem auch einmal etwas trauen. Am besten ist man, wenn man sich für die Sachen, über die man schreibt, auch wirklich interessiert. Und vielleicht noch: Die Geschichten sollten unbedingt wasserdicht sein.

Warum hast du dich dazu entschieden, ehrenamtlich am jb-Mentoring teilzunehmen?

Eigentlich halte ich nicht viel vom Ehrenamt, da häufig Aufgaben übernommen werden, die eigentlich vom Staat gestemmt und bezahlt werden müssten. Da ich jedoch um die Qualität des Journalismus besorgt bin, finde ich es sehr wichtig, Nachwuchsjournalistinnen zu unterstützen.

 

Die anderen Tandems im Proträt: https://www.journalistinnen.de/projekte/mentoring/