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Jeden Monat Eins: Fides Schopp und Julia Fritzsche

Das kleine Wir

Begegnungen im Alltag einer Pandemie. Von Annekathrin Walther.

Fides

Fides Schopp und ich sind uns drei Mal persönlich begegnet. Zuerst bei der jb Auftaktveranstaltung in Berlin, dann, als sie für ihr Portrait von Carmen Sorgler und mir recherchierte, und schließlich – inklusive kurzer Umarmung! – Anfang Februar 2020 in Baden-Baden. Fides kam für einen Abend aus Mannheim, um die Premiere der Theaterproduktion zu sehen, die ich als Dramaturgin begleitet hatte. Damals gab es einige wenige Corona-Fälle in Bayern und es gab noch Großveranstaltungen.

Foto: Eva Gutensohn

Bei Lotte in Weimar

Zwei Monate und eine Woche später meldet das Robert-Koch-Institut 133.830 Corona-Fälle in Deutschland und Großveranstaltungen sind bis auf Weiteres verboten. Fides und ich treffen uns im Internet wieder. Wie sich herausstellt, sitzt sie zu diesem Zeitpunkt im Gästezimmer ihrer Eltern in Mannheim. Ihre eigene Mannheimer Wohnung ist untervermietet, denn „eigentlich“ wohnt sie seit Mitte März in Weimar. Dort hat sie ein Volontariat bei Radio Lotte begonnen, einem nichtkommerziellen Lokalradio mit viel Gestaltungsspielraum für Bürger*innen. „Weil der Fördertopf, aus dem das Volontariat bezahlt wird, so spät bewilligt wurde, ging alles ganz schnell“, erzählt sie. „Innerhalb von einer Woche habe ich die Bewerbung geschrieben und hatte die Zusage. Zwei Wochen später habe ich in Weimar anfangen.“ Es ist also viel passiert bei Fides: Als wir uns zuletzt gesehen haben, war sie Freiberuflerin in Baden-Württemberg, nun ist sie angestellt in Thüringen.

Ein bisschen klein, ein bisschen chaotisch und trotzdem mit Anspruch“

Ihre neue Lebenssituation löst gemischte Gefühle bei Fides aus. Einerseits freut sie sich: „Es ist gut für mich, aus Mannheim wegzugehen und einen neuen Impuls zu haben.“ Außerdem findet sie, es mit Radio Lotte gut getroffen zu haben: „Ich glaube, da passe ich ganz gut rein. Die sind ein bisschen klein, ein bisschen chaotisch und arbeiten trotzdem mit Anspruch. Ich kann da einiges lernen.“ Auf meine Bemerkung, dass es ja auch sympathisch sei, wenn ein Radiosender in Weimar sich Lotte und nicht Johann Wolfgang nennt, antwortet sie sehr trocken: „Ja. Aber alles andere heißt ja Johann Wolfgang.“

Auch wenn es zeitlich begrenzt ist, bedeutet das Angestelltenverhältnis für Fides erstmal Sicherheit. Sicherheit in unsicheren Zeiten: Dass sie für den Moment doch wieder in Mannheim bei ihren Eltern lebt und von dort aus dem Home Office arbeitet, ist Corona geschuldet. Die ältere Dame, bei der sie in Weimar zur Untermiete wohnte, konnte sie nicht mehr beherbergen. Nur eine Woche hatte Fides vor Ort in der Lotte-Redaktion arbeiten können. Dann kam der Lockdown. Den Krisenmodus findet Fides schwierig, geht aber gleichzeitig reflektiert damit um: „Man darf jetzt nicht zu viel von sich erwarten und gestresst davon sein. Man muss es einfach annehmen und versuchen, damit weiterzumachen.“ In dieser Situation in Weimar neu anzufangen, wo sie außer den Kolleg*innen noch niemanden kennt, ist eine Herausforderung. Gleichzeitig ist sie ist neugierig darauf, wie es sein wird, wenn die Stadt wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht: „Das wird wahrscheinlich richtig spannend. Ich kann es mir gar nicht vorstellen.“

 

Julia

Vier Tage später treffe ich Julia Fritzsche im Internet. Da Julia im Sommer nicht bei der Auftaktveranstaltung des Mentoring-Programms war, sind wir uns noch nie begegnet. Unsere digitale Gesprächssituation ist merkwürdig: Skype weigert sich, die Kamera meines Computers zu erkennen, und ich finde auf die Schnelle den Fehler nicht. So kann ich Julia sehen, während wir sprechen, sie mich jedoch nicht. Anstatt davon irritiert zu sein, winkt Julia nur ab, und wir legen los.

Foto: Julia Schaerdel

Wut, Enttäuschung … und Tanzkararaoke

Persönlich, so beschreibt sie es, sei sie in der jetzigen Situation „total privilegiert“. Sie habe in München eine Wohnung mit Balkon für sich allein und als feste Freie beim Bayerischen Rundfunk keine Auftragsflaute. Sie arbeite viel, nehme digital an Veranstaltungen teil, habe gerade zwei neue Lesekreise gestartet, mache morgens Youtube-Yoga mit einer Freundin und mittags Tanzkaraoke per Zoom. Die Krise trifft sie auf einer anderen Ebene: „Ich bin politisch enttäuscht und auch wütend bis ohnmächtig. Das bin ich eigentlich selten. Aber ich habe das Gefühl, dass es in dieser globalen Gesundheitskrise zu noch mehr sozialen Verwerfungen kommen wird: Die Verteilung von Wohlstand und Armut wird sich verschärfen.“

In der Corona-Krise bündeln sich die Themen, die Julia umtreiben, und die sie immer wieder journalistisch bearbeitet. „Zustände und Probleme, gegen die ich und Gleichgesinnte seit Jahren vorgehen, werden nun offensichtlich“, erläutert sie, „insbesondere die ‚Care-Frage‘, die Vernachlässigung von Fürsorge.“ Mit Fürsorge meint Julia nicht nur die Pflege von Einzelnen am Krankenbett, sondern auch gesellschaftliche Fürsorge für die Natur und die Menschen im globalen Süden. Letztes Jahr ist ihr erstes Buch Tiefrot und radikal bunt. Für eine neue linke Erzählung bei Edition Nautilus erschienen, in dem sie sich mit diesen Themen und möglichen Alternativen zur so oft beschrieenen Alternativlosigkeit auseinandersetzt.

Mit konstruktiver Wut auf der Suche nach Lösungen

Ich bin beeindruckt von Julias Art zu formulieren: Sie spricht klar und schnörkellos, ihre Sätze zerfleddern nicht. Ihre Wut auf die bestehenden Verhältnisse ist ihr anzumerken, aber sie will nicht zerstören, sie ist konstruktiv. Und so ist sie während unseres Gesprächs – wie auch in ihrem Buch – schnell auf der Suche nach Lösungen: „Ich versuche, die Chance zu sehen, die in der Pandemie liegt. Wir bräuchten jetzt einen globalen Gesundheitsfonds, in den vor allem die reichen Staaten einzahlen. Es wäre gerade ein guter Moment für ein globales Wir.“

Mentoring: das kleine Wir

Ein kleines Wir bilden Julia und Fides nun seit fast einem Jahr im Rahmen des jb-Mentoring Programms. In den Gesprächen wird deutlich, dass beide die Teilnahme am Mentoring als sehr gute Entscheidung bewerten. Das Matching hat bei ihnen funktioniert, denn auch wenn ihre derzeitigen Situationen sehr unterschiedlich sind, so haben Fides und Julia einiges gemeinsam: Beide sind über Umwege zum Journalismus gekommen. Julia hat Jura studiert, obwohl – oder weil – es „das Schlimmste“ war „was ich meinen linken, kunstschaffenden Eltern antun konnte“. Nach dem Studium arbeitete sie in Berlin bei Theater- und Filmproduktionen und landete schließlich über Praktika beim Fernsehen in einem Volontariat beim BR. Fides hat Bühnenbild, Freie Kunst und Bildhauerei in Stuttgart sowie Medienkunst in Karlsruhe studiert, Projektmanagement gelernt. Der Weg von der Kunst in den Journalismus war für sie nicht weit: „In meiner künstlerischen Arbeit arbeite ich sehr dokumentarisch. Es gibt viele Überschneidungen.“

Bei Audio will ich wissen, wie es geht“

Julia ist beim BR sowohl in der Audio- als auch in der Fernsehredaktion aktiv. Fürs Radio macht sie hauptsächlich Features zu gesellschaftspolitischen Themen. Im Audio hat auch Fides das Format gefunden, das sie anspornt und herausfordert: „Wenn ich bei einer Audio-Arbeit einen Fehler mache, denke ich: o.k., das war noch nicht geil, aber ich will es besser machen. Bei anderen Sachen ist mir das nicht so wichtig. Aber bei Audio will ich wissen, wie es geht. Ich will noch mehr herausfinden, wie man etwas erzählen kann, wie man Leute dazu bringt, dass sie durchhören und wie man Sound und Text zusammenbringt.“

Wertschätzung bringt viel

Fides und Julia telefonieren ungefähr einmal im Monat, sprechen über ethische Journalismus-Fragen, aber auch über Praktisches. Persönlich getroffen haben sie sich noch nie. Beim Zoom-Meeting des jb vor einigen Wochen haben sie sich zum ersten Mal gesehen. Als „sehr empowerend“ beschreibt Fides ihre Beziehung, „ein Geben und Nehmen“, nennt es Julia: „Ich bin sehr gerne Mentorin, weil es dazu führt, dass ich meine eigenen beruflichen Überlegungen reflektiere. Ich kann die Tipps, die ich gebe, die Fragen, die ich stelle, auch selber anwenden. Für welche Sendungen will ich arbeiten, was will ich machen und wo will ich in fünf Jahren sein? Ich denke eigentlich immer, dass Fides eher mir etwas weitergibt.“

Die gegenseitige Wertschätzung im „kleinen Wir“ empfindet Fides als sehr bereichernd: „Allein das bringt schon so viel: dass da jemand ist, die ich wertschätze und die mir Wertschätzung entgegenbringt.“ Dass sie sich für das Volontariat in Weimar entschieden hat, ist auch dem Mentoring zu verdanken. Julia bestärkte sie darin, in ihre Fähigkeiten zu vertrauen und sich als Journalistin weiter zu professionalisieren.

Mit „Sie hat eine Haltung“, fasst Fides zusammen, was sie an Julia besonders mag: „Sie ist sehr reflektiert und kritisch. Sie ist jemand, die sich positionieren kann und auch noch etwas verändern möchte.“ Julia beschreibt Fides ganz ähnlich: „Sie hat einen total klaren, kritischen, klugen und gewitzten Blick auf die Welt. Persönlichkeiten wie Fides brauchen wir im Journalismus: Kluge, (herrschafts-) kritische Frauen, die bestimmt sind und trotzdem zuhören können. Die nicht ihre Meinung über die von anderen stellen. Im Journalismus gibt es viele Senderinnen, nicht so viele Empfängerinnen. Ich finde, Fides kann beides.“

Und danach?

Wie genau es nach dem Mentoring-Jahr weitergeht, wissen beide noch nicht. Der Grundstein für einen weiteren Kontakt und für weitere Zusammenarbeit ist jedoch gelegt. Zum Glück, denn das „kleine Wir“ ist krisenfester als die Einzelne allein.