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Jeden Monat Eins: Pia Masurczak und Friederike Sittler

Mentee Pia Masurczak hat im Südwesten in Anglistik promoviert und arbeitet als freie Journalistin in Freiburg. Ihre Mentorin Friederike Sittler ist Vorsitzende des Journalistinnenbunds und Leiterin der Abteilung „Hintergrund Kultur und Politik“ beim Deutschlandfunk Kultur. Im Interview sprechen sie über spannende journalistische Fragen, Herausforderungen und kollegialen Umgang im Journalismus.

Pia, du arbeitest bei dem freien Radio Dreyeckland in Freiburg. Wie bist du zum Radiomachen gekommen?

Ich hatte ganz einfach Lust darauf. Radiohören hat mir immer Spaß gemacht und ich hatte direkt nach dem Studium auch überlegt, mich auf ein Volontariat zu bewerben. Mir fehlte aber die Arbeitserfahrung und freie Radios sind da ein guter Einstieg. Man lernt wahnsinnig schnell sehr viel und vor allem kann man alles selbst machen: Moderation, Recherche, Schnitt, Aufnahmetechnik. Daraus ist dann, eher ungeplant, mein Beruf geworden.

Auf welche Recherche oder Geschichte bist du besonders stolz?

Auf mein erstes Feature, auch wenn ich beim Schnitt heute einiges anders machen würde. In Freiburg wurde 2016 eine junge Frau vergewaltigt und ermordet. Als bekannt wurde, dass ein Geflüchteter aus Afghanistan deswegen festgenommen wurde, wurde aus dem Fall auf einmal ein bundesweites Thema inklusive einer Debatte darüber, ob man sich als Frau in der Stadt noch sicher fühlen könne und ob „die Flüchtlinge“ eine Neigung zu sexualisierten Gewalttaten hätten. Dazu kam, leider erwartbar, der rassistische und sexistische Spin von rechts. Besonders absurd daran war, dass nur zwei Wochen später in der Nähe von Freiburg eine Frau Opfer einer ganz ähnlichen Tat wurde – allerdings war der Täter kein Geflüchteter. Für diesen zweiten Fall gab es praktisch keine überregionale Aufmerksamkeit. Schon während des Prozesses hat mich diese Mediendynamik sehr beschäftigt. Meine Beobachtungen habe ich dann nach dem Urteil aufgearbeitet und unter anderem mit Redakteuren vom SWR und der Badischen Zeitung über ihre Berichterstattung gesprochen. Im Kern war mir wichtig zu zeigen, dass Journalist*innen das eigene Handeln reflektieren und auch kritisieren müssen, um nicht in so eine Aufmerksamkeitslogik zu rutschen.

Für den Deutschlandfunk Kultur hast du mit Lisa Westhäußer ein Feature über den Boom von Reisedokus und die fehlende Reflektion über Privilegien umgesetzt. Wie bist du auf das Thema gekommen?

Die Frage ist eher, wie kommt man daran vorbei? Wir hatten beide das Gefühl, dass alle paar Wochen eine neue Reisedokumentation ins Kino oder ins Fernsehen kommt, dazu gibt es unzählige Instagram-Accounts, Blogs oder Bücher. Warum funktioniert das gerade so gut? Die Idee des Aussteigen-Wollens ist natürlich nicht neu, sehr wohl aber diese Art der Präsentation und Vermarktung. Und wir haben bei uns selbst beobachtet, dass wir das Reisethema – vielleicht generationsbedingt – in einem gewissen Maße auch sehr anziehend finden. Ich würde selbstverständlich gerne ein Jahr oder zwei mit Reisen verbringen. Und trotzdem ist uns in diesen Filmen die problematische Erzählung, dass jede*r so einfach reisen, sich frei bewegen kann, stark aufgestoßen. Dazu kommt dann noch etwas, das uns tatsächlich fremd war: Die Selbstverständlichkeit, sich ständig zu filmen. Unsere eigene ambivalente Haltung zu solchen Filmen stand da ganz am Anfang der Recherche.

Über welche Themen berichtest du außerdem?

Für Radio Dreyeckland arbeite ich viel tagesaktuell, auch zu regionalen oder lokalen Themen wie Gemeinderatssitzungen oder Streit um männliche Bademeister im Damenbad. Meine Schwerpunkte sind darüber hinaus Abtreibungsrecht und Frauen*politische Fragen, dazu, studienbedingt, Themen aus Großbritannien und Indien. Aus beiden Ländern gab es ja in den letzten Wochen mehr als genug zu erzählen. Zukünftig würde ich gerne wieder mehr gesellschaftspolitischen Hintergrund machen.

Für die Sendung Mikrokosmos des Deutschlandfunks sitze ich gerade an einer Reportage über die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in Augsburg und welche Debatten das in der Stadt auslöst. Die totale Nische ist mein privates Faible für Berge und Bergsport. Dazu zu arbeiten ist ein kleiner Wunschtraum.

Was macht eine gute Journalistin deiner Meinung nach aus?

Neugier, Gründlichkeit, Hartnäckigkeit. Akzeptieren zu können, dass man auch von sympathischen Interviewpartner*innen nicht gemocht wird. Aber noch wichtiger ist meiner Meinung nach, die eigenen blinden Flecken zu kennen. Welche Themen, welche Ereignisse verpasse ich, weil ich zu sehr in meiner Blase recherchiere? Darin steckt aber sicher auch eine Aufgabe für die Redaktionen. Auf einer zweiten Ebene betrifft das aber genauso meine politische Haltung: Wie positioniere ich mich in meinen Beiträgen? Wie formuliere ich (solidarische) Kritik, wenn ich einem Thema, einer Institution, einer Person eigentlich inhaltlich nahestehe? Das immer wieder neu zu reflektieren ist ein Merkmal von guter journalistischer Arbeit.

Was sind zurzeit die größten Herausforderungen im Journalismus?

Wichtig wäre aus meiner Sicht, diese Aufmerksamkeitsspirale in den Medien zu reflektieren. Das gilt wahrscheinlich besonders, wenn auch nicht ausschließlich, im Verhältnis zu sozialen Medien, wie man am #Umweltsau-Video sehen konnte. Nicht jede – in dem Fall wohl auch noch gezielt verstärkte – Aufregung im Netz ist eine Nachricht, nicht jede Nachricht verlangt nach mehreren Hintergrund-Beiträgen. Den Schnelligkeits-Wettbewerb mit Twitter beispielsweise gewinnt der Journalismus ohnehin nicht. Themen nachhaltig setzen, jenseits von aktuellen Trends recherchieren, mehr als die reine Information oder reine Meinung bieten, das können Journalist*innen aber wesentlich besser. Wahrscheinlich ist das den meisten bewusst, aber es braucht auch das Selbstbewusstsein, die Erkenntnis strukturell umzusetzen.

Welche journalistischen Ziele hast du für das kommende Jahr?

Ich würde gern hauptsächlich als freie Journalistin arbeiten. Momentan teile ich mir die Zeit zwischen Jugendmedienarbeit und journalistischer Arbeit auf. Das macht zwar Spaß, allerdings gehen dabei viele Wochenenden und Abende drauf. Regelmäßige Aufträge, auch kürzere Sachen, bei mehr Redaktionen als Autorin bekannt und gefragt zu sein, das sind Ziele für dieses Jahr. Wenn ich dabei noch meine eigenen Schwerpunkte weiterentwickeln könnte, wäre ich sehr zufrieden. Und davon leben können, natürlich! Das ist ein heikler Punkt: Ab wann kann ich mir es überhaupt leisten, so zu arbeiten?

Um deinen Zielen näher zu kommen, hast du Friederike Sittler als Mentorin an deiner Seite. Was inspiriert dich an deiner Mentorin am meisten?

Friederike tritt, zumindest erlebe ich es so, mit der Haltung auf, ihr Handwerk zu können und auch Kontroversen auszuhalten. Diese Art des unaufgeregten Selbstbewusstseins schätze ich generell sehr an ihr und das zieht mich auch immer mit.

Was hast du von deiner Mentorin bereits erfahren und gelernt?

Ich sollte einen etwas (nur etwas) pragmatischeren Blick auf den Beruf entwickeln. Also, ein bisschen ehrlicher abwägen, welche Aufträge sich lohnen, welche vor allem Spaß machen und welche meine Schwerpunkte vertiefen. Alles hat seinen Platz, aber eben in der richtigen Mischung. Wie wahrscheinlich viele andere vergrabe ich mich gerne in meinen Lieblingsthemen, deshalb ist dieser Blick von außen ein gutes Korrektiv.

Am meisten profitiere ich im Moment vielleicht vom Überblick meiner Mentorin über die Sender und Redaktionen und ihr gutes strategisches Gespür dafür, wo welche Themen und Formate gerade gebraucht werden.

Friederike, du bist seit 2019 die Vorsitzende des Journalistinnenbundes. Warum engagierst du dich im Journalistinnenbund?

Der jb ist einfach mein Verein. Als ich erstmals vom jb hörte, war ich noch Schülerin und wusste: da will ich eines Tages mit dabei sein, meinen Vorbildern begegnen, Teil eines Frauennetzwerkes sein. Dem jb und den großartigen Frauen verdanke ich viel. Nun ist es an der Zeit, nochmal was zurückzugeben. Und ehrlich gesagt ahnte ich vor der Wahl nicht, wie cool mitunter der Vorsitz ist. Wir werden als jb zu vielen Terminen eingeladen. Zum Beispiel einen Abend mit 150 taffen Führungsfrauen aus dem In- und Ausland auf Einladung des Auswärtigen Amts zu verbringen oder in kleiner Runde im Kanzlerinnenamt mit der Beauftragten für Digitalisierung zu diskutieren, das hat schon was.

Du hast katholische Theologie studiert. Wie bist du zum Journalismus gekommen?

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Schon während der Schulzeit war klar, dass ich Journalistin werden wollte. Ein kluger Mensch hat mir geraten, nicht das zu studieren, was alle studieren. So entstand die Kombination aus katholischer Theologie, Politik- und Kommunikationswissenschaft. Mit Erfolg, denn die ersten Jahre im Job war ich politische Reporterin, zur Zeit des Regierungsumzugs Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio, Redakteurin, CvD und Moderatorin unter anderem im Inforadio des SFB. Meine Chance auf eine unbefristete Festanstellung und Führungsposition ergab sich 2002 als der langjährige Leiter der Kirchenredaktion in den Ruhestand ging. So war ich 17 Jahre lang im rbb Fachfrau für Religion und Gesellschaft, habe Hörfunk und Fernsehen gemacht, vom Live-Gespräch im Radio bis hin zu Tagesthemen-Kommentaren.

Auf welche journalistische Arbeit bist du besonders stolz?

Hmh, es fällt mir schwer eine herauszupicken. Zufrieden bin ich immer dann, wenn ich das Gefühl habe, meinem Job gerecht zu werden, Zusammenhänge im Live-Gespräch kompakt zu erklären, Eindrücke zu schildern, pointierte Kommentare zu sprechen oder auch eine Atmosphäre im einstündigen Radio-Gespräch so zu schaffen, dass wirklich der Mensch aufscheint, wir teilhaben dürfen am Leben und Denken eines anderen.

Am aufregendsten war sicherlich, als Benedikt XVI. nach Berlin kam und ich stundenlang, auch in der ARD, berichtet habe. Oder auch als Barack Obama beim Kirchentag am Brandenburger Tor auftrat, ich die Übertragung für die ARD organisiert hatte und vor der Kamera stand. Am nachdrücklichsten aber ist mir eine Live-Sendung der rbb Abendschau ein Jahr nach dem Anschlag am Breitscheidplatz in Erinnerung. Die Glocken läuteten für die Opfer und wir hatten die Aufgabe, die Empfindungen des Tages in Worte zu fassen, aber auch zu schweigen. Seitdem weiß ich: „Schweigen im Bild“ ist genauso schwer wie reden vor der Kamera.

Im Juli 2019 hast du die Leitung der Abteilung „Hintergrund Kultur und Politik“ beim Deutschlandfunk Kultur übernommen. Wie haben sich deine beruflichen Aufgaben mit dem Wechsel verändert?

Der Preis für den Karrieresprung ist, dass ich zumindest erstmal nur noch wenig selbst on Air bin. Zu der Abteilung gehören über 40 feste MitarbeiterInnen, für die ich die Personalverantwortung habe, dazu sehr viele Freie und etwa 20 verschiedene Sendungen und Podcast-Formate. Neu für mich ist, dass eine Sekretärin allein für mich tätig ist und mich durch den durchgetakteten Tag lotst. Es geht viel um strategische Fragen, um den digitalen Wandel und ich versuche, möglichst viel zu hören und mit den KollegInnen in inhaltliche Gespräche zu ihren Sendungen zu gehen.

Du bist in einer Führungsposition beim Deutschlandfunk Kultur und hast es auf der Karriereleiter nach oben geschafft. Was braucht es, um sich in männlich dominierten Hierarchien zu behaupten?

Wenn Du erstmal so weit bist, ist es nicht mehr gar so schwer, sich dort zu behaupten. Viel schwerer ist es, überhaupt dahin zu kommen und dann auch noch die nächsten Karriereschritte zu machen, nicht an die gläserne Decke zu stoßen. In jedem Fall aber: Netzwerke innerhalb und außerhalb des Unternehmens, gutes Coaching; Führungskräfteschulungen und dazu im privaten Umfeld verständnisvolle Menschen, die sich ungefiltert anhören, was ich tagsüber in meiner Job-Rolle nicht sagen konnte, aber gedacht habe.

Was war die härteste Erfahrung, die du in deiner Berufslaufbahn bisher machen musstest? Wie bist du damit umgegangen?

Wenn Du mit besten Absichten handelst, versuchst bei allen schlechten Rahmenbedingungen und Zwängen integer zu bleiben und dann auf Männer triffst, die nichts anderes wollen als Foul zu spielen, gar das von Dir aufgebaute zerstören wollen das ist schon hart. Ich habe daraus gelernt, dass, bevor ich in einen Konflikt gehe, ich nach BündnisgenossInnen auf meiner Ebene und im Team gucke, dazu die Rückendeckung durch Chefs abkläre und mir genug Zeit nehme, um Entwicklungen, emotionale Reaktionen im Team und Gespräche auf dem berühmten „Flur“ sehr genau zu beobachten und somit weiter handlungsfähig zu bleiben. Fatal ist es, noch eben ein Konfliktgespräch zu führen und dann in Sitzungen oder gar auf Dienstreise zu entschwinden. Zudem: Wenn es im Job hart zugeht, dann braucht es unbedingt Zeitfenster für den privaten Ausgleich mit netten Menschen und für Sport.

Warum engagierst du dich als Mentorin beim Journalistinnenbund?

Es macht große Freude, auf die Fragen Jüngerer mit eigenen Erfahrungen antworten zu dürfen. Das gemeinsame Sortieren von Plänen, Ideen, Angeboten, das Suchen nach dem richtigen Weg, ist bei jeder Mentee anders und damit besonders.

Was hast du von deiner aktuellen Mentee erfahren und gelernt?

Eine große Themenbreite, spannende thematische Herangehensweisen, und dass es im Südwesten Radio Dreyeckland gibt.

Was ist dein Rat für junge Journalistinnen?

Interessiert Euch für Eure ChefInnen – was haben sie schon gemacht, was könnt Ihr von ihnen lernen, warum entscheiden sie beispielsweise programmlich anders als Ihr es Euch wünschen würdet. Die meisten von uns in Führungspositionen finden nichts blöder, als wenn junge Leute uns den Eindruck vermitteln, dass sie Null Interesse an uns haben, wir schon zum alten Eisen gehören, weil wir angeblich nichts von der digitalen Welt verstehen. Und auch wenn ich jetzt völlig old-fashioned daher komme: Sich beim Kennenlernen nur mit Vornamen vorstellen und die Chefin einfach mal munter duzen, geht gar nicht – selbst wenn sich offenbar alle duzen. Das „Du“ muss von der Vorgesetzten ausgehen, nicht umgekehrt. Im jb ist es anders, da sind wir alle Mitglieder eines Vereins und das „Du“ ist völlig okay.

Lieben Dank für das Interview!

Portraitiert von jb-Mentee Julia Neumann. Die anderen Tandems im Porträt: https://www.journalistinnen.de/projekte/mentoring/