Grafik Journalistinnenbund

Sachbericht: „Der kleine Unterschied in Wort und Bild“ (Vorabrecherche)

Der vorliegende Bericht dokumentiert das Ergebnis der Vorabrecherchen zur Gestaltung einer Online-Plattform für gendersensiblen Journalismus und gendergerechte Medienarbeit. Im Auftrag des Journalistinnenbundes und gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat ein dreiköpfiges Team, unterstützt durch eine Assistentin, das Themenfeld eingehend untersucht.

Der öffentliche Diskurs

Gendersensibler Journalismus bezeichnet eine ethisch-journalistische Grundhaltung. Sie zielt auf die Gleichberechtigung aller Geschlechter und die Vielfalt von Identitäten ab, gemäß der im Grundgesetz verankerten Werte des Art. 3 GG. Bei der Darstellung des gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehens sind Medienschaffende nach den Selbstverpflichtungen des Pressekodex dazu angehalten, wahrhaftig, sorgfältig und vorurteilsfrei die Wirklichkeit abzubilden, und so an der demokratischen Meinungsbildung mitzuwirken.

Vor diesem Hintergrund kommt die Medienwissenschaft in mehreren Studien zu dem Ergebnis, dass Frauen nicht in dem Maße, und vor allem nicht in der aktiven und realitätsnahen Handlungsbreite zu Wort kommen oder abgebildet werden, wie es ihnen als Hälfte der Bevölkerung zustehen müsste. Eine männlich dominierte Themensetzung und inhaltliche Gestaltung unterläuft den journalistischen Anspruch an Objektivität. Als wesentliche Ursache werden sowohl die fehlende Geschlechterbalance in Positionen mit Entscheidungsfunktion erkannt, als auch eine fehlende Selbstreflexion von Geschlechtsrollenstereotypen auf vielen Ebenen der Medienproduktion.

Knapp gefasst: Wo zu wenige Frauen an führenden Stellen planen und entscheiden, werden gängige Rollen- und Denk-Klischees bedient und nicht etwa hinterfragt oder gar aufgebrochen. Die Psycholinguistik liefert darüber hinaus eindeutige Erkenntnisse über die Wirkmächtigkeit eines nur scheinbar neutralen, tatsächlich aber männlich ausgerichteten Sprachgebrauchs. In der Summe führt dies zu einer genderungerechten Medienarbeit.

Recherche und Analyse

Anhand medienwissenschaftlicher Analysetools wurden in einer achtwöchigen Stichprobe in allen Medienformen Bad- wie Good-Practice-Beispiele gesammelt und untersucht. Die Einteilung der Medienprodukte in positive und negative Beispiele erfolgte unter fünf Aspekten:

  • Geschlechterverhältnis der Protagonist*innen,
  • Geschlechterrollen/Klischees,
  • Sprache,
  • bildliche Darstellung,
  • konzeptionelle Gesamtperspektive.

Die Untersuchung ergab, dass in der Vielfalt von Print- und Online-Medien, Fernsehen und Radio, sowie auch bei neueren Publikationskanälen wie beispielsweise YouTube, unterschiedliche Stadien von Gendersensibilität nebeneinander existieren:
Die einen arbeiten ausgesprochen aufmerksam. Bei anderen ist das Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit zwar sichtbar, aber mangelnde Kenntnis der Materie führt zu Fehlern. Die Dritten – und das scheint bislang noch die Mehrheit zu sein – zeigen keinerlei Interesse an einer gendersensiblen Berichterstattung. Dabei finden sich zuweilen Produkte aller Gruppen nebeneinander im gleichen Medium.

Unterm Strich sind in puncto Gendersensibilität fast alle Medienschaffenden nachlässig. Grob sexistisch sind die wenigsten. Im besten Fall fehlt es an Schulungen bzw. an Top-Down-Vorgaben seitens der Entscheidungsebene sowie praxisnahen Angeboten zur besseren Handhabung, um gendersensiblen Journalismus umzusetzen.

Konzeptentwicklung

Aus der Mitte der Gesellschaft heraus gibt es bereits nennenswerte Initiativen, die die Medienwelt umgestalten wollen.

  • Der Journalistinnenbund stärkt und fördert Kolleginnen auf beruflich-organisatorischer bzw. inhaltlicher Ebene.
  • ProQuote Medien setzt sich für den gendergerechten Anteil von Frauen in journalistischen Leitungsfunktionen ein.
  • Pinkstinks oder Gender Equality Media bekämpfen Sexismus in Werbung und Medien.

Was fehlt ist ein Portal, das insbesondere Journalist*innen Impulse zu einer gendersensiblen Arbeitsweise gibt.

Ein wesentlicher Punkt dieses Berichts betrifft den Umgang mit Sprache. Ausgehend von feministischer Sprachkritik gibt es eine Vielzahl von Sprachleitfäden, die in der Regel von Universitäten und Gewerkschaften erarbeitet wurden. Basierend auf gesetzlichen Vorgaben für eine geschlechtergerechte Sprache existieren solche Formulierhilfen auch für die Verwaltung. Die Dudenredaktion hat auf diese Initiativen reagiert und zeigt in ihrer neu erschienenen Sonderausgabe „Richtig gendern“ Möglichkeiten eines gendersensiblen Sprachgebrauchs. Alle diese Leitfäden aber lassen dort wesentliche Lücken, wo es um die Herausforderungen journalistisch guter Schreibe geht.

Der Recherchebericht stellt mögliche Handlungsfelder einer geplanten Online-Plattform dar. Sie wird als unverzichtbares Werkzeug für die journalistische Berufspraxis definiert, denn es besteht nachweislich großer Aufklärungs- und Informationsbedarf zum Thema Gendersensibilität und Gendergerechtigkeit. Das Portal soll allen kommunikativ Tätigen Impulse geben, von der Themensetzung über die Auswahl der Gesprächspartner*innen, von der Recherche bis hin zu Bildgestaltung und Formulierung, und damit dem praktizierten Journalismus zu mehr Qualität verhelfen.
Die Zielgruppe ist so divers wie die Medienwelt – von der Regionalzeitung bis zum Mainstreammedium soll für alle etwas dabei sein. Angesprochen werden sollen nicht nur journalistische Aus- und Fortbildungsinstitutionen und der journalistische Nachwuchs, sondern alle, die mit Wort und Bild arbeiten und sich hier informieren möchten.

Bei der anvisierten Plattform geht es nicht darum, Vorschriften zu formulieren. Stattdessen sollen mit interaktiven Elementen beispielhaft Anregungen für eine gendersensible Medienarbeit gegeben werden.

Um nur einige praktische Beispiele zu nennen:

  • Ein (zu entwickelnder) „Gendercheck“ beispielsweise kann die Planung und Endfertigung von Medienproduktion unterstützen.
  • Anleitungsvideos können Ideen zur Umsetzung anschaulich darstellen.
  • Ein integrierter Blog kann aktuelle Medienentwicklungen aufgreifen und die Anregungen des Portals verstetigen.
  • Broschüren, Faltblätter, Aufsteller für den Schreibtisch und ähnliche Handreichungen können bei Fortbildungen, Tagungen, Podiumsdiskussionen und Inhouse-Seminaren in Medienhäusern verteilt werden.

Die Plattform soll vorhandenes Wissen bündeln, gendersensible Initiativen und Expertinnen vernetzen und sich zu einer breitenwirksamen Institution entwickeln. Insoweit zeigt der Bericht erste Ideen auf, auch hinsichtlich einer Medienstrategie zum Start wie auch des weiteren Marketings. Die Vision ist, in einer nächsten Projektphase die vorliegenden Ideen auszuarbeiten und die Gestaltung der Plattform zu konkretisieren.

 

Entstanden mit einem Projektteam des Journalistinnenbundes vom 01. November bis 31. Dezember 2017 sowie durch ehrenamtliche Betreuung durch den Vorstand.