Frauen, bildet Banden!
Auf dem Klassentreffen der Podcasting-Szene waren erschreckend wenig Frauen. Eine Ursachensuche zeigt: Frauenfeindlich ist das Umfeld nicht. Was also tun?
Am Wochenende trafen sich in Berlin an die 90 Menschen die eines gemeinsam haben: Sie lieben und produzieren Audio-Podcasts. Es war der vierte Podlove Podcaster Workshop, der halbjährlich stattfindet und unter dem Dach der„Metaebene“, dem Podcast-Netzwerk von Tim Pritlove, läuft. Zum vierten Mal zeigte sich: Frauen sind hier stark unterrepräsentiert. Es treffen sich vor allem technikaffine Kerle, die sich über die neuesten Entwicklungen des Podlove Podcast Publishers, über die Zukunft der sogenannten Shownotes oder über Technik zur Aufnahme von Atmosphärensounds auszutauschen. Der in großen Teilen als ein Barcamp angelegte Workshop bot Raum, miteinander zu tüfteln, ein Podcast-Festival für den Sommer 2015 wurde geplant und in den Pausen vernetzte sich die Szene und man lud sich gegenseitig in die eigene Sendung ein. Mann lud sich ein. Dabei sind podcastende Frauen weniger selten, als es oft den Eindruck macht. Im Sommer stellte Nele Heise eine Liste ins Netz, auf der Frauen gesammelt werden, die Podcasts machen oder wenigstens mitmachen. Über hundert Frauen sind dort versammelt. Wo aber sind die alle an diesem Wochenende?
Die wenigen anwesenden Frauen fühlen sich erfahrungsgemäß trotz ihrer zahlenmäßigen Unterrepräsentanz nicht unwohl. Die Podcasting-Szene ist, wie manche finden, „flauschig“. Hilfsbereit, zukunftsorientiert und durch und durch humanistisch, viele sogar feministisch. Frauen werden weder schräg angesehen, noch wie Aliens behandelt. Man agiert auf Augenhöhe. Jeder kann von den anderen etwas lernen, das ist die Grundstimmung hier. Wer in den Räumen der Wikimedia an diesem Wochenende sitzt, der kann kein schlechter Mensch sein. Alle haben sich lieb.
Dennoch interessierte mich, ob jenseits der Wohlfühlatmosphäre ein Gesprächsbedarf über die Frage vorhanden ist, warum so wenige Frauen dabei sind. So rief ich für den Samstagabend die „Selbsthilfegruppe Frauen“ aus. Ich wollte die anwesenden Frauen gern fragen, wie ihre Gefühlslage ist, ob sie irgendwelche Konflikte, Wünsche, Sorgen haben. Männer waren auch eingeladen, wenngleich das eine etwas riskante Sache hätte werden können, denn schließlich war dies ein Hort für Kerle, die sich selbst gerne reden hören. Eine unnötige Sorge: Die Herren hörten zu und bedankten sich hinterher für die Session, bei der so mancher vieles verstanden hat.
Sie hörten aufmerksam zu, als die anwesenden Frauen fast unisono davon berichteten, wie schwierig es für sie sei, ihre eigene Stimme zu hören. Nur eine Facette des recht üblichen Problems, zu perfektionistisch und zu selbstkritisch zu sein. „Frauen wird Perfektionismus anerzogen“, warf Michaela ein. „Jungen dürfen sich dreckig machen. Mädchen auf keinen Fall.“ Bei Tine tritt der Perfektionismus auf, wenn sie nach der Aufnahme die Shownotes zur Sendung macht: „wenn ich mich dann noch mal höre, macht es mich fertig.“ Die einen können die eigene Stimme nicht leiden, bei ihr sind es eher die vielen „so“s, mit denen sie meint, ein Trinkspiel machen zu können. Seine eigene Stimme nicht hören zu mögen, ist ein Phänomen, das kein Geschlecht kennt. Aufgrund physikalischer Gegebenheiten ist es für jeden Menschen ungewohnt, die sich aufgenommen aus einer Maschine zu hören und nicht „im eigenen Kopf“, wo es meistens tiefer und daher schöner klingt. Je tiefer desto schöner ist eine weit verbreitete Ansicht – zum klaren Nachteil von Frauen. Nele Heise berichtet, dass genau deswegen bis heute viele Leute die Meinung verträten, Frauen hätten schlicht nicht so tolle Radio-Stimmen, wie die männlichen Kollegen. Von Natur aus eben. Deswegen höre man ihnen nicht so gerne zu.
Das Gegenteil ist bei den Hörer_innen der Fall: Alle Anwesenden berichten unisono, wie sehr sie sich freuen, wenn Frauenstimmen in Podcasts auftauchen. Wenn es dann noch positives Feedback gibt, ist die schlimmste Hürde schon fast genommen. „Das gute Feedback zu meiner Stimme war wichtig und toll“, findet Jella. „Aber die Selbstwahrnehmung ist komplett anders.“ Gerade, weil es im Podcasting nicht zuletzt darum geht, sich selbst zu präsentieren, ist da für viele Frauen plötzlich eine riesen Hürde. Auch für Mira sind Selbstwahrnehmung und Selbstüberwindung ein großes Ding. Sie habe sich im Vorfeld des Workshops gefragt „Will ich überhaupt zum #ppw14b?“ Tine denkt, dass die, die da waren, ohnehin schon die mutigeren Frauen aus dem Bereich waren. Und sie hatten Zeit und Geld, nach Berlin zu fahren, auf eigene Kosten.
Tim Pritlove selbst saß auch in der Runde und hat mit der Selbstwahrnehmung der Frauen bereits zu kämpfen gehabt. „Hör ich oft Frauen, dass die sagen: ‚Ich hab ja nichts zu erzählen. Ich bin nicht interessant,‘ Und wir Männer so: ‚ja, ich hab nichts zu erzählen, aber egal, ich rede trotzdem…‘!“ Ein altbekanntes Phänomen. In Sachen Selbstdarstellung, Sendungsbewusstsein und nach vorne drängen sind Männer im Durchschnitt wesentlich forscher und seltener zurückhaltend, als Frauen. Ein Phänomen bekannt aus der Politik, aus der Wirtschaft und aus so ziemlich allen Bereichen des Lebens, in denen es darauf ankommt, sich zu präsentieren oder gar in Konkurrenz- oder Wettkampf-Situationen zu geraten. Studien haben gezeigt, dass Frauen im Durchschnitt dann am besten arbeiten, wenn sie es im Stillen und für sich tun und dass sie schneller nervös und schlechter werden, wenn sie unter Beobachtung stehen oder in einem Wettkampf mit anderen. Bei Männern hingegen tritt im Durchschnitt der gegenteilige Effekt ein: Wenn sie sich messen können, laufen sie erst richtig zur Höchstform auf. Bei der Frage nach dem „Warum?“, sind sich die meisten Studien einig, dass es vermutlich eine Frage der Sozialisation ist. Andere haben das Testosteron im Verdacht – es ist ein bisschen Glaubenssache, ob man eher die Biologie oder die Soziologie zu Rate zieht, um die Frage zu klären. Vielleicht ist es aber auch egal. Die viel wichtigere Frage stellt wieder Tim: „Ja ist das denn heilbar?“
Ja: Was kann man denn tun? Ignorieren und so tun, als sei es einem egal, wie viele Frauen podcasten, wäre ein möglicher weg. Auf dem #ppw14 sind sich aber alle einig, dass sie mehr Frauen in Podcasts hören wollen und auch bei solchen Workshops. „Wenn Teams gemischt sind, wird die Arbeit einfach sehr viel besser“, ist Bronko überzeugt, der für sein Festival „Podstock“ ganz gezielt auch Frauen ansprechen und auf die Bühnen bringen will. Diversity ist ein Wert an sich, das legen auch alle Studien zum Thema „Diversity“ nahe. In der Wirtschaft kann man den Effekt oft in barer Münze messen, gemischte Führungsteams wirtschaften besser. „Ihr müsst Frauen einladen“, appelliert Jella an die Männer in der Runde. „Aber dann bekommst du gleiche zu hören, wie immer: ‚ich hab doch nichts zu erzählen…‘“, zweifelt einer. Da hilft nur eines: Hartnäckig bleiben, konkret werden. Als Gast in einem Podcast zu sein ist nicht selten die Einstiegsdroge in die Szene. Aber auch, wenn die Frauen einmal dabei sind, besteht noch Handlungsbedarf: „Wir müssen uns vernetzen“, so das einhellige Urteil. Schon geht das Planen los: Monatliche Treffen oder Stammtische wären toll. Die Liste, die Nele erstellt hatte, war toll, weil sie sichtbar macht, wen es alles gibt und was die alles machen. Eine Mailingliste vielleicht? Eine gemeinsame Webseite, kuratiert oder auch nicht, auf der alle aktuellen Podcasts von Frauen auf einen Blick zu sehen wären. Das alles klingt nach Arbeit und wie so oft muss sich erst finden, wer solche Seiten aufzieht und tatsächlich Stammtische organisiert. Der Szene wäre es zu wünschen, dass ihre Frauen gestärkt würden, noch sichtbarer und vor allem auch selbstbewusster.
Das Schlusswort hat trotz allem ein Mann, Tim selbst, der fordert: „Bildet Banden! Es gibt ein großes Interesse, das liegt auf dem Tisch und ihr müsst euch das ranholen!“
Katrin Rönicke