Preisträgerin 1998: Gerda Hollunder
Der Journalistinnenbund hat die ehemalige Programmdirektorin des Deutschlandradio Berlin Gerda Hollunder mit der Hedwig-Dohm-Urkunde 1998 für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Die feierliche Verleihung der Urkunde erfolgte im Rahmen der Jahrestagung des Journalistinnenbundes am 20. Juni 1998 in Gelsenkirchen.
Vita
1940: Geboren in Beuthen, Oberschlesien
1960: nach dem Abitur Lehre zur Buchhändlerin in Essen
1964: Studium Germanistik und Geschichte in München
1969: Freie Mitarbeiterin Bayerischer Rundfunk, Konzeption der Frauensendung „Dampftopf“ mit Magda Gatter
1972 – 1994: Hörfunkredakteurin beim WDR mit verschiedenen Leitungsaufgaben
1974: freigestellt als Referentin im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
1995 – 2004 Programmdirektorin beim Deutschlandradio Berlin
Laudatio für Gerda Hollunder
gehalten von Helga Kirchner, frühere Hörfunkdirektorin des WDR
Sehr geehrte Gäste, liebe Gerda,
als Laudatorin wird man nicht geboren, zur Laudatorin wird man gemacht. Wenn ich hier mit etwas Lampenfieber stehe, um die erste Laudatio meines Lebens zu halten, sagt das zwar einiges über mich, jedoch noch mehr über unsere Gesellschaft aus. Nach wie vor werden nämlich die Verdienste von Frauen viel zu wenig beachtet, noch viel seltener geschieht es, dass sie in aller Öffentlichkeit gewürdigt werden. Männer rechneten und rechnen einander als Verdienst zu, was in ihren Augen und nach ihren Maßstäben verdienstvoll ist. Sie verleihen einander Auszeichnungen, Orden, Preise, Ehrungen, fördern und loben sich wechselseitig. Allzu lange war unser Blick fixiert auf deren äußere Formen, nahmen sie vor allem als peinliche Selbstbeweihräucherung das anderen Geschlechts wahr. Deren individuellen und gesellschaftlichen Mehrwert haben wir erst spät, aber immerhin, entdeckt. Und erst allmählich entsteht auch eine von Frauen für Frauen geschaffene Kultur der öffentlichen Anerkennung. Der Journalistinnenbund trägt dazu mit seiner Ehrung verdienstvoller Kolleginnen bei.
Erst durch die Vorbereitung dieser Rede ist mir vollends bewußt geworden, wie dieses Defizit sich auf unsere wechselseitige Wahrnehmung und Beachtung auswirken musste und tatsächlich ausgewirkt hat. Deshalb bin ich im Nachhinein auch dankbar für die mir hier zugedachte Aufgabe. Doch nicht nur aus diesem Grunde! Nun genug der Vorrede!
Liebe Gerda,
als Du vor vier Jahren Programmdirektorin beim DeutschlandRadio Berlin wurdest,
überraschte diese Berufung höchstens diejenigen, die Frau Hollunder nicht kannten.
Denn obwohl Frauen in diesen Ämtern auch jetzt noch nicht selbstverständlich vertreten
sind, musste ein Intendant auf der Suche nach einem tüchtigen Direktor meiner Meinung
nach zwangsläufig auf Dich kommen. In Berlin waren drei Sender in einem deutschdeutschen
Gemeinschaftsprojekt zu fusionieren und die Programme zu reformieren.
Dieser wahrhaft herkulischen Aufgabe bist Du nicht ausgewichen und hast obendrein
bewiesen, dass keineswegs nur Männer sie meistern können. Dafür allein gebührt Dir
Respekt und Anerkennung.
Ich glaube, liebe Gerda, dass die Voraussetzungen dafür nicht allein in Deinem
beruflichen Werdegang, Deinen Kompetenzen begründet sind, sondern vor allem in
Deiner Persönlichkeit.
Du vereinst Prinzipientreue mit nüchternem Realitätssinn und Pragmatismus, Du
verfügst über Selbstbewusstsein, Durchsetzungsfähigkeit und Entscheidungskraft, Du
hast die Gabe zum Kompromiss und zur Integration. Oder um Dich – in einer Art
Selbstcharakterisierung – zu zitieren: „Eine einmal als richtig anerkannte Position muss
man nicht schon deshalb wie einen alten Mantel ablegen, weil sie nicht durchzusetzen
war.“ Das ist ein Beleg für Deine Prinzipientreue. Oder: „Ich lasse mich durch Tatsachen
nicht erschlagen, sie sind veränderbar.“ Darin drückt sich Dein Gestaltungswille aus.
Dein Weg als junge Journalistin – nach Buchhändlerlehre und Germanistikstudium –
führte anno 68 zum Bayrischen Rundfunk, zunächst als freie Autorin und Reporterin,
und dann in die Redaktion des ruhmreichen „Notizbuchs“, das ist eine Radiosendung,
die dem aufklärerischen Anspruch öffentlich-rechtlicher Programmarbeit verpflichtet ist.
Die Dienstagsausgabe des „Notizbuchs“ – so las ich – machtest Du bald zur politischen
Frauensendung.
Die Frauensendung „Dampftopf“ (man entdeckt die Tradition in der Namengebung für
das WDR-Frauenmagazin „Abwasch“), die Du nach Deinem Wechsel zum WDR 1971
mit Magda Gatter kreiert hast, enthält für mich erkennbar die Fragen und Themen,
denen Du Dich engagiert und anhaltend gewidmet hast: Frau – Arbeitswelt – Politik –
Gesellschaft. Ich habe das beim Abhören alter Sendungen aus dem Archiv feststellen
können.
Zahlreichen Sendereihen drücktest Du Deinen Stempel auf, ich nenne hier „Kontakte“,
„Daheim und unterwegs“, gar nicht zu reden von den vielen Projekten und
Schwerpunkten, die Du konzipiert und ermöglicht hast. Doch genügte Dir der
distanzierte Posten der journalistischen Beobachterin nie: Im Sender warst Du
Vorkämpferin für die innere Rundfunkfreiheit, standest in vorderster Reihe der
Redakteursbewegung – dass der Gesetzgeber das Redakteursstatut 1985 im neuen
WDR-Gesetz verankerte, geht auch auf Dein Engagement zurück. In der SPD und in der
Gewerkschaft mischtest Du Dich medienpolitisch ein. Das schmälerte Deine Loyalität
zum WDR nicht, noch nahm es Dir Deine Unabhängigkeit. Im Personalrat setztest Du
Dich für die Rechte der Beschäftigten ein. In zahlreichen Tarifrunden holtest Du
Gehaltsverbesserungen heraus, die Deine männlichen Partner auf Seiten der
Geschäftsleitung manchen Schweißtropfen gekostet haben dürften.
Freiheit sichern und verteidigen, Gleichheit erkämpfen und herstellen, Gerechtigkeit
schaffen: Zwischen Deinen Überzeugungen als Demokratin und Deinem Handeln sind
die Übereinstimmungen unübersehbar. Und währenddessen – step by step – hast Du
Leitungsfunktionen übernommen.
Manche erinnern sich noch, dass Du 1974 ein Jahr lang als Referentin im
Bundesfamilienministerium (übrigens hieß es damals Bundesministerium für Jugend,
Familie, Frauen und Gesundheit) die Öffentlichkeitsarbeit für das „Jahr der Frau“
koordiniert hast, das die Vereinten Nationen für 1975 ausgerufen hatten. Dass die viel
zitierte Studie Erich Küchenhoffs zum Bild und zur Rolle der Frau im fernsehen
(„Männer machen Programm, Frauen helfen ihnen dabei“), auf Deine Initiative
zurückgeht, hast Du nie an die große Glocke gehängt, obwohl es doch einigen Grund
dafür gäbe und in jedem Fall hier erwähnt werden muss.
Obwohl beide Radioredakteurinnen im WDR, führten uns die Berufswege erst kurz vor
Deiner Berufung nach Berlin zusammen. Als Du meine Chefin warst, habe ich – neben
Deinem Können – vor allem Deine Klarheit geschätzt, die vielen Chefs fehlt. Bei Dir
wusste ich stets, woran ich war.
Davor habe ich viele Male erleben können, wie Du hausöffentlich und öffentlich
aufgetreten bist. Argumentierend, werbend und wo nötig streitend für die jeweilige
Sache, die Du zu Deiner gemacht hattest: respektvoll und respektgebietend,
risikofreudig und mutig. Das machte Eindruck, aber – ich gebe es zu – flößte gelegentlich
auch etwas Furcht ein, schuf Distanz. Abgesehen davon wirkte es jedoch als Vorbild,
prägend und ermutigend. Dafür will ich Dir hier und heute ganz persönlich danken.
Dem Geheimnis dieser Kraft und Stärke bin ich noch nicht auf die Spur gekommen, es
tiefer zu ergründen sprengte gewiss auch den Rahmen dieser Laudatio, etwa die Frage
zu klären, ob Du vielleicht als Vater-Tochter oder in einer anderen günstigen
Konstellation groß wurdest.
Einer Reporterin hast Du einmal gesagt, Du habest immer gerne Verantwortung
übernommen. Wahrscheinlich hast Du dabei rasch herausgefunden, dass
Verantwortung mit Macht einhergeht und so deren lustvolle Seite entdecken können.
Nicht in Sprüngen, sondern stetig, ist Deine Karriere verlaufen, deren letzte Stufe mit
dem Amt einer Programmdirektorin nicht erklommen sein muss.
Liebe Gerda,
diese Laudatio ist ein subjektiver Text, der auch etwas preisgibt von seiner Verfasserin.
Sie hier halten zu können, bot mir Gelegenheit, Dir auch meinen Dank nachzutragen.
Zu Deinem Lebenswerk und seiner Ehrung durch den Journalistinnenbund gratuliere ich
Dir herzlich.
→ Biographie Gerda Hollunder bei Wikiwand